„Der Mensch ist, was er isst.“ Das Zitat des deutschen Philosophen Ludwig Feuerbach (1804–1872) lässt sich auch auf die Ernährung unseres Nachwuchses übertragen: Die Ernährungsgewohnheiten der Mutter spiegeln sich im Aromaprofil der Muttermilch wieder [1, 2] und können dadurch Vorlieben für verschiedene Nahrungsmittel beeinflussen [3–7].
Die molekularen Grundlagen einer möglichen frühkindlichen sensorischen Prägung wurden in einer kürzlich veröffentlichten Interventionsstudie am Beispiel von Curry untersucht, welche am Lehrstuhl für Aroma- und Geruchsforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) (Leitung Prof. A. Büttner) in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Lebensmittelchemie und Molekulare Sensorik der Technischen Universität München (TUM) (Leitung Prof. T. Hofmann, Prof. C. Dawid) durchgeführt wurde [8, 9]. Hierfür wurden Stoffübergänge von Geruchs- und Geschmacksstoffen erforscht und analysiert, wie Muttermilch in ihrer Zusammensetzung durch Stoffwechselprozesse beeinflusst wird. Diese Untersuchungen helfen bei der Aufklärung von Prozessen frühkindlicher Prägung und resultierenden möglichen Vorlieben des Individuums, welche mit gesundheitlichen Vor- und Nachteilen einhergehen können (z.B. [10]). Zudem ermöglichen Forschungsprojekte dieser Art eine tiefergehende Untersuchung menschlicher Verdauungs-, Stoffwechsel- und Ausscheidungsprozesse, welche eng mit dem Gesundheitszustand des Menschen verknüpft sind (z.B. [11]).
Bisherige Studien zeigten bereits den Übergang von spezifischen Aromastoffen und ihren Metaboliten in Muttermilch, so im Fall von schwefelhaltigen Substanzen aus Knoblauch [12] und Bärlauch [13] und Terpenen wie 1,8-Cineol, welches aufgrund seines eukalyptusartigen Geruchs auch Eucalyptol genannt wird [14]. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde die hier vorgestellte Verzehrsstudie durchgeführt, um das Spektrum an Substanzen und Metaboliten, welche die sensorische Entwicklung des Kindes beeinflussen können, umfassend zu betrachten. Ein Currygericht wurde hierfür aufgrund seines komplexen Aroma- und Geschmacksprofils ausgewählt, um eine möglichst breite Palette an chemosensorisch aktiven Zielsubstanzen in der Muttermilch untersuchen zu können.
Chemosensorisch aktive Substanzen und Zielsetzung der Studie
Zu chemosensorisch aktiven Substanzen zählen Aromastoffe, Geschmacksstoffe und sogenannte trigeminal wirksame Substanzen. Die flüchtigen Aromastoffe können entweder orthonasal, also über die Nase, oder retronasal, beim Verzehr von Lebensmitteln über den Rachen, an die Riechschleimhaut gelangen. Dort rufen diese durch ihre Interaktion mit G-Protein-gekoppelten Rezeptoren eine Geruchswahrnehmung hervor. Im Gegensatz zu Aromastoffen umfassen Geschmacksstoffe auch nichtflüchtige Verbindungen, wie z.B. Element-Ionen, Aminosäuren, Zucker, Alkaloide u.v.m. Die Geschmacksarten salzig und sauer werden dabei durch Interaktion mit Ionenkanälen, süß, bitter und umami hingegen durch Interaktionen mit G-Protein-gekoppelten Rezeptoren hervorgerufen. Trigeminale Substanzen wiederum werden durch den Drillingsnerv (Nervus trigeminus) wahrgenommen und rufen kühlende, stechende oder andere derartige sensorische Empfindungen hervor. Ein Stoff kann dabei beispielsweise geruchs- und geschmacksaktiv und zusätzlich kühlend, brennend oder stechend sein, also multisensorisch wahrgenommen werden.
Abb. 1 Design der Studie. Nach Verzehr eines Currygerichts wurden Milch- und Urinproben gespendet, welche auf chemosensorisch aktive Substanzen und deren Metabolite hin untersucht wurden. Weitere Ausscheidung kann über den Atem und die Haut erfolgen, diese sind hier nicht aufgezeigt.
Anhand sensorisch-analytischer Methoden können chemosensorisch aktive Substanzen in Lebensmitteln und auch ihr Übergang in die Muttermilch charakterisiert werden. Die Unterscheidung chemosensorisch aktiver von anderen Verbindungen erfolgt durch Kopplung von chemischer Analytik mit dem menschlichen Sinnessystem. Hierbei fungiert bei der sogenannten Gaschromatographie-Olfaktometrie/Massenspektrometrie (GC-O/MS) wie auch bei der Flüssigchromatographie-Geschmacksverdünnungsanalyse/Massenspektrometrie (LC-TDA/MS) die menschliche Nase beziehungsweise Zunge als Detektor.
Aroma- und Geschmacksstoffe werden auf ihrem Weg durch den Körper bis zur Ausscheidung meist verstoffwechselt. Aromastoffe werden dabei neben der Muttermilch über Urin, Haut und Atem, Geschmacksstoffe stattdessen primär über den Urin ausgeschieden. Anhand dieser Ausscheidungen können Metabolite (Stoffwechselprodukte) identifiziert und somit Stoffwechselprozesse chemosensorisch aktiver Substanzen im Körper charakterisiert werden. So wird beispielsweise 1,8-Cineol über verschiedene Körperflüssigkeiten ausgeschieden, welche unterschiedliche Metabolite der Substanz enthalten [14–16]. Funktionalisierung und Konjugation sind hierbei zwei der biochemischen Prozesse, die Aromastoffe im Stoffwechsel durchlaufen [17]. In der hier vorgestellten Studie wurden Metabolite im Urin im direkten Vergleich zu den in der Muttermilch ausgeschiedenen Aromastoffen untersucht und somit Unterschiede in der Verstoffwechselung und Ausscheidung einzelner chemosensorisch aktiver Substanzen aus dem Currygericht aufgeklärt (Abb. 1).
Standardisierung und Charakterisierung eines Currygerichts
In dieser Interventionsstudie wurde zunächst ein standardisiertes Currygericht etabliert und charakterisiert. Das verwendete Currygewürzpulver enthielt Koriandersamen, Kreuzkümmelsamen, Kurkuma, getrocknete rote Chilischoten, Bockshornkleesamen, schwarzen Pfeffer, Zimtstangen, grünen Kardamom, Curryblätter und Nelken. Aus dem Currygewürz wurde eine Soße bereitet, welche mit Reis serviert wurde [8]. Die sensorischen Eigenschaften des Currygewürzpulvers wurden vom Sensorikpanel als korianderartig/seifig, liebstöckelähnlich, zitrusartig, nelkenartig, pfefferartig, ingwerartig, eukalyptusartig, kurkumaartig, kühlend, zimtartig und scharf beschrieben. Die Aromastoffe 1,8-Cineol, Linalool, Cuminaldehyd, Furaneol, Eugenol, Sotolon, Vanillin sowie Zimtaldehyd wurden mithilfe von Isotopenverdünnungsanalyse und SAFE (solvent assisted flavour evaporation) sowie anschließender GC-O/MS-Analyse als wichtige Komponenten identifiziert und quantifiziert. Als Hauptkomponenten für den scharfen Geschmackseindruck wurden Capsaicin, Piperin, and 6-Gingerol identifiziert, welche an einem LC-MS/MS-Gerät quantifiziert wurden [9].
Nachweis von Linalool, 1,8-Cineol und Piperin
Abb. 2 Molekülstrukturen der in der Muttermilch nachgewiesenen Verbindungen
In der Muttermilch wurden bis zu zwei Stunden nach der Intervention signifikante sensorische Veränderungen festgestellt, auch wenn die Aromaintensitäten insgesamt sehr niedrig waren. Hierbei fiel insbesondere ein Geruch nach Bergamotte auf, der sich auf den Transfer von Linalool in die Milch zurückführen ließ. Die Studie ist unseres Wissens nach der erste Bericht über einen Transfer dieser Substanz in Muttermilch. Außerdem wurden über den gesamten Beprobungszeitraum geringe Konzentrationen von 1,8-Cineol und Piperin in der Muttermilch detektiert (siehe Abbildung 2). Keine der anderen Komponenten zeigte einen signifikanten Übergang in die Muttermilch. Näherungsweise berechnete Raten für den Übergang in die Muttermilch der stillenden Mütter bewegten sich im Rahmen von 2 bis 4 x 10–4 % für Linalool, 0,4 bis 8 x 10–2 % für 1,8-Cineol und 0,5 bis 2 x 10–2 % für Piperin. Die Menge variierte dabei stark zwischen Individuen und zeigte substanzspezifische Übergangsmuster. Dies deutet auf eine verschiedenartige Metabolisierung der Komponenten durch die Studienteilnehmerinnen und eine differenzierte Verstoffwechslung der einzelnen Substanzen hin.
Die Antwort auf die Frage, ob ein Säugling chemosensorisch aktive Verbindungen überhaupt wahrnimmt, wird vor allem von der Konzentration der Substanzen in der Muttermilch bestimmt. Geruchs- und Geschmacksschwellenwerte für die einzelnen Komponenten zeigten, dass eine mögliche Stimulierung sensorischer Eindrücke beim Säugling in der gegebenen Verzehrsstudie nur für Linalool und 1,8-Cineol denkbar wäre. Piperin blieb stets unter dem durch das sensorische Testpanel bestimmten Schwellenwert. Eine sensorische Wahrnehmung von Piperin durch den Säugling kann dennoch nicht ausgeschlossen werden, da die Schwellenwerte durch erwachsene Panelteilnehmer*innen bestimmt wurden und die sensorische Wahrnehmung im frühkindlichen Alter sensibler sein könnte [18, 19]. Zudem kann die Interferenz verschiedener chemosensorisch aktiver Substanzen die Wahrnehmung der einzelnen Substanzen im Vergleich zu deren Effekt als Einzelstimulus verstärken [20].
Fazit und Ausblick
Eine Wahrnehmung chemosensorisch aktiver Substanzen durch den Säugling ist möglich und kann somit die Basis für eine frühkindliche Prägung durch Aroma- und Geschmackseindrücke sowie multisensorische Verknüpfungen darstellen. Chemosensorisch aktive Substanzen können zudem zusätzlich zu ihren sensorischen Eigenschaften physiologische Effekte wie eine entzündungshemmende oder antioxidative Wirkung erzielen. Daher ist es höchst relevant, in weiterführenden Studien die aktiven Substanzen und ihre Metabolite zu charakterisieren, um die Wirkmechanismen dieser im Stoffwechsel der Mutter und als Bestandteile der Muttermilch zu verstehen. Somit können chemosensorisch aktive Substanzen potenziell Bioaktivität zeigen, die über Geruch und Geschmack hinausgeht.
Danksagung
Die Studie wurde im Rahmen eines Kooperationsprojektes der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Technischen Universität München von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Besonderer Dank gilt den Teilnehmerinnen.
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Kategorie: Lebensmittelchemie | Aromaforschung
Literatur:
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Headerbild: iStock.com | AlekZotoff, Jaromila, grafvision; Molecule structures: Buettner Group/FAU
Publikationsdatum:
19.07.2022