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Chlorogensäuren in Kaffee

Analytik und multivariate Datenanalyse von Kaffeephenolen

Prof. Dr. Nikolai Kuhnert (Jacobs University Bremen gGmbH), Dr. Sabur Badmos (Jacobs University Bremen gGmbH)

Chlorogensäuren (CGAs) sind per Definition Ester, die sich aus Hydroxyzimtsäuren und Chinasäure bilden. Als solche werden sie von fast allen Pflanzen als Sekundärmetabolite hergestellt. Mit unserer Nahrung nehmen wir substanzielle Mengen dieser Verbindungsklasse zu uns, täglich ungefähr 1 g, in Extremfällen bis zu 2 g. Pflanzen aus der Familie der Rosaceae (Apfel, Pflaume, Aprikose etc), Asteraceae (Salat, Artischocke, Stevia etc), Mate Tee und vor allem Kaffee sind die Hauptlieferanten von CGAs in der menschlichen Ernährung. Eine 200 ml Tasse Kaffee enthält ungefähr 200 mg CGAs.

In den letzten drei Jahrzehnten stellte sich heraus, dass diese Verbindungsklasse eine Reihe positiver Effekte für die menschliche Gesundheit besitzt [1]. Was die Pflanzen selbst betrifft, gehen wir davon aus, dass diese Verbindungen auf Grund ihrer antibakteriellen und antiviralen Wirkung, sowie ihres häufig bitteren und adstringierenden Geschmacks als Fraßschutz und Abwehrverbindungen durch die Evolution entwickelt wurden. Aus zahlreichen epidemiologischen und klinischen Studien geht hervor, dass CGAs einen moderaten Effekt auf die Herzkreislaufgesundheit zeigen und das Krebsrisiko leicht reduzieren. Zwei weitere Effekte stehen aber hervor, der Einfluss auf den Zuckermetabolismus, sowie ein hepatoprotektiver Effekt. Bereits die in einer Tasse Kaffee enthaltenen CGAs senken den Blutzuckerspiegel erheblich und regelmäßige Kaffeetrinker leiden deutlich seltener an Diabetes vom Typ II und Leberschädigungen.

CGAs selbst verfügen über eine geringe Bioverfügbarkeit, sie sind jedoch ausgezeichnete Substrate für die Bakterien der Darmflora und werden zu einer Reihe von bioverfügbaren bakteriellen Metaboliten umgewandelt, die wahrscheinlich für die gesundheitlichen Effekte verantwortlich sind. Hier gibt es noch viel Arbeit zu leisten.

Analytik – Identifizierung

Abb. 1 Ausgewählte chemische Strukturen von Chlorogensäuren aus Kaffee

Für mich als Chemiker stellt die Chlorogensäurechemie eine wunderbar knifflige Herausforderung dar, bedingt durch die Möglichkeit Chinasäure und Zimtsäuren in einer Vielzahl von Isomerenkombinationen zu verknüpfen. Chinasäure besitzt vier nicht äquivalente OH-Gruppen, die mit der Zimtsäure (am häufigsten Kaffeesäure, Ferulasäure, Sinapinsäure und p-Cumarsäure) zu vier Regioisomeren verknüpft werden können. Bildet man zwei Ester der gleichen Zimtsäure, so ergeben sich sechs Regioisomere, bei zwei verschiedenen Säuren zwölf Isomere. Um die Sache noch zu verkomplizieren, kann die Zimtsäure in der trans- oder cis-Form vorliegen (also 12 oder 24 Kombinationen) und zusätzlich epimerisiert die Chinasäure beim Rösten des Kaffees zu sechs möglichen Diastereomeren [2] (nun sind wir schon bei 72 oder 144 Isomeren). Abbildung 1 zeigt einige ausgewählte Substanzen.

Auf Grund der hohen strukturellen Diversität der Isomeren ist eine korrekte Nomenklatur nach IUPAC von immenser Bedeutung [3], gerade, da Wikipedia über Jahre die Community mit einer inkorrekten Nomenklatur verwirrte.

Leider macht es uns die Natur nicht einfach und stellt durch Biosynthese recht erhebliche Sätze an Derivaten der CGAs her. So stellt beispielsweise der Kaffee, Meister der Chlorogensäuren in der Arabicabohne 45 Derivate her, in der Robustabohne etwa 80 und in der gesamten Pflanze einschließlich der Blätter etwa 120 Derivate. Nach dem Rösten der Bohne erhöht sich die Anzahl der nachweisbaren Chlorogensäuren in einem Arabicakaffee auf etwa 250.

Zur eindeutigen Identifizierung der allermeisten Derivate setzen wir die Tandem-Massenspektrometrie ein. (Der Einsatz der NMR-Spektroskopie ist hier nicht sinnvoll, da Signalüberlappungen die Strukturaufklärung verhindern). Im Jahr 2003, direkt nach der Anschaffung unseres ersten Ionenfallen-Massenspektrometers, konnten wir überraschenderweise zeigen, dass sich die MS/MS-Spektren der vier regioisomeren Caffeoylchinasäuren dramatisch unterscheiden [4], ebenso wie die MS2- und MS3-Spektren der Diester [5]. Diese können diagnostisch und zuverlässig als Werkzeug für die Strukturaufklärung eingesetzt werden. Spektren werden jeweils im negativen Ionenmodus mit Elektrospray-Ionisierung (ESI) erzeugt. Ionenfallen-Tandem-MS-Spektren und Q-TOF- oder Triple-Quad-Tandem-MS-Spektren unterscheiden sich leicht, lassen sich aber alle zur Strukturaufklärung nutzen. In unseren Arbeiten haben wir eine einfache Anleitung zur Spektreninterpretation geliefert, die als „hierarchical key“ viele Hundertmale von anderen Arbeitsgruppen erfolgreich angewendet wurde. In späteren Arbeiten haben wir beschrieben wie mit trans/cis-Isomeren oder den Diastereomeren per Tandem-Massenspektrometrie zu verfahren ist [6]. Die meisten unserer Arbeiten hierzu benutzen authentische Referenzsubstanzen, die durch chemische Synthese zugänglich waren.

Analytik – Quantifizierung

Für die Quantifizierung der Chlorogensäuren bevorzugen wir bei schwierigen Proben den Einsatz einer Phenylhexyl-Reversed-Phase-HPLC-Trennung. Die Quantifizierung führen wir, wenn immer möglich, durch HPLC-UV-Spektroskopie durch, wobei wir die Zimtsäureabsorption bei 320 nm nutzen. Für einige Derivate haben wir authentische Standards (etwa 10 Verbindungen sind auch kommerziell erhältlich). Für unterschiedliche Zimtsäurevariationen liegen für HPLC-UV-Quantifizierung zuverlässige Relative Response Factors (RFF) vor. Mit dieser Vorgehensweise können wir im Kaffee routinemäßig etwa 30 Derivate quantifizieren. In Ausnahmefällen nutzen wir auch HPLC-MS-Techniken zur Quantifizierung von Minderkomponenten.

Aufgrund der hohen Diversität der CGAs liegen in der Literatur bisher nur zuverlässige Daten für diese 30 Hauptkomponenten vor. Wie hoch die Gesamtmenge der Minderkomponenten (etwa 220 weitere CGAs in Röstkaffee) ist, bleibt bisher unbekannt.

Multivariate Analyse: Robusta- versus Arabicakaffee und konventioneller Anbau versus Biokaffee

Abb. 2 Box Plots für ausgewählte Chlorogensäuren für den Vergleich von Robusta- und Arabicakaffeebohnen [7]

In den letzten beiden Jahren publizierten wir zwei Studien zum Vergleich verschiedener Kaffeeprodukte. Hierbei setzten wir multivariate statistische Methoden zum Vergleich der unterschiedlichen Probengruppen ein. Die Daten wurden durch UHPLC-ESI erzeugt und im Anschluss einer PCA- und PLSDA-Auswertung unterzogen. Absolute Quantifizierungen wurden durch HPLC-UV-Analyse durchgeführt. In der ersten Studie verglichen wir die CGAs in Arabica- und Robustakaffeebohnen miteinander [7]. In den Score Plots lassen sich Robusta- und Arabicakaffee gut unterscheiden. Der Loading Plot liefert die entsprechenden Biomarker, die für die Unterscheidung verantwortlich sind. Diacyl-CGAs liegen in Robustakaffee in höheren Konzentrationen vor. Weiterhin enthält der Robustakaffee CGAs mit trihydroxylierten Zimtsäuren wie z.B. der Sinapinsäure, die in Arabicabohnen nicht vorkommen. Abbildung 2 zeigt ausgewählte Boxplots die Konzentrationen direkt miteinander vergleichen. Diese Verbindungen stellen somit eine mögliche Alternative zur etablierten 16-O-Methyl-Cafestol-Analytik [8] dar, um Robustabeimischungen zu identifizieren. Mit den oben beschriebenen Methoden haben wir im Anschluss eine Quantifizierung der wichtigsten Derivate durchgeführt.

Abb. 3 PLS-DA (Partial least square discriminant analysis) für den Vergleich von konventionell angebautem Kaffee (grüne Punkte) und Biokaffee (rote Punkte) im Score Plot (links) und most important feature plot (rechts), der die wichtigsten Biomarker für die Unterscheidung anzeigt [9]

In einer zweiten Studie haben wir in Zusammenarbeit mit Daniel Granato brasilianischen Biokaffee mit konventionell angebautem Kaffee verglichen [9]. Beim Vergleich von insgesamt 67 Proben konnten wir im Biokaffee, im statistisch signifikanten Durchschnitt, niedrigere CGA-Konzentrationen beobachten. Abbildung 3 zeigt eine PLSDA-Analyse, die den Vergleich von Biokaffee mit konventionellem Kaffee erlaubt, sowie einen „most important feature plot“ mit den für die Unterscheidung wichtigsten Biomarkern. Daraus lässt sich provokativ pressewirksam schließen, dass konventioneller Kaffee gesünder ist, da er mehr gesunde Chlorogensäuren enthält, oder aber viel sinnvoller schließen, dass der Biokaffeekonsument lieber eine Tasse mehr trinken sollte um die gleichen Konzentrationen an CGAs zu sich zu nehmen.

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Kategorie: Analytik | Polyphenole

Literatur:
[1] Clifford, M. N., Jaganath, I. B., Ludwig, I. A., Crozier, A. (2017) Chlorogenic acids and the acyl-quinic acids: Discovery, biosynthesis, bioavailability and bioactivity, Nat. Prod. Rep., 34(12), 1391–1421, DOI: 10.1039/c7np00030h
[2] Jaiswal, R., Matei, M. F., Golon, A., Witt, M., Kuhnert, N. (2012) Understanding the fate of chlorogenic acids in coffee roasting using mass spectrometry based targeted and non-targeted analytical strategies, Food Funct., 3(9), DOI: 10.1039/c2fo10260a
[3] Abrankó, L., Clifford, M. N. (2017) An Unambiguous Nomenclature for the Acyl-quinic Acids Commonly Known as Chlorogenic Acids, J. Agr. Food Chem., 65(18), 3602–3608, DOI: 10.1021/acs.jafc.7b00729
[4] Clifford, M.N., Johnston, K. L., Knight, S., Kuhnert, N. (2003) Hierarchical scheme for LC-MSn identification of chlorogenic acids, J. Agr. Food Chem., 51(10), DOI: 10.1021/jf026187q
[5] Clifford, M. N., Knight, S., Kuhnert, N. (2005) Discriminating between the Six Isomers of Dicaffeoylquinic Acid by LC-MS n, J. Agr. Food Chem., 53(10), 3821–3832, DOI: 10.1021/jf050046h
[6] Karakoese, H., Jaiswal, R., Deshpande, S., Kuhnert, N. et al. (2015) Investigation of the Photochemical Changes of Chlorogenic Acids Induced by Ultraviolet Light in Model Systems and in Agricultural Practice with Stevia rebaudiana Cultivation as an Example, J. Agr. Food Chem., 63(13), 3338–3347, DOI: 10.1021/acs.jafc.5b00838
[7] Badmos, S., Lee, S.-H., Kuhnert, N. (2019) Comparison and quantification of chlorogenic acids for differentiation of green Robusta and Arabica coffee beans, Food Res. Int., 126, DOI: 10.1016/j.foodres.2019.108544
[8] Speer, K., Mischnick, P. (1989) 16-O-Methylcafestol – ein neues Diterpen im Kaffee: Entdeckung und Identifizierung, Zeitschrift für Lebensmitteluntersuchung und -forschung, 189(3), 219–222, DOI: 10.1007/BF01028067
[9] Badmos, S., Fu, M., Granato, D., Kuhnert, N. (2020) Classification of Brazilian roasted coffees from different geographical origins and farming practices based on chlorogenic acid profiles, Food Res. Int., 134, DOI: 10.1016/j.foodres.2020.109218

Publikationsdatum: 29.10.2020

Fakten, Hintergründe, Dossiers

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    Nikolai Kuhnert, Jahrgang 1967, studierte Chemie an der Universität Würzburg und promovierte 1995 in Anorganischer Chemie und Pharmazeutischer Biologie. Nach weiteren Stellen in England (Cambridge, Oxford und Guildford) ist er seit 2006 Professor für Analytische Chemie an der Jacobs Univers ... mehr

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    Sabur Badmos, Jahrgang 1977, studierte Biochemie an den Universitäten Lagos und Ibadan in Nigeria. Er fertigte seine Promotion an der Jacobs University Bremen in der Arbeitsgruppe von Nikolai Kuhnert an. Seine Forschungsinteressen sind im Bereich der analytischen Chemie, insbesondere der Ch ... mehr

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    Werner Nau, geb. 1968, studierte Chemie an der Universität Würzburg und der St. Francis Xavier University, Kanada. Er promovierte 1994 an der Universität Würzburg. Nach seinem Postdoktorandenaufenthalt an der University of Ottawa, Kanada (1994 – 1995) habilitierte er sich für Chemie an der ... mehr

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