Die Photoredoxkatalyse hat sich zu einem leistungsfähigen Instrument für die Synthese organischer Verbindungen mit den verschiedensten Strukturen entwickelt. Die hohe Stabilität der Kohlenstoff-Chlor-Bindungen hat jedoch lange Zeit den Einsatz kostengünstiger und leicht verfügbarer Chloralkane als Substrat erschwert. An der Universität Regensburg konnte nun gezeigt werden, dass eine bestimmte Anordnung der reagierenden chemischen Spezies in mizellaren Lösungen es ermöglicht, kohlenstoffzentrierte Radikale aus nichtaktivierten Alkylchloriden über anordnungsunterstützten Ein-Elektronen-Transfer (APSET) zu erzeugen und zu koppeln.
Alkylchloride sind beliebte Ausgangsstoffe in der chemischen Synthese, da sie in großen Mengen erhältlich, kostengünstig und sehr stabil sind. Während die Neigung der Alkylchloride zur nukleophilen Substitution sie zu guten Alkylierungsmitteln in ionischen Reaktionen macht, ist die Ein-Elektronen-Reduktion, die zu radikalischer Reaktivität führt, stets eine große Herausforderung gewesen. In jüngster Zeit jedoch hat sich die Photokatalyse als ein leistungsfähiges Verfahren erwiesen, um einen Ein-Elektronen-Transfer auf verschiedene Alkyl-C-X-Bindungen anzuwenden. Dies hat den Weg für kohlenstoffzentrierte, nukleophile Radikale geebnet, die wertvolle Zwischenprodukte bei der Herstellung von C(sp3)-C- und C(sp3)-H-Bindungen sind [1-3]. Wegen ihrer starken C-Cl-Bindung (327 kJ mol-1) weisen Alkylchloride jedoch eine wesentlich geringere Reaktivität auf als die entsprechenden Bromid- und Jodidverbindungen (285 kJ mol-1 bzw. 213 kJ mol-1) [4].
Ein ungelöstes Problem: die Aktivierung stabiler Chloralkane
Seit einigen Jahren beschäftigt sich unsere Arbeitsgruppe mit der photokatalytischen Aktivierung besonders stabiler Moleküle, z.B. Verbindungen mit sehr hohen oder sehr niedrigen Redoxpotenzialen. Ein umfassend untersuchtes Gebiet ist die Akkumulation der Energie mehrerer Photonen sichtbaren Lichts in einem katalytischen Zyklus. Nach dem Vorbild der biologischen Photosynthese haben wir den mehrstufigen photoinduzierten Elektronentransfer (conPET) unter Verwendung von Perylenbisimid (PDI) sowie Rhodamin 6G oder Anthrachinonen als Photoredoxkatalysatoren entwickelt. So ist es uns gelungen, Aryljodide, -bromide und sogar -chloride zu aktivieren [5-7]. In der gleichen Zeit leisteten die Arbeitsgruppen Goez, Kerzig und Wenger Pionierarbeit auf dem Gebiet der photokatalytischen Aktivierung stabiler C-Cl-Bindungen, indem sie mehrere Systeme entwickelten, um verschiedene wasserlösliche Chloride über die Erzeugung solvatisierter Elektronen [8-11] oder über Triplett-Triplett-Annihilierung bei der Photonen-Aufkonversion in wässrigen Lösungen zu aktivieren [12]. Die Autoren bewiesen, dass ein aus Natriumdodecylsulfat (SDS) erzeugter Grenzflächenfilm die reduzierte Form des Photokatalysators stabilisiert, indem er die Elektronenrückübertragung zum Elektronendonator unterdrückt. Trotz der enormen Bedeutung der genannten Verfahren ist das Problem der Aktivierung stabiler, hydrophober Alkylchloride noch immer ungelöst.
Der Aufbau eines photokatalytischen Systems
Um dieses Problem zu lösen, haben wir jüngst eine Strategie für den anordnungsunterstützten Ein-Elektronen-Transfer (APSET) entwickelt, bei der die reagierenden Spezies in einer mikroheterogenen, wässrigen Lösung kompartimentiert werden (Abb. 1) [13]. Unsere Hypothese war, dass sich in Gegenwart von Tensiden wässrige mizellare Lösungen bilden, bei denen organische Substrate das Innere der Mizellen bilden und der photokatalytische Iridiumkomplex nichtkovalent auf der geladenen Oberfläche immobilisiert ist.
Abb. 1 Schematische Darstellung des anordnungsunterstützten Ein-Elektronen-Transfers (APSET); Asc = L-Ascorbat, modifiziert aus [13]
Um die spektroskopischen Eigenschaften der entwickelten Lösung zu untersuchen, wurde die zeitabhängige UV-VIS-Absorption von Ir(dtbby)(ppy)2PF6 in wässrigem Natriumlaurylethersulfat (SLES) gemessen, und zwar in Gegenwart von L-Ascorbat als Elektronendonator und bei Bestrahlung mit blauem Licht. Die Stabilität des reduzierten Photokatalysators (ermittelt durch Beobachtung der charakteristischen Absorptionsbande bei 533 nm) wurde mit derjenigen bei Einsatz anderer gängiger, organischer Lösungsmittel verglichen. Tatsächlich erhöhte die Verwendung eines Wasser-Tensid-Gemisches die Lebensdauer des [Ir(dtbby)--(ppy)2] Komplexes. Dieser war über Stunden in der Lösung nachweisbar, während bei anderen Lösungsmitteln ein schneller Zerfall beobachtet wurde. Die Stabilisierung des Komplexes ist von höchster Bedeutung, denn sie erhöht die Chance mit einem weiteren Photon sichtbaren Lichts eine zusätzliche Anregung und somit reaktive Spezies mit ausreichender Reduktionskraft zu erzeugen.
Die photokatalytische Reaktion
Abb. 2 Das Synthesespektrum der entwickelten Methode
Die Mizellen als Reaktionsumgebung sollen nicht nur die Alkylchloride in Lösung bringen, sondern auch eine günstige räumliche Vorkonfiguration ermöglichen, damit sich die hydrophilen Chloratome in Richtung der Mizelloberfläche orientieren. Die unmittelbare Nähe zum Photokatalysator ermöglicht den Ein-Elektronen-Transfer (SET) und als Folge die Erzeugung von Alkyl-Radikalen. Nach sorgfältiger Optimierung der Reaktionsbedingungen haben wir dieses Konzept auf radikalische Dehalogenierungs-, Additions- und Zyklisierungsreaktionen angewendet und die gewünschten Produkte in moderaten bis sehr guten Ausbeuten erhalten (Abb. 2). Trotz der stark reduzierenden und basischen Bedingungen ermöglichte unsere Methode die Transformation von Substraten mit verschiedenen funktionellen Gruppen, unter anderem substituierten Anisol-, heteroaromatischen Ring-, funktionellen Acetal-, geschützten Amin- sowie CO2H- und OH-Gruppen. Nicht nur Alkylchloride, sondern auch stabiles Chlorbenzol konnte aktiviert werden.
Die Löslichkeit der Alkylchloride in den entwickelten Mischungen ließ sich durch dynamische Lichtstreuungsmessungen, die zwei Nanometer große Mizellen nachwiesen, bestätigen. Hinsichtlich intermolekularer Kopplungen deuteten sie darüber hinaus auf eine Vorkonfiguration der Ausgangsstoffe hin: Alkylchloridmoleküle werden in die Mizellenhülle eingebaut, bleiben aber in geringem Abstand zum Olefin, das sich in der Nähe der Grenzfläche befindet.
Abb. 3 Der Einfluss von Tensiden auf die Ausbeute der intermolekularen Kopplung
Um den Einfluss der Nanostrukturierung auf die katalytische Reaktion besser zu verstehen, haben wir das Tensid variiert (Abb. 3). Obwohl auch kationische und zwitterionische Tenside Mikroheterogenitäten bilden, lief die gewünschte Reaktion nicht ab, und für die nichtionischen Tenside Triton X-100 und Brij 35 wurden nur geringe Ausbeuten verzeichnet. Im Gegensatz dazu begünstigen anionische Tenside die Reaktion, wobei sich die Sulfatgruppen als am effizientesten erwiesen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich nur kationische Iridiumkomplexe als kompetente Katalysatoren erwiesen, dient dieses Ergebnis als deutlicher Hinweis für die angenommene stabilisierende Wirkung der Mizelloberfläche. Zusätzliche mechanistische Studien haben gezeigt, dass die Reaktionen für die gewünschte C-H- und C-C-Bindungsbildung radikalischen Charakter haben. Vor allem zeigte das „dunkle Experiment“ ohne Licht, dass die Reaktion im Grundzustand [Ir(dtbby)--(ppy)2] nicht abläuft. Diese Beobachtung bekräftigt, dass die katalytische Aktivität aus der aufeinanderfolgenden Absorption zweier Photonen in einem photokatalytischen Zyklus resultiert.
Zusammengefasst haben wir mikrostrukturierte Lösungen untersucht und optimiert, um eine zweckdienliche Anordnung der hydrophoben Reaktionskomponenten zu erzielen und die Aktivität des photokatalytischen Systems zu optimieren. Die höhere Stabilität des reduzierten Ir-Photokatalysators ermöglichte es, nichtaktivierte Alkylchloride bei radikalischen Dehalogenierungs-, Additions- und Zyklisierungsreaktionen einzusetzen. Das entwickelte Verfahren ist leicht zu handhaben und verwendet gewöhnliche, handelsübliche und kostengünstige LEDs mit blauem Licht. Mechanistische Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Reaktion die Energie zweier Photonen blauen Lichts in conPET-Weise nutzt. Wir sind der Ansicht, dass die vorgestellten Ergebnisse den Weg für die weitere Anwendung von nichtaktivierten Chloriden als Alkylradikalquelle für organische Synthesen ebnen.
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Kategorie: Synthesechemie | Photokatalyse
Literatur:
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Publikationsdatum:
18.12.2019