Vor dem Hintergrund des anhaltenden Trends zu Nachhaltigkeit, Natürlichkeit und gesunder Ernährung gewinnen pflanzenbasierte Lebensmittelzutaten mit biofunktionellen und technofunktionellen Eigenschaften zunehmend an Bedeutung. Die zu den pflanzlichen Sekundärmetaboliten zählenden Polyphenole erfüllen aufgrund ihrer molekularen Charakteristika zahlreiche dieser Anforderungen und können darüber hinaus zu interessanten Produkten reagieren.
Pflanzenphenole – eine vielschichte Stoffgruppe
Abb. 1 Grundstrukturen ausgewählter phenolischer Verbindungen. Obere Reihe: 1. Hydroxybenzoesäuren (C6-C1); 2. Hydroxyzimtsäuren (C6-C3); 3. Xanthone (C6-C1-C6); 4. Stilbene (C6-C2-C6); 5. Flavonoide (C6-C3-C6). Die Flavonoide lassen sich ihrerseits wiederum unterteilen in 6. Flavonole, 7. Flavone, 8. Flavanone, 9. Flavan-3-ole, 10. Isoflavone und 11. Anthocyanidine. In Pflanzen liegen die Phenole häufig in glycosylierter Form vor.
Phenolische Verbindungen, häufig auch als Polyphenole bezeichnet, sind sekundäre Pflanzenstoffe, die ubiquitär in höheren Pflanzen zu finden sind. Sie sind in chemischer Hinsicht eine außerordentlich vielschichte Stoffgruppe mit zahlreichen Unterklassen. Die Grundstrukturen einiger Vertreter sind in Abbildung 1 dargestellt. Als Sekundärmetaboliten üben die Phenole eine Reihe wichtiger Funktionen aus, indem sie der Pflanze u.a. als Abwehrstoffe gegen biotischen und abiotischen Stress dienen, aber auch in der Kommunikation zwischen Pflanzen eine Rolle spielen. Daher ist es nicht überraschend, dass zahlreiche Phenole antioxidative und antimikrobielle Eigenschaften aufweisen [1]. Aus diesem Grund werden sie bereits seit Langem als natürliche Alternativen zu synthetischen Lebensmittelzusatzstoffen untersucht. Die zu den Flavonoiden gehörenden wasserlöslichen Anthocyane absorbieren Licht im sichtbaren Bereich, wodurch ihre Farbigkeit von orangerot bis blauviolett entsteht. Anthocyanhaltige Extrakte werden als natürliche Lebensmittelfarbstoffe eingesetzt.
Abb. 2 Beispiele von Reaktionen chinoider Systeme. Als Elektronenmangelverbindungen können Chinone mit Nucleophilen wie Aminen, Thiolen und Sulfit reagieren. Werden die entstehenden Addukte erneut oxidiert, so können Quervernetzungen von Proteinen oder hochmolekulare Pigmente resultieren (oben). Aus der Reaktion von Chinonen mit Aminosäuren gebildete Schiffsche Basen decarboxylieren zu einem substituierten Aminophenol, das nach Hydrolyse den Strecker-Aldehyd freisetzt (unten).
Während phenolische Verbindungen in der intakten Pflanze wenig reaktionsfreudig sind, können nach Verletzung des Pflanzengewebes, wie z.B. bei der Verarbeitung von Obst und Gemüse, enzymatisch induzierte Umsetzungen stattfinden, die zu reaktiven Zwischenstufen mit chinoider Struktur führen. Diese Chinone stellen Elektronenmangelverbindungen dar, die als Michael-Akzeptoren Reaktionen mit Nukleophilen eingehen können, insbesondere mit Thiol- und Aminogruppen von Proteinen. Auch C-C-Verknüpfungen wurden nachgewiesen. Diese Reaktionen führen zur Entstehung von Verbindungen mit völlig anderen Eigenschaften, deren chemische Strukturen bislang häufig noch relativ unverstanden sind. Ein bekanntes Phänomen ist die enzymatische Bräunung, die beispielsweise nach Zerteilen eines Apfels oder einer Avocado auftritt, wenn phenolische Verbindungen in Gegenwart von Sauerstoff durch die Polyphenoloxidase oxidiert werden [2]. Darüber hinaus können Chinone in vielfältiger Weise mit anderen Substanzen reagieren. So führt beispielsweise die Reaktion mit Ascorbinsäure zur Reduktion der Chinone. Sulfit kann ebenfalls zur Regeneration der Phenole führen und ferner ein Addukt am aromatischen Ring bilden. Reagieren Amino- und Thiolgruppen in Proteinen mit Chinonen im Sinne einer Michael-Addition, so entstehen nach erneuter Oxidation Quervernetzungen [3]. Nach Bildung einer Schiffschen Base aus einem Chinon und einer Aminosäure kann die entstandene azavinyloge β-Ketosäure im Zuge einer Strecker-Reaktion zur Entstehung flüchtiger Aldehyde führen (Abb. 2).
Anthocyane und Pyranoanthocyane
Abb. 3 Reaktionen von Anthocyanen. Die in Pflanzen grundsätzlich als Glycoside vorliegenden Anthocyane können deglycosyliert und – im Falle einer o-Dihydroxystruktur im B-Ring – oxidiert werden. Während mit Sulfit eine reversible Addition an C4 des C-Rings erfolgt, wird die analoge Reaktion mit Thiolen nicht beobachtet. Mit geeigneten Reaktionspartnern, z.B. p-Vinylguajacol, bilden sich die stabilen Pyranoanthocyane.
Eine Vielzahl von Reaktionen wurde auch für die Anthocyane beschrieben, deren Struktur stark pH-Wert-abhängig ist. Das rote Flavylium-Kation ist nur im stark sauren Bereich existent, während bei pH-4,5 eine Entfärbung auftritt. Bei höheren pH-Werten, die allerdings in Lebensmitteln üblicherweise nicht vorherrschen, entstehen blau-violette, rote und gelbe Farbtöne in Folge einer Bildung von Chinoidbasen bzw. Chalconen. Nach Deglycosylierung der Anthocyane resultieren die instabilen Anthocyanidine, aus denen durch oxidative C-Ring-Fission ein phenolischer Aldehyd und eine phenolische Säure hervorgehen. Werden anthocyanhaltige Matrizes mit schwefliger Säure versetzt, so wird ein Farbverlust beobachtet, der auf die Addition von Sulfit am C4 des Flavylium-Kations zurückzuführen ist. Das entstandene Addukt zeigt eine höhere Wasserlöslichkeit als das Anthocyan, weshalb diese Reaktion technologisch zur Gewinnung von Anthocyanen aus den Pressrückständen roter Trauben genutzt wird. Diese Adduktbildung ist reversibel, so dass die Farbigkeit der Anthocyane durch Erhitzen mit Säure wieder hergestellt werden kann. Eine entsprechende Addition von Thiolen an das Flavyliumion wurde bislang nicht nachgewiesen (Abb. 3).
In Gegenwart geeigneter Reaktionspartner, wie z.B. Hydroxyzimtsäuren, Brenztraubensäure, Vinylphenolen und Acetaldehyd, bilden sich aus Anthocyanen neue Derivate, die durch einen zusätzlichen Pyranring gekennzeichnet sind und daher als Pyranoanthocyane bezeichnet werden. Diese Verbindungen sind u.a. in Rotweinen zu finden, da dort neben den Anthocyanen die weiteren Reaktanden entweder nativ vorliegen oder im Zuge der alkoholischen Gärung gebildet werden [4]. Im Vergleich zu den Anthocyanen weisen die meisten Pyranoanthocyane eine eher durch Orangetöne gekennzeichnete Farbe auf und sind stabiler. Daher sind sie vielversprechende Farbstoffe für Lebensmittel, doch muss zunächst ihre Unbedenklichkeit durch toxikologische Untersuchungen belegt werden [5].
Benzacridine – neuartige grüne Lebensmittelfarbstoffe?
Abb. 4 Struktur der Benzacridine nach Reaktion von Chlorogensäure mit der α-Aminogruppe einer Aminosäure (A) bzw. mit der ε-Aminogruppe von Lysin (B). Wird Eiklar in Gegenwart von Chlorogensäure aufgeschlagen, so resultiert ein grüner Schaum (C).
Zur Erzielung grüner Farbtöne in Lebensmitteln können zwar Gemische synthetischer gelber und blauer Farbstoffe eingesetzt werden, doch der Trend hin zu Additiven natürlicher Herkunft erfordert alternative Lösungen seitens der Lebensmittelhersteller, um dem Verbraucherwunsch gerecht zu werden. Als natürlicher grüner Farbstoff kommt praktisch nur Chlorophyll in Frage, das in isolierter Form allerdings eine geringe Stabilität aufweist. Aufgrund des Mangels an lebensmitteltechnologisch nutzbaren blauen Farbstoffen natürlicher Herkunft sind grüne Farben durch Mischung mit gelben Substanzen kaum zu erhalten. Vor diesem Hintergrund der Suche nach geeigneten Alternativen zu Chlorophyll ist es bemerkenswert, dass bereits vor über zwei Jahrzehnten Studien in Japan belegten, dass die Oxidation von Chlorogensäureestern in Gegenwart von Aminkomponenten zur Entstehung grüner Farbstoffe führt. Weiterführende mechanistische Untersuchungen ließen erkennen, dass diese Grünfärbung durch substituierte Benzacridine verursacht wird, die nach Dimerisierung der Kaffeesäureester und anschließender Zyklisierung unter Insertion des Aminstickstoffs entstehen [6-7].
Abb. 5 Das Drainagewasser des grünen Schaums ist ebenfalls intensiv grün gefärbt.
Wird die α-Aminogruppe einer freien Aminosäure, z.B. von Lysin, in die Reaktion einbezogen, so verbleibt im Benzacridin nur Ammoniak; bei Reaktion der ε-NH2-Gruppe wird die komplette Aminosäure in das Benzacridingerüst integriert [8].
Auf diesen Reaktionen beruht das Prinzip des sogenannten Mooskuchens, zu dessen Herstellung auf einen Kuchenboden ein geschlagener Eischnee gestrichen wird. Anschließend wird auf den Eischnee Kaffeepulver abgesiebt. Nach Lagerung im Kühlschrank über Nacht wird die im Kaffee enthaltene Chlorogensäure zu Chlorogenochinon oxidiert und bildet mit Aminogruppen der Eiklarproteine bzw. Aminosäuren einen grünen Belag, wobei die Reaktionen durch das schwach alkalische Milieu des Eiklars gefördert werden. Mittels eines einfachen Experiments kann das Prinzip veranschaulicht werden, indem Eiklar in Gegenwart von Chlorogensäure aufgeschlagen wird, wonach ein grüner Schaum erhalten wird (Abb. 4). Das Drainagewasser des Schaums ist ebenfalls intensiv grün gefärbt (Abb. 5). Applikationsstudien an verschiedenen Lebensmitteln lassen auf eine hohe thermische Stabilität der Benzacridine schließen [9]. Allerdings sind vor einer Einführung der Benzacridinpigmente als Lebensmittelfarbstoffe noch zahlreiche analytische, technologische und regulatorische Fragen zu klären [10].
Während oxidierte Chlorogensäure mit den meisten Aminosäuren zu grünen Benzacridinen führt, bildet sich mit Tryptophan eine Rotfärbung [8]. Erste Untersuchungen lassen auf cyaninartige Moleküle schließen [11], doch belegen eigene Studien die Bildung weiterer Strukturen (unveröffentlicht). Damit bergen solche Reaktionen ein immenses Potenzial zur Herstellung von Farbstoffen für Lebensmittel sowie für weitere Produktgruppen wie Kosmetika und Arzneimittel.
Fazit
Phenolische Verbindungen können in vielfältiger Weise reagieren, woraus sich zahlreiche Perspektiven zur Erzeugung neuartiger Moleküle mit interessanten technologischen Eigenschaften ergeben. In diesem Zusammenhang sind in erster Linie Farbstoffe zu nennen, doch sind durch Auswahl geeigneter Edukte auch multifunktionelle Substanzen vorstellbar. Neben der effizienten Herstellung, der strukturellen Aufklärung und der Untersuchung des Verhaltens in verschiedenen Matrizes sind toxikologische Studien zur Unbedenklichkeit dieser Verbindungen unerlässlich.
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Kategorie: Lebensmittelchemie | Polyphenole
Literatur:
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[11] Moccia F, Martín MA, Ramos S, Goya L et al. A new cyanine from oxidative coupling of chlorogenic acid with tryptophan: Assessment of the potential as red dye for food coloring. Food Chem. 2021;348:129152. DOI:10.1016/j.foodchem.2021.129152
Headerbild: Grüner Schaum: A. Schieber; iStock.com | Preto_perola, kitsana pankhuanoi
Publikationsdatum:
16.03.2022