q&more
Meine Merkliste
my.chemie.de  
Login  
Multinationale Medikamente

Multinationale Medikamente

Qualitätssicherung im Zeitalter der Globalisierung

Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe (Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Lehrstuhl für Pharmazeutische Chemie)

Während in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts 80 % aller Wirkstoffe und Hilfsstoffe in Europa bzw. in den USA produziert wurden, werden heute nahezu alle Ausgangsstoffe zur Herstellung von Arzneimittel in China und Indien hergestellt. Dies gilt nicht nur für die einzelnen Stoffe, sondern auch für Zwischenprodukte bis hin zu Fertigprodukten. Der Grund für diese Entwicklung liegt auf der Hand: Die Produktion ist in diesen Ländern wesentlich billiger. Seit Betriebswirte die Pharmaindustrie beherrschen und nicht mehr qualitätsbewusste Apotheker, zählt nur noch der Preis. Doch der Preis kann für beide Seiten auch hoch sein – die Produzenten und Pharmaindustrie in Europa.

Warum können China und Indien die Ausgangsstoffe so billig herstellen? Da sind zum einen die Arbeitslöhne, die in diesen Ländern wesentlich niedriger sind. Keiner fragt allerdings, ob man von der Arbeit leben kann. Aber es sind auch die rechtlichen Auflagen, die in Indien und China wesentlich geringer sind und die Produktion billiger machen; zum Beispiel kümmert sich niemand um das Abwasser eines Betriebes. So wurde kürzlich berichtet, ­dass in der Nähe von Hyderabad täglich ca. 45 kg Ciprofloxacin von einer Herstellungsstätte in die Flüsse gelangen [1]. Damit kann man die Entwicklung von resistenten Bakterien absehen und diese machen nicht nur die Therapie von Infektionen in Indien zu einem kaum lösbaren Problem, sondern werden auch sehr schnell ihren Weg nach Europa finden. Normale Touristen und Gesundheitstouristen, die mit Operationen in Indien (kosmetische und orthopädische OPs, Zahnprothesen etc.) meinen, Geld sparen zu können, werden für die schnelle Verbreitung der Resistenz sorgen; so kürzlich geschehen bei englischen Patienten, die nach OPs in Indien mit einem multiresistenten Bakterium (belastet mit dem New-Delhi-Metallolaktamase-Gen) infiziert waren [2].

Sind die Produkte aus Asien in Europa angelangt, wird die Qualität in Kontrolllaboratorien geprüft (Eingangskontrolle). Egal, ob diese Labors direkt in einer pharmazeutischen Firma angesiedelt sind oder ob man sich eines unabhängigen Labors bedient, die Methoden sind die gleichen – und zwar die vom Europäischen oder Amerikanischen Arzneibuch vorgeschriebenen. Mit diesen kann man Qualitätssicherung auf einem sehr hohen Niveau betreiben, jedoch beziehen sich die Vorschriften auf bestimmte Herstellungswege. Wurden diese in China oder Indien unerlaubterweise verlassen, greifen die Methoden ins Leere. Die Leiter dieser Kontrolllabors stöhnen immer öfter über die importierte schlechte Qualität. Um die Verantwortung für die so genannte Freigabe, die die Verwendung in der Produktion ermöglicht, übernehmen zu können, bedarf es häufig mehr als der in den Arznei­büchern vorgeschriebenen Methoden. Die Kosten steigen überproportional zum Routineaufwand. Und nicht selten werden Chargen schlechter Qualität wieder an den Hersteller in Asien zurückgeschickt. Wo die Kontrolle nicht funktioniert – wie z. B. in Afrika südlich der Sahara –, gelangt die schlechte Qualität an den Patienten. An diesen Fälschungen sterben dort jährlich tausende von Patienten; genaue Zahlen gibt es nicht. Die World Health Organization (WHO) schätzt den Fälschungsanteil in Afrika auf ca. 50% der verkauften Arzneimittel. Und manchmal importieren korrupte Händler diese Ware nach Europa.

Es gibt eine zweite Kontrollebene: die Auditierung der ausländischen Herstellungsbetriebe. Dabei müssen nicht nur die Räume, Maschinen und Lager gezeigt werden, sondern auch die gesamte Dokumentation. Aber die Hersteller, die am Rande der Legalität arbeiten, haben hier reichlich Möglichkeiten, Dinge zu vertuschen, da ein Audit angemeldet werden muss. Man hat also Zeit, alles vorzubereiten, Papiere zu sortieren, Betriebe zu reinigen, Vorzeigebetriebe zu finden, in denen die exportierte Ware zwar nicht hergestellt wird, die aber lege artis arbeiten und vieles andere mehr. Und wenn man Auditoren hört, so gewinnt man den Eindruck, dass man da sehr erfinderisch ist [3].

Bemerkenswerterweise werden diese Probleme in den USA z. B. von der Food and Drug Administration (FDA) offen diskutiert und an die Öffentlichkeit getragen, nicht zuletzt deshalb, weil zu wenig Personal für eine ausreichende Auditierung in China und Indien und für die Arbeit in den Kontrolllaboratorien bei der FDA zur Verfügung steht [4]. Dies ist in Deutschland nicht anders. Es gibt in den Kontrolllaboratorien auf Länder- und Bundesebene zu wenig Personal, um den erhöhten Bedarf an Kontrollen zu befriedigen.

Nun hat die EU in diesen Tagen neue Gesetze erlassen, um die Lieferkette mittels eines 2D-Barcodes zu sichern. Hiermit schützt sich die europäische Pharmaindustrie vor wirtschaftlichen Fälschungen; man kann also durch geschicktes Umverpacken nicht mehr den Gewinn erhöhen, d. h., ein Billigprodukt kann nicht mehr in der Verpackung eines teuren Originators verkauft werden. Dies ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, schützt aber nicht vor der schlechten Qualität der Ausgangs- und Zwischenprodukte aus Asien.

Meine persönliche Meinung zu der Globalisierung in diesem Bereich ist: mehr Fluch als Segen!

Literatur:
[1] J.-F. Tremblay, The dark Side of Indian Drug-Making, C&EN, 3. Januar 2011, Seite 13.
[2] K. Kumarasamy, M.A. Toleman, T.R. Walsh, J. Bagaria, et al. emergence of a new antibiotic resistancde mechanism in India, Pakistan, and UK: a Molecular, biological, and epidemiological study. Lancet Infect. Dis. 10, 597-602 (2010).
[3] K. Metzger, Strategies against Counterfeits. Concept-Heidelberg, Würzburg, 2008
[4] R. Mullin, Policing the Pharma Supply Chain, C&EN, 6. September 2010, Seite 32.

Erstveröffentlichung: Holzgrabe, U., q&more, 1.2011.

Fakten, Hintergründe, Dossiers

  • Zwischenprodukte
  • Pharmaindustrie
  • Ciprofloxacin
  • Lieferkette
  • Medikamente

Mehr über Uni Würzburg

  • News

    Proteinkugeln schützen das Genom von Krebszellen

    Bei der Entstehung und Entwicklung fast aller Krebserkrankungen spielen MYC-Gene und ihre Proteine eine zentrale Rolle. Sie treiben das unkontrollierte Wachstum und den veränderten Stoffwechsel von Tumorzellen an. Und sie helfen den Tumoren dabei, sich vor dem Immunsystem zu verstecken. MYC ... mehr

    Genaktivität im Reagenzglas

    Bei der Suche nach den Ursachen von Krankheiten und der Entwicklung neuer Therapien ist ein exaktes Verständnis der genetischen Grundlagen von zentraler Bedeutung. Würzburger Forscher haben dafür ein neues Verfahren entwickelt. Krankhafte Prozesse zeichnen sich in der Regel durch eine verän ... mehr

    Künstliches Enzym spaltet Wasser

    Ein Team aus der Chemie präsentiert einen enzymähnlichen molekularen Katalysator für die Wasseroxidation. Die Menschheit steht vor einer zentralen Herausforderung: Sie muss den Übergang zu einer nachhaltigen und kohlendioxidneutralen Energiewirtschaft bewältigen. Wasserstoff gilt als vielve ... mehr

  • q&more Artikel

    Hightech im Bienenvolk

    Vitale Bienenvölker sind von höchster Relevanz für die Aufrechterhaltung der natürlichen Diversität von Blütenpflanzen und die globale pflanzliche Nahrungsmittelproduktion, die zu 35 % von Insektenbestäubern abhängt, unter denen die Honigbiene (Apis mellifera) die überragende Rolle spielt. ... mehr

  • Autoren

    Prof. Dr. Jürgen Tautz

    Jg. 1949, studierte Biologie, Geographie und Physik an der Universität Konstanz und promovierte dort über ein sinnesökologisches Thema. Nach Arbeiten zur Bioakustik von Insekten, Fischen und Fröschen gründete er 1994 die BEEgroup an der Universität Würzburg, die sich mit Grundlagenforschung ... mehr

    Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe

    Ulrike Holzgrabe (Jg. 1956) studierte Chemie und Pharmazie in Marburg und Kiel. Nach Approbation und Promotion folgte die Habilitation für Pharmazeutische Chemie 1989 ­in Kiel. Sie hatte eine Professur in Bonn (1990-1999), lehnte C4-Rufe nach Tübingen und Münster ab und folgte dem Ruf nach ... mehr

q&more – die Networking-Plattform für exzellente Qualität in Labor und Prozess

q&more verfolgt den Anspruch, aktuelle Forschung und innovative Lösungen sichtbar zu machen und den Wissensaustausch zu unterstützen. Im Fokus des breiten Themenspektrums stehen höchste Qualitätsansprüche in einem hochinnovativen Branchenumfeld. Als moderne Wissensplattform bietet q&more den Akteuren im Markt einzigartige Networking-Möglichkeiten. International renommierte Autoren repräsentieren den aktuellen Wissenstand. Die Originalbeiträge werden attraktiv in einem anspruchsvollen Umfeld präsentiert und deutsch und englisch publiziert. Die Inhalte zeigen neue Konzepte und unkonventionelle Lösungsansätze auf.

> mehr zu q&more

q&more wird unterstützt von:

 

Ihr Bowser ist nicht aktuell. Microsoft Internet Explorer 6.0 unterstützt einige Funktionen auf ie.DE nicht.