q&more
Meine Merkliste
my.chemie.de  
Login  
Die beste Messung

Die beste Messung

Meilensteine auf dem Weg zu einer Neudefinition des Kilogramm

Dr. Peter Becker (Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB))

Seit über 30 Jahren sucht man nach Wegen, das Kilogramm über eine atomare Konstante oder eine
physikalische Fundamentalkonstante zu definieren. Zwei Messmethoden sind inzwischen so weit
fortge­schritten, dass eine Neudefinition in den kommenden Jahren wahrscheinlich ist: das Wattwaagen-Experiment zur Bestimmung der Planck-Konstanten h und das Avogadro-Experiment zur Bestimmung der Avogadro-Konstanten NA. Über die molare Planck-Konstante NAh, die sehr genau bekannt ist, sind beide Methoden und beide Zahlenwerte ineinander umrechenbar. Bislang waren jedoch die Differenzen zwischen den Ergebnissen von Wattwaage und Avogadro-Projekt mit den entsprechenden Unsicherheits­angaben statistisch nicht verträglich, was sich nun durch neue Ergebnisse positiv geändert hat.

Im Heft 4/2010 der Zeitschrift chemie&more berichteten wir über die erfolgreiche Neubestimmung der Avogadro-Konstanten. Inzwischen hat die Generalkonferenz der Meterkonvention im Herbst 2011 in Paris auf Vorschlag ihrer beratenden Gremien dem Konzept zugestimmt, alle Basiseinheiten auf Fundamentalkonstanten zurückzuführen und damit das Kilogramm mit der Planck-Konstante h zu verbinden. Der Zeitpunkt der Neudefinition ist aber erst erreicht, wenn die Messergebnisse sowohl aus dem Avogadro- als auch aus dem Wattwaagen-Experiment die notwendige Übereinstimmung in Zahlenwert und Messunsicherheit erreicht haben. Das heißt: Eines von mindestens drei unabhängigen Experimenten muss eine relative Messunsicherheit von 2 x 10-8, die restlichen zwei mindestens 5 x 10-8 erreichen. Die Resultate müssen auch innerhalb eines Vertrauensbereichs von 95 % übereinstimmen, d. h., ihre „Fehlerbalken“ müssen sich überlappen. Aus diesen Resultaten wird dann ein genauer und für alle Anwender verbindlicher Wert für die Planck-Konstante und damit für die Definition der Masseeinheit festgelegt – ohne Messunsicherheit.

Die Schwierigkeit, Atome zu zählen

Im Avogadro-Projekt wird die Zahl der Atome in einem Mol Silizium bestimmt. Da man nicht in der Lage ist,
die Atome einzeln zu zählen, nutzt man die regelmäßige Anordnung der Atome in einem Kristallgitter aus. In einem Kristall aus Silizium kommt man dabei dem Idealfall eines perfekten Kristalls schon sehr nahe. Zunächst bestimmt man die Zahl der Atome in einer etwa 1 kg schweren Siliziumkugel durch Bestimmung
des Kugelvolumens mithilfe eines speziellen optischen Kugelinterferometers und durch eine – separate –
Messung des Atomvolumens mittels eines speziellen Röntgeninterferometers. Das Verhältnis der beiden Ergebnisse ergibt die Atomanzahl in der Kugel. Die Zahl der Siliziumatome in einem Mol erhält man, indem man die Masse der Kugel – bestimmt durch Vergleich mit einem Massenormal – durch die molare Masse des Siliziums teilt. Eine Schwierigkeit hat man aber dabei: Silizium hat drei stabile Isotope mit der molaren Masse
28 g, 29 g und 30 g und man muss wissen, wie viele Atome jedes Isotopes sich in dem Kristall befinden, um eine mittlere Molmasse auszurechnen. Das geschieht mit einem Massenspektrometer. Für die neuesten Messungen haben die Forscher einen angereicherten Siliziumkristall hergestellt, mit dem konnte eine Messunsicherheit von 3 x 10-8 für die Avogadro-Konstante erreicht werden. Ein besseres Ergebnis war nicht zu erzielen, weil die auf den Siliziumkugeln befindliche Oxidschicht keine so einfache Struktur besaß wie angenommen: Durch den Polierprozess war sie mit Metallatomen kontaminiert. Diese kurze Darstellung der Messmethode soll nicht darüber hinwegtäuschen, wie aufwändig und technisch anspruchsvoll dieses Experiment sich gestaltet. Da die Avogadro-Konstante über einen genauen Satz von Fundamentalkonstanten mit der Planck-Konstante verbunden ist, ist sie eine wichtige Eingangsgröße bei der kg-Definition.

Abb. 2 Blick in den Wägeraum während der Massebestimmung der 28Si-Kugel AVO28-S8 (1) mit Kilogrammprototyp Nr. 70 (2), Platin-Iridium-Sorptionskörpern (3, 5) sowie Auftriebs­körpern zur Bestimmung der Luftdichte (4, 6)

Jedes Messergebnis ist nichts wert, solange es nicht von unabhängiger Seite bestätigt wurde. Innerhalb des Avogadro-Projekts hat man sich daher bemüht, alle für das Ergebnis relevanten Messgrößen in verschiedenen Laboratorien möglichst unabhängig zu messen, die Ergebnisse miteinander zu vergleichen und zu bewerten, um eine möglichst große Redundanz zu erzielen. Für zwei Größen – Gitterparameter und molare Masse – gab es bislang nur jeweils ein Experiment weltweit. Während der Gitterparameter durch die PTB selbst ein zweites Mal bestimmt werden soll, bat man verschiedene Metrologieinstitute um Unterstützung, die molare Masse des benutzten angereicherten Kristalls nachzumessen. Inzwischen sind das kanadische Metrologieinstitut (NRC) und das entsprechende Laboratorium der USA (NIST) mit ersten Messergebnissen an die Öffentlichkeit getreten. Zwei Dinge dabei sind erfreulich: Erstens bestätigen die Ergebnisse im Wesentlichen die PTB-Werte. Zweitens: Im Hinblick auf die PTB-Ergebnisse wurden kleine Abweichungen gegenüber den PTB-Ergebnissen festgestellt, deren Ursachen nun untersucht werden können.

Werte auf Annäherungskurs

Bislang wurden zwei Experimente mit Wattwaagen durchgeführt: In den USA wurde ein vergleichbarer Wert schon vor mehreren Jahren veröffentlicht (Messunsicherheit 3,6  x 10-8). Leider sind dieser Wert und der Avogadro-Wert um etwa 1,6  x 10-7 diskrepant zueinander. Inzwischen sind die Arbeiten an diesem „Forschungs“- Experiment weitgehend eingestellt worden, um eine kleine, robuste Wattwaage für Kalibrierzwecke zu errichten. Man wird also diese Diskrepanz kaum noch aufklären können. Eine weitere unabhängige Messung mit einer Wattwaage begann vor vielen Jahren desgleichen am britischen Metrologieinstitut (NPL). Auch dieser Zahlenwert war zum amerikanischen Wert diskrepant, aber er lag immerhin in Reichweite zu dem Avogadro-Wert. Da die Messunsicherheit aber relative groß war und nicht weiter reduziert werden sollte, nahm sich das NRC dieser Waage an, holte sie zu sich nachhause und erzielte dort in kurzer Zeit nach Neuinstallation neue und genauere Ergebnisse (Messunsicherheit 6,5 x 10-8).
Im Herbst 2011 wurden sowohl neue Daten für dieses Wattwaagen-Experiment und auch unabhängige
Messungen für das Isotopenverhältnis in den Avogadro-Kugeln veröffentlicht, wiederum erfreulich, dass die Ergebnisse beider Experimente sehr gut miteinander in Einklang gebracht werden konnten.

Endspurt zur Neudefinition

Nun ist man dabei, kleine Unstimmigkeiten noch zu korrigieren und die erforderliche Messunsicherheit von
2 x 10-8 zu erreichen. Das Avogadro-Projekt plant in den nächsten drei Jahren, seine Messunsicherheit von bislang 3 x 10-8 auf besser 2 x 10-8 zu verringern. Dazu sollen die beiden Siliziumkugeln neu poliert werden, um die Rundheit zu verbessern und um die Struktur der Oxidschicht zu vereinfachen. Um die Voraussetzungen für eine Neudefinition zu erfüllen, fehlt noch der erfolgreiche Abschluss eines dritten Experiments zur Bestimmung der Planck-Konstante. Seit vielen Jahren bemühen sich Metrologieinstitute in Europa, Wattwaagen aufzubauen. Um diesen Prozess zu beschleunigen, wird es in den kommenden drei Jahren ein gemeinsames Projekt dieser Institute mit dem Avogadro-Projekt geben, um mögliche Diskrepanzen zu bearbeiten und ein drittes unabhängiges h-Experiment erfolgreich zu betreiben.

Erst wenn alle Daten in ihrer Zahl und Unsicherheit den Anforderungen der Meterkonvention genügen, kann eine Neugestaltung der SI-Einheiten und ihre Neudefinition beschlossen werden. Neben dem Kilogramm sollen dann auch das Kelvin, das Ampere und das Mol auf der Basis von Fundamentalkonstanten definiert werden. Ein nächster Anlauf ist schon für 2014 geplant, eine Herausforderung für die Metrologie. Somit sind die nächsten Jahre bis 2014 in der Metrologie geprägt von einem Zweikampf PTB-NRC um die beste Messung der Planckkonstanten, dabei hat das Avogadro-Experiment zurzeit die Nase vorn.

Literatur:
Literatur beim Autor

Erstveröffentlichung: Becker, P., q&more, 1.2012.

Fakten, Hintergründe, Dossiers

  • Metrologie
  • Avogadro-Konstante
  • Planck-Konstante

Mehr über Physikalisch-Technische Bundesanstalt

  • News

    Weltweit erste optische Atomuhr mit hochgeladenen Ionen

    Optische Atomuhren sind die genauesten je gebauten Messgeräte und sind inzwischen zu einer Schlüsseltechnik in der Grundlagen- und der angewandten Forschung geworden, etwa zum Test der Konstanz von Naturkonstanten oder für Höhenmessungen in der Geodäsie. Jetzt haben Forschende des QUEST-Ins ... mehr

    Helmholtz-Preis für hochpräzise Messungen zur Relativitätstheorie und zu Nanomaterialien

    Grundlagenphysik rund um Einsteins Spezielle Relativitätstheorie auf der einen Seite und Grundlagen für messtechnische (metrologische) Anwendungen im Bereich von Tausendstel Mikrometern (Nanometern) auf der anderen Seite – so weit spannt sich der Bogen beim diesjährigen Helmholtz-Preis. Den ... mehr

    Neue primäre Methode zur Druckmessung

    Quasi als Nebenprodukt bei den Arbeiten zum „neuen“ Kelvin haben Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) eine völlig neuartige Methode zur Druckmessung realisiert, die primär ist, also nur von Naturkonstanten abhängt. Als eine unabhängige Methode kann sie zur Überpr ... mehr

  • q&more Artikel

    Die Bedeutung der Rückführbarkeit in der Labormedizin

    Der Weltmetrologietag wird jährlich am 20. Mai begangen, und in diesem Jahr ist „Messen für die Gesundheit“ das Schwerpunktthema. mehr

    Die Messung der Avogadro-Konstante

    Seit dem 20. Mai 2019 ist die Masseneinheit Kilogramm nicht mehr durch den Internationalen Kilogramm-Prototypen definiert, sondern durch den Zahlenwert des Planck’schen Wirkungsquantums, der wichtigsten Fundamentalkonstante aus der Quantenphysik. Voraussetzung für diese Definition war die M ... mehr

    Naturkonstanten als Hauptdarsteller

    Der 20. Mai 2019 ist ein besonderer Tag. Denn ab diesem Tag sind die gewohnten Definitionen dessen, was ein Kilogramm und ein Mol, ein Ampere und ein Kelvin sein sollen, Geschichte. Die Zukunft im Internationalen Einheitensystem sieht vielmehr so aus, dass von nun an Naturkonstanten die Hau ... mehr

  • Autoren

    Prof. Dr. Gavin O’Connor

    Gavin O'Connor wurde in Dublin geboren und schloss 1993 sein Diplom in Analytischer Chemie am Athlone Institute of Technology in Irland ab. In Großbritannien setzte er sein Studium der Analytischen Chemie bis zum Bachelor of Sciences fort, bevor er 1998 an der Universität Plymouth im Bereic ... mehr

    Dr. André Henrion

    André Henrion, Jahrgang 1957, studierte Chemie an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er 1988 mit einer Arbeit auf dem Gebiet der Physikalischen Organischen Chemie promovierte. Danach arbeitete er zunächst am Analytischen Zentrum der Akademie der Wissenschaften, bevor er 1992 zur PTB wec ... mehr

    Rüdiger Ohlendorf

    Rüdiger Ohlendorf, Jahrgang 1959, studierte Chemieingenieurwesen mit Schwerpunkt Instrumentelle Analytik an der Fachhochschule Münster. Nach Beschäftigungen am ISAS (Institut für Spektrochemie und Angewandte Spektroskopie) und bei der Schering AG wechselte er zur Physikalisch-Technischen Bu ... mehr

q&more – die Networking-Plattform für exzellente Qualität in Labor und Prozess

q&more verfolgt den Anspruch, aktuelle Forschung und innovative Lösungen sichtbar zu machen und den Wissensaustausch zu unterstützen. Im Fokus des breiten Themenspektrums stehen höchste Qualitätsansprüche in einem hochinnovativen Branchenumfeld. Als moderne Wissensplattform bietet q&more den Akteuren im Markt einzigartige Networking-Möglichkeiten. International renommierte Autoren repräsentieren den aktuellen Wissenstand. Die Originalbeiträge werden attraktiv in einem anspruchsvollen Umfeld präsentiert und deutsch und englisch publiziert. Die Inhalte zeigen neue Konzepte und unkonventionelle Lösungsansätze auf.

> mehr zu q&more

q&more wird unterstützt von:

 

Ihr Bowser ist nicht aktuell. Microsoft Internet Explorer 6.0 unterstützt einige Funktionen auf Chemie.DE nicht.