Die Prozessindustrie ist geprägt von veränderten Produktionsstrukturen, einer global verteilten Produktion sowie hohen Anforderungen an die Herstellungsprozesse. Unternehmen müssen auf sinkende Absatzmengen und spezifischere Produktanforderungen reagieren und stehen unter dem Druck, kostengünstiger, schneller und flexibler für regionale Märkte zu produzieren. Insbesondere in streng regulierten Branchen wie der Pharmaindustrie sind hohe Durchlaufzeiten charakteristisch und stellen einen wesentlichen Ansatzpunkt für die Prozessoptimierung dar.
Ein methodischer Ansatz zur Optimierung von Herstellungsprozessen beispielsweise ist, die Durchlaufzeit (DLZ oder lead time, engl.) zu reduzieren. Schnell gesagt, aber alles andere als einfach. Es gilt nämlich, jeden einzelnen Teilprozess zu durchleuchten und auf mögliche Reduzierungen bzw. Optimierungen hin zu überprüfen.
Mit Lean-Maßnahmen Prozesse effizienter gestalten
Lean Manufacturing bietet hier eine Reihe von anwendbaren Methoden, Techniken und Werkzeugen zur Optimierung. Wobei schon vor der „Lean-Zeit“ Methoden im Einsatz waren, um die DLZ zu reduzieren. Eine davon war z.B. die Prozessflussanalyse, in welcher der Prozess nach den Anteilen wie Bearbeitung, Transport, Kontrolle, Verzögerung und Lagerung unterteilt wurde. Viele solcher Projekte sind schließlich in der Umsetzung nicht erfolgreich gewesen, weil der ganzheitliche umfassende Ansatz seinerzeit fehlte. Mit der aus der japanischen Automobilindustrie abgeleiteten Lean-Philosophie ist nun die gesamte Organisation in die Reduktion der DLZ eingebunden. Dies erhöht die Chancen zur Reduktion der DLZ beträchtlich.
Quelle: profact AGAbb. 1 Messbare Kriterien im Prozess – Im Fokus einer Prozessoptimierung nach Lean-Kriterien stehen wertschöpfende Tätigkeiten. Die Maßnahmen zielen auf die Reduzierung von Verschwendung.
Das Konzept der sogenannten schlanken Produktion (lean production) wurde ursprünglich von Toyota entwickelt und Anfang der 1990er-Jahre in der Literatur als Toyota-Produktionssystem (TPS) bezeichnet und bekannt [1,2]. Die aus diesem Ansatz erwachsenden Wettbewerbsvorteile wurden u.a. in einer Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) aufgezeigt [3,4] und haben sich als Lean Management etabliert. Die Methoden sind darauf gerichtet, Verschwendung im Prozess (jap.: „Muda“) konsequent zu vermeiden und somit lange DLZ und damit einhergehende Kosten zu reduzieren. Gleichzeitig gilt es, durchgehend eine hohe Qualität zu sichern. Lean-Maßnahmen haben wertschöpfende Tätigkeiten oder Prozessschritte ohne Verschwendung von Ressourcen (vor allem Zeit!) im Fokus (siehe Abb. 1).
Die These, dass dies im hochregulierten GMP/GLP-Umfeld nicht möglich sei, kann mit der bestehenden langjährigen Erfahrung nicht unterstützt werden. Es geht mit dem Lean-Prinzip ja nicht in erster Linie um eine Arbeitsverdichtung und ggf. um Einbußen bei der Qualität, sondern um die Zielsetzung, effizienter, aber nicht schwerer zu arbeiten. Dabei steht der Mensch im Mittelpunkt.
Das Labor als Taktgeber im Wertschöpfungsprozess
Das für die forschungs- und technologieintensiven Branchen typische Labor ist quasi ein interner Dienstleister, der eine wichtige Rolle im Wertschöpfungsprozess spielt und meist den Takt für die nachfolgenden Schritte vorgibt. Dabei laufen dessen Prozesse nicht immer mit der Produktion synchron ab. Die Arbeitsabläufe im Labor sind komplex und oft intransparent, aber stets kritisch für die Fertigung. Lange Freigabezeiten hängen meistens von zwei Problemkreisen ab:
- Wirkliche Abweichungen (deviations) im Hauptprozess – es stellt die primäre Aufgabe der Qualitätskontrolle dar, dies herauszufinden. Die Hauptprozesse sollen eine erste Durchlauf-Ergebnisrate (first pass yield, FPY) von mindestens 95% aufweisen. Das heißt aber nicht, dass diese Laborprozesse effizient, sprich nicht lean, sein müssen. U.a. beschreibt die Messgröße FPY die Anzahl freigegebener Chargen je Vollzeitäquivalent (full time equivalent, FTE) und die Anzahl der Freigaben ohne Prozessabweichung etc.
- Eigens verursachte Verzögerungen im Laborprozess sind weitere mögliche Ursachen, welche zu beachten sind – beispielsweise können Genehmigungen lange dauern, weil Laborpersonal fehlt, Analysegeräte nicht einsatzbereit sind, Laborverbrauchsmaterial beziehungsweise benötigte Chemikalien ausgegangen sind oder generell die Prozesse nicht lean aufgebaut sind.
Quelle: Mettler-Toledo, D. Fuchs; profact, E. StuderAbb. 2 Beispiel einer Lean House-Visualisierung bezogen auf das Laborumfeld
In Fertigungsprozessen herrscht seit Jahren der strategische Ansatz, die Durchlaufzeiten zu optimieren [vgl. 5]. Hier hat sich die Umsetzung moderner Lean-Konzepte erfolgreich etabliert und lässt sich ebenfalls auf das Laborumfeld übertragen. Dazu gehören alle pharmazeutischen, medizinischen und chemischen Labore. Im Vergleich zur Fertigung gelten viele, wenn nicht sogar die meisten der wichtigsten Prinzipien der traditionellen Lean-Techniken. Oft werden diese in einen ganzheitlichen Zusammenhang gestellt und als Säulenmodell oder als sog. lean house grafisch dargestellt. Davon abgeleitet haben wir für die spezielle Umgebung des Labors ein Lean-House-Modell entwickelt (Abb. 2).
Ansätze für Lean-Lab-Methoden mittels Wertstromanalyse
© profact AGAbb. 3 Analyse der Durchlaufzeiten mit ihren wertschöpfenden und nicht wertschöpfenden Arbeitsschritten
Qualitätssicherung und -kontrolle (QA/QC) haben eine wesentliche Funktion für die Wertschöpfung im Unternehmen. Problematisch ist, wenn sich ein Labor als getrennten Bereich versteht und nicht berücksichtigt wird, welche Auswirkungen die Laborabläufe auf die Produktion haben. Eine Methode, um diese Nahtstelle zu optimieren, stellt die Wertstromanalyse/ Prozessanalyse (value stream mapping) dar, ein Instrument des Lean Management, um Prozesse zu verstehen. Es geht darum, alle erforderlichen Prozesse einer Unternehmung hinsichtlich Durchlaufzeiten, Beständen (Materialfluss) sowie Schnittstellenkommunikation (Informationsfluss) zu durchleuchten. Kennzahl der Wertstromanalyse ist der Anteil der reinen Bearbeitungszeit an der gesamten Durchlaufzeit (lead time). Die reine Bearbeitungszeit kann lediglich 15 Minuten betragen, auch wenn die gesamte Durchlaufzeit zwei Wochen beträgt. Der Rest sind Liegezeiten, Wartezeiten, Abklärungen – kurz Nicht-Wertschöpfung, welche es gilt zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren (siehe Abb. 3).
Für eine Umsetzung der Wertstromanalyse im Labor bedeutet dies insgesamt:
- Auftragsstrukturanalyse und Wertstromanalyse (Anteil des Labors an der gesamten Durchlaufzeit)
- Bestimmung wertschöpfender und nicht wertschöpfender Arbeitsgänge, Visualisieren der Arbeitslast (Kanban Board), Bewegungsanalyse (Spaghetti-Diagramm), etc.
- Implementierung von Kaizen bzw. des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP)
- Arbeitsplatzoptimierung nach der 5S-Methode unter Einbezug der Gerätehersteller
- Etablierung von Shop-Floor-Score-Board [6,7] (dtsch.: Anzeigetafel, siehe Abb. 4) und Shop-Floor-Management [8] (dtsch.: Führen vor Ort)
Bild: profact AGAbb. 4 Beispiel für ein Prozessmapping. Die Wertstromanalyse verläuft in acht Einzelschritten: 1. Kundendaten festlegen, 2. Beteiligte Funktionen/Stellen eintragen, 3. Feststellen der prozessauslösenden Stellen, 4. Grundlegende Prozessschritte aufnehmen, 5. Prozessschritte, Schnittstellen und Informationsflüsse bewerten, 6. Den externen Material- und Dienstleistungsfluss aufnehmen, 7. Auftragen der Zeitlinie mit Prozess- und Durchlaufzeiten und 8. Erste Handlungsfelder erkennen (siehe Abb. 3).
Benchmarks oder Vergleichswerte helfen, gemessene Teilprozessschritte in einem Labor besser beurteilen zu können und Ansatzpunkte für Lean-Maßnahmen zu identifizieren. Ein Beispiel hierfür kann die Setup- und Wechselzeit einer Laborwaage oder eines Titrators sein, die unter 10 Minuten zu kommen hat. Leider liegen in dem Fall die Zeiten im Labor weit darüber. Die reine Messzeit (Wertschöpfung) dauert dagegen oft nur drei oder vier Minuten je nach Gerät. Oder Geräte werden täglich kalibriert, obwohl Normen oder Standards wie USP Chapter 41 eine Ausdehnung ermöglichen. Diese wird aber nicht genutzt. Mehr zu testen als nötig ist, erhöht auch das Risiko von fehlerhaften Geräteüberprüfungen und Dokumentationen. Werden Geräte nicht regelmäßig gewartet, um die Jahreswartungskosten zu senken, so kann das zur Folge haben, dass die Geräte über die Zeit signifikant langsamer messen, was nicht festgestellt oder bedacht wird. Der Fokus ist falsch an den falschen Orten zentriert. Werden die Erkenntnisse aus der Wertstromanalyse rigoros als roter Leitfaden verfolgt und umgesetzt, kann eine Stunde pro Tag an Effizienzsteigerung im Laboralltag schnell erreicht werden.
Fazit
Einfachste und kleinste Änderungen können die effektivsten Verbesserungen bewirken. Die Umsetzung des Lean-Management-Ansatzes im Labor bietet wirtschaftlich sinnvolle und einfach zu implementierende Methoden, um Arbeitsplätze und Prozesse zu optimieren. Ein zentraler Aspekt ist hierbei die Reduzierung der Durchlaufzeiten. Zu Beginn der Optimierungsmaßnahmen sollte eine detaillierte Analyse der Prozesse stehen, die alle Arbeitsplätze und -abläufe umfasst.
Erklärung zum Interessenkonflikt:
Erwin Studer ist geschäftsführender Partner der profact AG, Schweiz und hat das Unternehmen Mettler-Toledo auf dem Gebiet Lean Management und Prozessoptimierung auch schon mit seinem Wissen im Labor beraten. Daniel Fuchs ist Spezialist für Lean Management for Services bei Mettler-Toledo.
Glossar
Durchlaufzeit: Die Zeitspanne, die zwischen dem Start eines Prozesses und seiner Beendigung vergeht
Work-in-Process (WIP): Ware in Arbeit oder Umlaufbestand, Bezeichnung für Rohstoffe, Materialien und Bauteile, die in die Produktion fließen und als teilfertige Erzeugnisse auf die Fertigstellung warten. Diese Werte sind aktuell nicht im Bestand erfasst
Right-First-Time (RFT): Eine Aufgabe beim ersten Arbeitsgang perfekt und einwandfrei erstellt
Muda jap.: Verschwendung oder nicht wertschöpfende Tätigkeit oder Arbeitsschritt. Kein Mehrwert für den Kunden
Kanban jap.: Kanban ist ein Kontrollsystem zur Verbesserung der Übersicht und Kontrolle des Inventars oder von Arbeitsaufgaben
Continuous Improvement Process (CIP/KVP): Kontinuierlicher Verbesserungsprozess
5S: Methode zur Arbeitsplatzorganisation, 5S steht für: Sortieren, Sichtbare Ordnung, Sauberhalten, Standardisieren, Standards einhalten und verbessern
Single Minute Exchange of Time (SMED): Setup- und Wechselzeit eines Gerätes oder Arbeitsplatz-Kenngröße, welche unter 10 Minuten sein müsste
Gemba jap.: Arbeitsplatz oder Ort, an dem Wertschöpfung für den Kunden produziert wird
Kaizen jap.: „Wechsel zum Besseren“
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Kategorie: Labormanagement | Lean Laboratory
Literatur:
[1] Ohno, Taiichi (1988) Toyota Production System – Beyond Large-Scale Production, New York, 1st Edition, Productivity Press
[2] Ohno,Taiichi (1993) Das Toyota-Produktionssystem, Dt. Übers. von Wilfried Hof, Frankfurt am Main/New York, Campus-Verlag
[3] Womack, J. P.; Jones, D. T.; Roos, D. (1990) The Machine that Changed the World – Based On The Massachusetts Institute of Technology 5-Million-Dollar 5-Year Study On The Future Of The Automobile, Rawson Associates, New York, NY, Simon & Schuster Inc.
[4] Womack, J. P.; Jones, D. T.; Roos, D. (1996) Lean Thinking: Banish Waste and Create Wealth in Your Corporation, New York, Simon & Schuster Inc.
[5] Käschel, J., Teich, T. (2004) Produktionswirtschaft, Chemnitz, GUC Gesellschaft für Unternehmensrechnung und Controlling
[6] Fuchs, D. (2018) Whitepaper: The Success Factors of a Shop Floor Board Meeting, Greifensee, Schweiz, Mettler-Toledo GmbH
[7] Hurtz, A., Strotz, M. (2013) Shop Floor Management: Wirksam Führen vor Ort, Göttingen, Deutschland, BusinessVillage, 3. Auflage 2016
[8] Suzaki, K. (1993) The New Shop Floor Management (Neuauflage 2010), New York, USA, The Free Press
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Publikationsdatum:
12.12.2018