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Kaffee – eine Welt der Vielfalt

Einsatz der Photonionisations-Massenspektrometrie zur Online-Analyse und Steuerung des Kaffeeröstprozesses

Dr. Sven Ehlert (Photonion GmbH), Dr. Hendryk Czech (Universität Rostock, Lehrstuhl für Analytische Chemie), Prof. Dr. Ralf Zimmermann (Universität Rostock, Lehrstuhl für Analytische Chemie)

Mit der Umwandlung von grünem Kaffee zur braunen Röstbohne entstehen Mythos, Trend und Begierde. Vom kleinen Gourmetröster bis zur industriellen Großanlage ergibt sich aufgrund der gestiegenen Anforderungen an Qualität und Vielfältigkeit der zunehmende Bedarf, die während der Kaffeeröstung ablaufenden Prozesse zu verstehen und beeinflussen zu können.

Bei der Kaffeeröstung entstehen aus Vorläuferverbindungen in komplexen chemischen Reaktionen neben den wertvollen Aromastoffen auch viele weitere Substanzen, denen teilweise sogar eine gesundheitsförderliche Wirkung zugeschreiben wird. Um den Prozess schon während der Röstung gezielt beeinflussen zu können, z.B. um die Konzentration gesundheitsfördernder Substanzen zu steigern, ist leistungsstarke Online-Messtechnik gefragt. Die Photoionisations-Massenspektrometrie (PIMS) liefert hier einen entscheidenden Baustein, da mit ihr der komplexe Röstvorgang online, in Echtzeit, untersucht und beschrieben werden kann [1].

Der analytische Blick in die Rösttrömmel

Abb. 1 Setup des Messsystems. Oben links: Microprobe sampling wie beschrieben in [2]; unten links: schematischer Aufbau des Massenspektrometers für 248 nm REMPI; rechts: Photoionisations-Massenspektrometer mit variabler PI-Quelle

Bereits vor dem Rösten beinhaltet der grüne Rohkaffee bereits rund 300 volatile Verbindungen, jedoch mangelt es ihm nicht nur an der entsprechenden Farbe, sondern auch an den charakteristischen Aromaverbindungen, die für Röstkaffee bekannt sind. Die beiden wichtigsten auftretenden chemischen Reaktionspfade während des Kaffeeröstens sind die Maillard-Reaktion, der Strecker-Abbau und Karamellisierungsreaktionen. Hierdurch gewinnt der Kaffee sowohl an Farbe, als auch an Aroma.

In der Photoionisation werden Photonen im UV- und VUV-Bereich zur Ionisation verwendet, so dass aufgrund ihrer höheren Ionisierungsenergie die Bildung von Ionen aus Umgebungsgasen wie Stickstoff, Sauerstoff usw., aber auch Wasserdampf unterdrückt wird. Kombiniert mit der hohen Zeitauflösung der Flugzeitmassenspektrometrie (TOF-MS) bietet sich PIMS für die Online-Überwachung und Prozessaufklärung in komplexen Gasmischungen geradezu an. PI kann als Einzelphotonenionisierung (SPI) und die resonanzverstärkte Mehrphotonenionisierung (REMPI) durchgeführt werden. Während REMPI hochselektiv aromatische und im unteren UV-Bereich auch aliphatische Stickstoffverbindungen ionisiert, ist SPI geeignet, einen Überblick über das gesamte Spektrum der vorhandenen organischen Komponenten zu geben. Sowohl SPI als auch bei REMPI sind weiche Ionisationsmethoden, welche vorwiegend Molekülionen generieren und damit die Interpretation des Spektrum vereinfachen. Mit einer geeigneten Auswahl der jeweiligen Lichtquellen kann die Selektivität für Target-Analytik weiter gesteigert werden (siehe Abb. 1).

Schnelle Unterscheidung zwischen Arabica und Robusta

Abb. 2 Während des Röstens wird leicht ein Wassermolekül aus den Diterpenen Cafestol und Kahweol abgespalten. Das Auftreten von Dehydrokahweol ermöglicht eine schnelle Überprüfung, ob es sich bei der Kaffeecharge um hochwertigeren Arabica- oder nur um Robusta-Kaffee handelt.

Die im Kaffee vorkommenden pentazyklischen Diterpene Kahweol (m/z 314) und Cafestol (m/z 316), sowie das 16‑O‑Methylcafestol (m/z 330), erleichtern die Unterscheidung zwischen den jeweiligen Kaffeesorten, Arabica oder Robusta. Wenngleich das Cafestol in beiden Sorten vorkommt, kann das 16‑O‑Methylcafestol nur in Robusta gefunden werden. Gleichzeitig ist die Konzentration des Kahweols in Robusta-Bohnen vergleichsweise gering verglichen mit Arabica. Obwohl die Volatilität dieser Verbindungen eher gering ist, lassen sich die dehydratisierten Spezies im Röstgas nachweisen (Abb. 2).

Chemische Entfaltung einzelner Röstphasen

Die durch die Photoionisation erreichte hohe zeitliche Auflösung ermöglicht die selektive Untersuchung von Freisetzungsprofilen einzelner Verbindungen über den gesamten Röstverlauf. Einer der interessantesten Aspekte in der Kaffeeröstung ist die Zersetzung bzw. Umwandlung der Chlorogensäuren. Neben einer Reihe weiterer Verbindungen können hier thermische Abbauprodukte wie 4‑Vinylguaiacol, Vanillin, Phenole oder auch Vinyl- und Ethylcatechol detektiert werden. Anhand der Freisetzungsprofile lassen sich Rückschlüsse auf die ablaufenden Reaktionen und deren Beeinflussung durch die verwendeten Röstbedingungen ziehen.

Abb. 3 Oben: Contour-Diagramm des zeitlichen Verlaufs aller SPI-Massenspuren. Das systematische Gruppieren von ähnlichen Massenspuren durch NMF ermöglicht die Identifikation und Quantifizierung des relativen Beitrags am Röstprozess von vier Röstphasen (weiß). Unten: SPI-Massenspektren am jeweiligen Maximum der berechneten Röstphase

Eine systematisierte Auswertung der auftretenden Freisetzungsverläufe kann u.a. durch die Nicht-Negative-Matrix-Faktorisierung (NMF) erreicht werden. Über den zeitlichen Verlauf ergeben sich bei der Kaffeeröstung vier Phasen, die man am ehesten als „Evaporation“, „Anfangsröstung“, „Hauptröstung“ und „Überröstung“ bezeichnen kann [2]. Neben den Röstphasen erhält man auch in Form eines Massenspektrums die jeweilige chemische Repräsentation bzw. Zusammensetzung (Abb. 3).

Online-Vorhersagemodelle als Rösthilfe

Eine konsequente Weiterentwicklung, die Vorteile der Photoionisations-MS nutzbar zu machen, ist die Rückkopplung der Ergebnisse in eine Prozesskontrolle [3]. Hierzu werden in einem ersten Schritt die Echtzeitröstdaten mit einzelnen Offline-Messungen von Farbe, Phenolgehalt oder Aromastoffen durch PLS-Regression zur einem Vorhersagemodell verknüpft. Anschließend ist es möglich, die jeweiligen Eigenschaften in Echtzeit darzustellen (Abb. 4).

Abb. 4 Echtzeitvorhersage des Gesamtphenolgehalts in Äquivalente der Gallussäure sowie des Röstgrades („Colorette“). Der graue Bereich gibt den Vorhersagefehler (Wurzel des mittleren quadratischen Fehlers) aus einer Monte-Carlo-Kreuzvalidierung wieder.

Fazit

Das erweiterte Verständnis der Kaffeeröstung und der ablaufenden Prozesse bildet die Grundlage für eine gezielte Veränderung hin zur Erzeugung eines bestimmten Geschmacks bzw. zur Vermeidung oder Verstärkung spezifischer Eigenschaften, wie dem Polyphenolgehalt. Die Echtzeitanalyse zusammen mit der Modellierung des Kaffeeröstprozesses soll den geschulten Kaffeeröstmeister nicht ersetzen, sondern ihm ein zusätzliches Werkzeug an die Hand geben, das Beste aus der grünen Bohne herauszuholen.

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Kategorie: Prozessanalytik | Kaffeeröstung

Literatur:
[1] Hanley, L., Zimmermann, R. (2009) Light and Molecular Ions: The Emergence of Vacuum UV Single-Photon Ionization in MS, Anal. Chem. 2009 May 29; 81, 4174-4182, DOI: 10.1021/ac8013675
[2] Czech, H., Schepler, C., Klingbeil, S., Ehlert, S., Howell, J., Zimmermann, R. (2016) Resolving Coffee Roasting-Degree Phases Based on the Analysis of Volatile Compounds in the Roasting Off-Gas by Photoionization Time-of-Flight Mass Spectrometry (PI-TOFMS) and Statistical Data Analysis: Toward a PI-TOFMS Roasting Model, J Agric Food Chem. 2016 Jun 29, 64, 5223-5231. DOI: 10.1021/acs.jafc.6b01683
[3] Heide, J., Czech, H., Ehlert, S., Koziorowski, T., Zimmermann, R. (submitted) Towards smart on-line coffee roasting process control: Feasibility of real-time prediction of coffee roast degree and brew antioxidant capacity by single-photon ionization mass spectrometric (SPI-TOFMS) monitoring of roast gases, J Agric Food Chem

Publikationsdatum: 22.10.2019

Fakten, Hintergründe, Dossiers

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    Ralf Zimmermann, Jahrgang 1963, promovierte im Jahr 1995 an der TU München/Weihenstephan in Chemie und leitete seit 1997 die Abteilungen „Umweltchemie und Prozessanalytik“ an der BIfA (Bayerisches Institut für Angewandte Umweltforschung und -technik GmbH) sowie „Analytische Lasermassenspekt ... mehr

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