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Das richtige Gewicht

Das richtige Gewicht*

Die neue Welt des automatisierten Dosierens

Dr. Joanne Laukart (Mettler-Toledo GmbH)

Jeder Naturwissenschaftler und jede Naturwissenschaftlerin war während des Studiums im chemischen Praktikum mit dem Problem konfrontiert, eine gegebene pulvrige Substanz in einem gegebenen Lösungsmittel aufzulösen und eine Lösung mit vorgegebener Konzentration  herzustellen. Dabei war der erste Schritt eine Wägung. Bewaffnet mit einem Spatel und einem Blättchen Wägepapier, wurde mit einer (meist altmodischen) Analysenwaage eine bestimmte Menge des Stoffes abgewogen und sodann (möglichst vollständig) vom Papier in einen Messkolben verbracht, mit Lösungsmittel bis zur Eichmarke aufgefüllt und gut gerührt. Fertig war die Lösung. Das dauerte je nach Geschick und Erfahrung ein paar Minuten oder länger. Wenn viele Präparate anzufertigen sind, eine langweilige und zeitraubende Geschichte. Man mag dies verflucht haben und sich nach einem Automaten gesehnt haben, der diese Arbeit für einen erledigt. Seit einigen Jahren gibt es nun die Technologie, diese Tätigkeiten automatisiert durchzuführen.

Der wissenschaftliche Direktor der SUCCIDIA AG Prof. Dr. Jürgen ­Brickmann sprach in Greifensee bei Zürich mit Frau Dr. Joanne Laukart von der Mettler-Toledo AG, einem Unternehmen, das ein solches System auf den Markt gebracht hat, über einige Aspekte der automatisierten Dosierung.

Prof. Dr. Jürgen Brickmann: Wie hat das mit der automatisierten Pulverdosierung angefangen?

Dr. Joanne Laukart: Das liegt schon lange zurück. Analytische Waagen gibt es schon sehr lange. Wir haben eine Umfrage in verschiedenen Industrien durchgeführt, um herauszufinden, wo überall analytische Waagen eingesetzt werden und wofür. In der Pharmaindustrie werden etwa 90 % der Waagen für Pulverdosierungen eingesetzt. Wir haben den Zeitaufwand gemessen und die Sicherheitslage abgeschätzt. In 10 – 20 % ihrer Arbeitszeit sitzen Leute hoch konzentriert an der Waage und dosieren Pulver. Das ist langweilig und nicht unbedingt sexy.

Wann war das?

Vor sechs bis sieben Jahren.


Wer hat die Entwicklung angestoßen?

Wir haben festgestellt, dass wir für unsere Kunden die Nutzung unserer Analysenwaagen noch deutlich
einfacher und effektiver machen können.

Da muss doch irgendwann einer den Schritt vom Spatel zum Dosierkopf vollzogen haben?

Einer der Ingenieure, der schon 35 Jahre bei Mettler arbeitet und als Guru der Abteilung gilt, hatte wohl die zündende Idee: Der Pulvertransport in Mühlen für Mehl gab die alles entscheidende Inspiration und lieferte den Heureka-Effekt. Dieser Anstoß, eine gute Portion Hart­näckigkeit und die vorhandenen Expertisen über den Bau von Waagen ergaben schließlich das automatische Dosiersystem Quantos.

© JPM

Hightech im Detail – Fürs das automatisierte Dosieren werden intelligente Köpfe benötigt. Prof. Dr. Jürgen Brickmann nimmt einen Dosierkopf in Augenschein. Was man nicht sieht – dieser enthält ein Rührwerk, hochpräzise Mechanik und denkt dank RFID-Chip mit.

Welche Partikelgröße können Sie damit gerade noch dosieren?

Partikel mit 900 Mikrometer (1 Mikrometer = 10 – 6 m) können noch gut verarbeitet werden.

Wie sind die Korngrößen typischer Weise?

30 – 40 Mikrometer. Manchmal auch 2 – 3 Mikrometer. Für die Genauigkeit gilt: je kleiner desto besser.

Woher kommen die Kunden für die Geräte?

Bisher zu etwa 80 % aus der pharmazeutischen Industrie.

Wo sind die Einschränkungen?

Beispielsweise wenn das Material zur Verklumpung neigt oder sehr schnell Wasser aufnimmt. Wir haben etwa 4.000 Proben getestet. Bei 90 % aller Pulver funktioniert das Dosiersystem einwandfrei. Etwa 10 % der Proben lassen sich nicht innerhalb der von uns vorgegebenen Toleranz 0,5 Milligramm dosieren. Der Kunde ist häufig mit einer Toleranz von 2 Milligramm zufrieden. Wir haben uns aber diese engeren Grenzen gesetzt, um unseren Kunden konkrete Prozessverbesserungen zu ermöglichen.

Warum werden nicht Lösungen in großem Stil hergestellt und dann in flüssiger Form dosiert? Das wäre doch vielleicht effizienter?

Theoretisch ja, in der Praxis nein!

Das müssen Sie mir erklären.

In der Praxis ist es häufig so, dass die Anwender wenig über die Stabilität ihrer Substanzen wissen. In der Regel sind Substanzen in Pulverform stabiler als in Flüssigkeit. Wenn ich heute eine Lösung herstelle und ich lagere sie eine Woche, dann weiß ich vielleicht nicht, ob sich die Substanz verändert hat.

Die Lösungen nach Bedarf herzustellen, ­ist somit immer die bessere Lösung.

Ja, man kommt nicht daran vorbei.

Das System dosiert inzwischen auch Flüssigkeiten. Wie steht es mit der Sicherheit bei der Dosierung von Pulvern im Gegensatz zur Dosierung von Flüssigkeiten?

Generell ist bei der Handverarbeitung die Flüssigkeitsdosierung sicherer als die Pulverdosierung. Man sieht, wenn etwas daneben geht und man kann es wegwischen. Bei Pulvern ist das nicht so einfach. Man kann davon ausgehen, dass etwa 10 % nicht da landen, wo sie hingehören. Sie können in die Luft gelangen und stellen dann ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar, wenn z.B. gesundheitsschädliche Stoffe eingeatmet werden. Mit dem Dosiersystem dosieren Sie direkt in das Gefäß, in dem Sie später auch die Lösung herstellen, d.h., es ist kein Wägepapier dazwischen, auf das zunächst dosiert wir. Das ist viel sicherer, weil das Pulver wenig Gelegenheiten hat, sich zu verteilen.

Was sind die wichtigsten Vorteile der ­automatischen Dosierung?

Der Zeitfaktor: Die Dosierung ist etwa sechsmal schneller als eine mit Hand durchgeführte, dann die Genauigkeit und schließlich die Tatsache, dass wesentlich kleinere Lösungsmengen hergestellt werden können. Alle Schritte werden automatisch dokumentiert. Spannend ist insbesondere, dass das System bei der Flüssigdosierung ohne teure Messkolben auskommt, da es das Lösungsmittel direkt abwiegt. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass Messkolben Quelle von Fehlern sind, die durch ungenaues Ablesen des Eichstrichs, Verwechseln des Kolbens oder Kreuzkontamination eines nicht hinreichend gereinigten Kolbens entstehen.

Wie genau wiegen die Waagen in Ihren ­Systemen?

Quantos hat eine Genauigkeit von 5 Mikrogramm bei einem Targetbereich von 220 Gramm, d.h., wir können eine Lösung mit einem Gewicht von 200 g und mit einer Genauigkeit von 0,000005 g herstellen. Unsere Waagen haben inzwischen eine Leistungsfähigkeit erreicht, die dazu führt, dass nur noch sehr wenig Substanzmenge nötig ist, um eine hochgenaue Messung durchführen können. Solche geringen Mengen sind dann fast nur durch Automatisierung zu portionieren. Das ist insbesondere bei der Verwendung von sehr teuren oder hochtoxischen Substanzen von Bedeutung.

Das ist wirklich beeindruckend.

Wir sind auch sehr stolz darauf.

Der Chip im Dosierkopf zählt die Zahl der Dosierungen. Wo liegt die Obergrenze?

Nach 999 Dosierungen ist der Dosierkopf auf jeden Fall am Ende. In der Regel werden mit einem Kopf aber wesentlich weniger Dosierungen vorgenommen. Das Problem liegt dabei in der Härte des Pulvers. Der Grenzwert wurde festgelegt, um negative Auswirkungen auf das Pulver auszuschließen. Ermöglicht wird dies durch den intelligenten Dosierkopf.

Sie könnten damit keinen Diamantenstaub dosieren?

Einige Kunden tun dies. Dann aber nur bis zu 40 Dosierungen. Das System meldet dann nach 39 Dosierungen, dass nur noch eine Dosierung vorgenommen werden kann.

Ich danke Ihnen für das offene Gespräch.

* im Gegensatz zu Joseph Roth, Das falsche Gewicht, 1937

Erstveröffentlichung: Laukart, J., q&more, 2.2011.

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