Am Markt gehört die Grüne Chemie gegenwärtig zu den wichtigsten Themen. Für die strategische Unternehmensentwicklung gewinnt die Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung. Der im Jahr 1991 geprägte Begriff „Grüne Chemie“ stellt den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt in den Mittelpunkt. Für die Grüne Chemie wurden 12 Prinzipien formuliert, um Chemiker und die chemische Industrie bei der Entwicklung neuer chemischer Produkte und Prozesse oder bei der Überarbeitung bereits bestehender Produkte zu unterstützen. Das Ziel: Die industrielle Belastung zu verringern oder zu beseitigen. Das im Jahr 1997 als Non-Profit-Organisation gegründete American Chemical Society Green Chemistry Institute (ACS GCI) setzt sich für die Förderung der Grünen Chemie ein. Das Institut, das über Ortsgruppen in über 24 Ländern verfügt, trat 2001 der ACS bei, um seine globale Mission weiter voranzubringen.
„q&more“ war im Gespräch mit Dr. Jennifer L. Young, einer renommierten Expertin und Managerin bei ACS GCI, zu den aktuellen Fragestellungen und Herausforderungen im Bereich der Grünen Chemie.
Dr. Young, geben Sie uns bitte einen Überblick über die Ziele und Aktivitäten von ACS GCI?
Die Mission von ACS GCI besteht darin, die Umsetzung der Prinzipien der Grünen Chemie und Technologie in allen globalen Chemieunternehmen zu vermitteln. Dieses Ziel erreichen wir, indem wir uns auf die Themen Bildung, Industrie und Zertifizierung konzentrieren. Wir sind außerdem Gastgeber der jährlichen Green Chemistry & Engineering Conference, der wichtigsten Veranstaltung, um Industrie, Wissenschaft, staatliche Einrichtungen und Non-Profit-Organisationen aus aller Welt zusammenzubringen. Dabei werden die neuesten Entwicklungen in Grüner Chemie, Grüner Technologie und betriebswirtschaftlichen Anwendungen diskutiert.
Zudem engagiert sich die ACS GCI über verschiedene Kommunikationsmittel in der Community, z.B. mit Bildungsmaterial und industrierelevanten betriebswirtschaftlichen Fallstudien. Die Zahl der Abonnenten unseres Online-Newsletters Nexus wächst rasant. Aktuell wird Nexus an über 7000 Empfänger weltweit versendet.
Wo liegen die Schwerpunkte der Grünen Chemie?
Die Grüne Chemie bezieht sich auf alle chemischen Disziplinen und Bereiche. Sie ist keine diskrete Teildisziplin, sondern ein Systemansatz, der die gesamte Chemie durchdringt. Die 12 Prinzipien der Grünen Chemie geben dieses umfassende Spektrum der Grünen Chemie tatsächlich wieder. Die Grüne Chemie berücksichtigt, woher die Chemikalien kommen, wie sie hergestellt werden, wie sie eingesetzt werden und wo sie enden. Ziel ist es, alle negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu vermeiden.
Inwiefern kann die Industrie bei der Umsetzung von Umweltschutzzielen profitieren?
Die Grüne Chemie ist gut für das Geschäft. In der Industrie zeigen sich ihre finanziellen Auswirkungen sehr häufig in Verbindung mit der Ökobilanz und der Sachbilanz. Gewinne durch Neugeschäft sind auf Grüne Chemie zurückzuführen, wenn Kosten durch die Vermeidung von Abfall und Umweltverschmutzung eingespart werden. Eine Gefährdung durch Chemikalien wird dadurch verringert und die Sicherheit erhöht. Mit Grüner Chemie verringern sich erwiesenermaßen auch der Energieverbrauch und damit die Treibhausgase, die Prozesseffizienz erhöht sich und in manchen Fällen kann der Verbrauch von Materialien und Lösungsmitteln vermieden werden. Um erfolgreich am Markt zu agieren, muss das Grüne Produkt mindestens genauso erfolgreich, wenn nicht sogar besser als die Konkurrenzprodukte sein und es muss zu einem akzeptablen, wirtschaftlichen Resultat führen. Die Verbraucher sind zudem bereit, Kompromisse einzugehen, und viele Unternehmen werden feststellen, dass sie für ihre grünen Produkte einen höheren Preis verlangen können. Nach Schätzungen des jüngsten, von Pike Research veröffentlichten Berichts wird die globale grüne chemische Industrie bis 2020 ein Volumen von 100 Mrd. US-Dollar erreichen. Das vorhergesagte Wachstum
ist exponentiell und wird durch den wirtschaftlichen Nutzen vorangetrieben.
Können Sie uns einige Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung in einem industriellen Umfeld nennen? Welche Meilensteine gibt es in der Geschichte der Grünen Chemie?
Seit 1996 wurden 82 Presidential Green Chemistry Challenge Awards (PGCCA) an Unternehmen, Kleinbetriebe und Professoren vergeben, die innovative chemische Technologien gegen die Umweltverschmutzung vorgestellt haben und inzwischen breite Anwendung in der Industrie finden. In 2011 wurden u.a. folgende PGCCA-Auszeichnungen vergeben:
- Greener Synthetic Pathways Award: Genomatica für „Kostengünstigere Produktion von Grundchemikalien aus erneuerbaren Ausgangsmaterialien”.
- Greener Reaction Conditions Award: Kraton Performance Polymers, Inc. für „NEXARTM Polymermembran-Technologie”.
- Designing Greener Chemicals Award: Sherwin-Williams Company für „Wasserbasierte Acryl-Alkid-Technologie”.
- Small Business Award: BioAmber, Inc. für „Integrierte Produktion und Anwendung vonbiobasierter Bernsteinsäure”.
- Academic Award: Professor Bruce H. Lipshutz, University of California, Santa Barbara für „Wie wir unsere Abhängigkeit von organischen Lösungsmitteln beenden“.
Das Interesse der Industrie an Grüner Chemie ist in den letzten Jahren stark gestiegen. ACS GCI begann zum Beispiel in 2005 mit einem Pharmazeutischen Runden Tisch („Pharmaceutical Roundtable“), dem drei Unternehmen angehörten. Heute umfasst er 17 Mitglieder. Zusätzlich richtete ACS GCI einen Runden Tisch für Formulierer („Formulator’s Roundtable) sowie einen Runden Tisch für Chemieproduzenten („Chemical Manufacturer’s Roundtable) ein; sie zählen zusammen weitere 21 Mitglieder.
Im 21. Jahrhundert sieht sich die Welt vielen Herausforderungen gegenüber. Wir bei ACS GCI sind der Meinung, dass in der Grünen Chemie der Schlüssel dazu liegt, diese Herausforderungen zu meistern und gleichzeitig eine nachhaltige Zukunft aufzubauen.
Die Grüne Chemie verfolgt einen grundsätzlichen, wissenschaftsbasierten Ansatz. Welche Rolle spielen dabei Forschung und Entwicklung?
Die Grüne Chemie ist schon seit ihrem Beginn bestens in die Forschung einbezogen. Die Grundlagenforschung ist dabei sicherlich wichtig, z.B. wenn es darum geht, atomökonomische und ungefährliche Reaktionen zu entwickeln. Die Grüne Chemie ist jedoch auch für alle Stufen der Forschung und Entwicklung bis hin zur Vermarktung von Bedeutung. Nehmen wir als Beispiel die pharmazeutische Industrie. Idealerweise sollte die Grüne Chemie in das Stadium der medizinischen Chemie eingegliedert werden, wenn die Anfangsrouten zu den Zielmolekülen entwickelt werden. In der Realität findet aber ein Großteil Grüner Chemie erst während der Forschungs- und Entwicklungsstufen statt, vor allem aber beim Prozess-Scale-Up vor der Kommerzialisierung.
Die Anwendung der Grünen Chemie auf die Analyse erhielt in den letzten Jahren im Rahmen der akademischen Forschung und der industriellen Anwendungen immer mehr Aufmerksamkeit. Welches sind die Hauptbereiche der analytischen Grünen Chemie?
Einige Prinzipien der Grünen Chemie sind vor allem für die analytische Chemie relevant. Im Allgemeinen bedeutet analytische Grüne Chemie die Vermeidung von Abfall, bedeutet den Einsatz weniger gefährlicher oder erneuerbarer Lösungsmittel sowie die Einsparung von Energie. Viele Aspekte einer analytischen Methode betreffen das „Grüne” einer Methode wie die Probenvorbereitung, die für die Analysevorbereitung der Proben verwendeten Reagenzien oder Lösungsmittel (z.B. für die Derivatisierung, Digestion, Erhaltung, Extraktion, mobile Phase etc.), der Messung/Detektion und die Menge und das Risiko an generiertem Abfall. Die Grüne Chemie kann in jedem Bereich angewendet werden, um Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren. Die Größe der Auswirkungen im Laufe eines Jahres ist dabei schon erstaunlich.
ACS GCI führte ein Projekt zur Erkennung und Anwendung von Grüner Chemie für ca. 850 analytische Methoden des National Environmental Methods Index (NEMI; www.nemi.gov) ein. Wie läuft dies ab und wie können die in der NEMI-Datenbank enthaltenen Informationen genutzt werden, um grünere Methoden zu entwickeln? Welche Auswirkungen hat die Probenvorbereitung?
Die „Grünheit“ der analytischen Methoden im NEMI wurde durch die Beobachtung von vier Kriterien beurteilt. In den folgenden Fällen wird eine Methode als weniger grün eingestuft:
- PBT– eine in der Methode verwendete Chemikalie wird gemäß dem Toxic Release Inventory (TRI)1der US-Umweltbehörde EPA als persistent, bioakkumulierbar und toxisch gelistet;
- gefährlich – eine in der Methode verwendete Chemikalie wird im TRI oder in einem der Verzeichnisse gefährlicher Stoffe des RCRA2’, Abschnitte D,F, P oder U, geführt;
- korrosiv – der pH-Wert ist während der Analyse < 2 oder > 12;
- Abfall – die generierte Abfallmenge überschreitet 50 g.
Wenn also in der NEMI-Datenbank eine Suche durchgeführt wird, dann wird die „Grünheit“ der Methode zusammen mit anderen Merkmalen aufgeführt (z.B. Detektionsniveau, Präzision, Instrumentierung etc.). Somit können Methodenvergleiche durchgeführt werden.
Die im NEMI enthaltenen Testmethoden, z.B. Prüfung der Wasserqualität oder Probenvorbereitung, umfassen
oft große Probemengen, eine Konservierung oder eine Flüssig/Flüssig-Extraktion. Sie können dazu führen, dass eine Methode als weniger „grün“ eingestuft wird. Wirklich grüne Methoden verwenden nur kleine Probenmengen, keine anderen Chemikalien oder Lösungsmittel und die direkte Einführung in das Analysegerät.
Wir kommen auf die Aktivitäten Ihres Instituts zurück – worin besteht Ihr aktuelles Förderprogramm und wer kann diese Unterstützung beantragen?
Wir nahmen im September die Voranfragen zu dem 2012 stattfindenden ACS GCI Pharmaceutical Roundtable Research Grant3 für Grüne Technologieforschung an. Für die Bereiche kontinuierliche Prozesse, Bioprozesse,
Trenn- und Reaktionstechnologie, Lösungsmittelauswahl, Reaktionen und Optimierung und Prozessintensivierung werden Anträge von öffentlichen und privaten Hochschulen aus aller Welt gestellt. Ein Stipendium läuft bei einer Fördersumme von $150.000 12 bis 24 Monate. Ausführliche Ausschreibungsunterlagen können unter www.acs.org/gcipharmaroundtable heruntergeladen werden.
Zudem bieten wir jedes Jahr mehrere Preise für Studenten an, um Reisen zu Konferenzen zu unterstützen oder herausragende Forschungsergebnisse anzuerkennen. Mehr Informationen zu diesen Green Chemistry Awards sind auf unserer Webseite www.acs.org/greenchemistry zu finden.
ACS GCI verleiht verschiedene Preise, beispielsweise den weltweit anerkannten Presidential Green Chemistry Challenge Award, der gegenwärtig zum 16. Mal vergeben wird. Wofür wird diese Auszeichnung gewährt? Welche besondere Bedeutung hat sie in diesem Jahr?
ACS GCI beruft eine unabhängige Jury für die Presidential Green Chemistry Challenge Awards ein. Diese werden von der amerikanischen Umweltbehörde Environmental Protection Agency (www.epa.gov/greenchemistry) verliehen. Anlässlich des Internationalen Jahrs der Chemie fand die diesjährige Preisverleihung am 20. Juni im Rahmen der 15th Annual Green Chemistry & Engineering Conference und der 5th International Conference on Green and Sustainable Chemistry in Washington, DC statt. An der Konferenz nahmen mehr als 660 Besucher teil, was einen Rekord darstellt. Davon waren 23 % internationale Besucher aus mehr als 30 Ländern. Teilnehmer aus Industrie, Wissenschaft und Regierungsbehörden hatten die Möglichkeit, führenden Experten der „Grünen Chemie“ aus aller Welt zuzuhören. Wir freuen uns, Sie und Ihre Leser auf der Konferenz im nächsten Jahr begrüßen zu dürfen! Diese wird vom 18. bis 20. Juni stattfinden.
Dr. Young, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
(Interview: Claudia Schiller)
1 Schadstoffemissionsregister
2 Resource Conservation and Recovery Act = Gesetz zur Bewahrung und Wiederherstellung von Ressourcen
3 Forschungsstipendium des Pharmaceutical Roundtable von ACS GCI
Headerbild: iStock.com | RomoloTavani
Erstveröffentlichung:
Young, J. L., Anastas, P.,
q&more,
2.2011.