Licht ist ein leistungsfähiges Werkzeug, um eine große Vielfalt von chemischen Prozessen zu kontrollieren. Der Einsatz von spezifischen, photochromen Molekülen erlaubt Chemikern, Reaktionen reversibel und mit einer hohen räumlichen sowie zeitlichen Auflösung durchzuführen. An der Humboldt-Universität zu Berlin wurde darauf basierend eine neue Methode entwickelt, Polymerisationen mit Hilfe eines photoschaltbaren Katalysatorsystem zu regulieren.
Plastik hat sich innerhalb der letzten Jahrzehnte zu einem fundamentalen Bestandteil unserer Gesellschaft etabliert und kann in beinahe jedem Industriesektor angetroffen werden, angefangen bei Verpackungsmaterial bis hin zu Raumschiffen. Die zahlreichen Eigenschaften von Polymeren, wie hohe Robustheit, geringes Gewicht, Korrosionsbeständigkeit und Transparenz, machen diesen Werkstoff zu einem idealen Material für viele Anwendungen. Obgleich Polymere in ihrer einfachsten Form nur die Aneinanderkettung von kleinen molekularen Bausteinen, den Monomeren, darstellen, verfügen sie über eine äußerst hohe chemische Beständigkeit – der ursprünglich große Pluspunkt von Kunststoffen. Allerdings erweist sich diese Eigenschaft zunehmend als problematisch, da sich erdölbasierte Kunststoffe in der Natur nicht zersetzen – als Konsequenz können diese für Jahrhunderte in unserer Umwelt verweilen und in Form von kleinen Partikeln (Mikroplastik) in die Nahrungskette gelangen und somit zu noch unabsehbaren Spätfolgen führen. Geschätzte 8,3 Milliarden Tonnen Plastik wurden bis heute weltweit produziert, wobei 79 % des Plastikabfalls auf Mülldeponien gelagert, 12 % verbrannt und nur 9 % recycelt wird [1]. Als Resultat sind Kunststoffe mittlerweile allgegenwärtig in der Umwelt anzutreffen, wodurch sich eine globale Umweltkrise abbildet.
Effektives und verstärktes Recycling, Reduktion des Kunststoffverbrauchs und die Wiederverwendung von Plastikprodukten sind zentrale Strategien, um dem menschgemachten Problem Einhalt zu gebieten [2]. Ein weiterer vielversprechender Lösungsansatz ist der Ersatz von erdölbasierten Kunststoffen, wie Polyethylen (PE) oder Polypropylen (PP), durch bioabbaubares Plastik. Polylactid (PLA) ist der meist verwendete Kandidat eines biokompatiblen und darüber hinaus bioabbaubaren Kunststoffes, der bereits erfolgreich als Verpackungsmaterial und in biomedizinischen Anwendungen (z.B. als chirurgisches Fadenmaterial) eingesetzt wurde [3]. Jedoch sind die Produktionskosten verglichen mit traditionellen Kunststoffen gegenwärtig noch zu hoch, um konkurrenzfähige Produktionsvolumina zu realisieren. Zudem limitiert die thermische Instabilität von PLA über 60 °C den Umfang der Einsatzmöglichkeiten [4]. Daher sind weitere Entwicklungen auf dem Feld von Polylactid oder ähnlichen bioabbaubaren Polymeren zwingend notwendig, um das Anwendungspotenzial zu steigern. In dieser Hinsicht sind neuartige und effiziente katalytische Methoden von zentraler Bedeutung, damit Fortschritte auf diesem wichtigen Forschungsgebiet herbeigeführt werden können [5].
Das Design eines photoschaltbaren Katalysatorsystems
Gemeinsam mit der Bundesanstalt für Materialforschung Berlin sowie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf haben wir nun ein einzigartiges Katalysatorsystem entwickelt, dessen Aktivität extern durch Licht verschiedener Farben programmiert werden kann, um fundamentale Eigenschaften der produzierten bioabbaubaren Makromoleküle in-situ zu regulieren (Abb. 1) [6].
Abb. 1 Funktionsweise eines photoschaltbaren Organokatalysators. Das ringoffene Phenol aktiviert die Monomere über Wasserstoffbrückenbindungen und ermöglicht dadurch das Kettenwachstum des Polymers (gezeigt am Beispiel von L-Lactid). UV-Licht wandelt den Katalysator in das unreaktive, ringgeschlossene Keton um, das durch Bestrahlung mit blauem Licht wieder reaktiviert werden kann.
Der Gebrauch von Photonen hat den großen Vorteil, dass Polymerisationsprozesse in einem geschlossenen System von außen ferngesteuert werden können, ohne das System hierbei öffnen zu müssen (beispielsweise um Substrate hinzuzufügen oder zu entfernen). Der nichtinvasive Charakter, die einfache Handhabung, die hohe zeitliche sowie örtliche Auflösung und das präzise Einstellen der Energie sind weitere Vorteile von Licht. Aus diesen Gründen wurde ein photoresponsiver Katalysator entwickelt, welcher reversibel zwischen zwei Zuständen mit orthogonalen Eigenschaften geschaltet werden kann. Hierbei handelt es sich um einen Organokatalysator, welcher aus einem typischen photoschaltbaren Diarylethen besteht, das an einer Seite eine Phenolgruppe trägt. In der ringoffenen Form vermag die phenolische Einheit das Monomer, z.B. l-Lactid, mittels Wasserstoffbrückenbindungen zu aktivieren. Die Bestrahlung mit ultraviolettem (UV) Licht induziert eine elektrozyklische Ringschlussreaktion, wodurch sich zu Beginn die ringgeschlossene Enolform bildet, welche daraufhin thermisch zu der entsprechenden und energetisch stabileren Ketonspezies tautomerisiert – dieser Prozess wurde neu als „Photoumpolung“ bezeichnet [7]. In diesem Zustand ist die Fähigkeit als Wasserstoffbrückendonor zu fungieren temporär unterdrückt und als Konsequenz kann keine Monomeraktivierung stattfinden. Die Aktivität des Katalysators ist somit ausgeschaltet! Mit sichtbarem Licht lässt sich dieser Prozess wieder umkehren, wodurch die ursprüngliche Aktivität wiederhergestellt wird. In Synergie mit einer tertiären Aminbase, welche als Kokatalysator zur Aktivierung des Polymerkettenendes agiert, kann somit die lebende Ringöffnungspolymerisation von diversen zyklischen Monomeren durchgeführt werden.
Licht bestimmt den Polymerisationsverlauf
Nach einer erfolgreichen (sechsstufigen) Synthese des photoschaltbaren Phenols, wurden zunächst die photochemischen Eigenschaften analysiert. In UV/VIS-spektroskopischen Experimenten überzeugte das photochrome Molekül mit einem exzellenten Verhalten basierend auf (beinahe) vollständigen Photoreaktionen in beide Richtungen, d.h. sowohl Ringschluss als auch Ringöffnung, und einer hohen Robustheit, selbst über viele Schaltzyklen hinweg. Im Anschluss wurde das katalytische Tandem bestehend aus dem photoschaltbaren Phenol und einer Base in zwei Schlüsselexperimenten eingesetzt, um sowohl Homo- als auch Kopolymerisationen in einem geschlossenen System zu regulieren.
Abb. 2 Kontrolle über die Kettenlänge von Poly(L-lactid) (A) und die Zusammensetzung von Trimethyl-encarbonat/δ-Valerolacton Kopolymeren (B) mit Licht.
In dem ersten Experiment wurde die Polymerisation von l-Lactid durch die alternierende Bestrahlung mit UV- und sichtbarem Licht reguliert. Als Resultat wurde die Verknüpfung von Monomerbausteinen nach der Beleuchtung mit UV-Licht angehalten und mittels sichtbaren Lichts wieder aufgenommen – diese An/Aus-Zyklen konnten drei Mal wiederholt werden ohne erkennbare Einbußen hinsichtlich der Katalysatoraktivität (Abb. 2A). Zudem wurden die lebende Natur der Ringöffnungspolymerisation sowie charakteristische Eigenschaften des hergestellten Polylactids (geringe Dispersität, präzise Endgruppenkontrolle und einstellbares Molekulargewicht) durch die Bestrahlungsschritte nicht beeinträchtigt.
In einem zweiten Experiment wurde die Kopolymerisation eines zyklischen Carbonats (Trimethylencarbonat, TMC) und eines Lactons (δ-Valerolacton, VL) mit Hilfe des dualen Katalysatorensystems hinsichtlich der Monomerzusammensetzung des Polymerrückgrats kontrolliert (Abb. 2B). In vorangegangenen Versuchen konnte demonstriert werden, dass das ringoffene Phenol zwar die Polymerisation von VL beschleunigt, allerdings die Reaktionsgeschwindigkeit von TMC nicht beeinflusst, während das ringgeschlossene Keton wiederum keinerlei Aktivität zeigte. Unter optimalen Bedingungen wurden beide Monomere miteinander vermengt und kopolymerisiert, wobei zu Beginn des Experiments das ringgeschlossene Keton eingesetzt wurde. Nach einer Reaktionszeit von 20 Stunden ergab sich ein Verhältnis von inkorporierten Monomeren, das auf der Seite des Carbonats lag. Die Reaktionsmischung wurde daraufhin mit sichtbarem Licht bestrahlt, um den Photoschalter vollständig in das aktive Phenol zu überführen. Als Konsequenz erhöhte sich die Polymerisationsgeschwindigkeit des Lactons deutlich, wodurch eine Umkehr des Monomereinbaus und somit der Zusammensetzung des zweiten Kopolymerblockes erzielt werden konnte.
Zukünftige Herausforderungen und Ausblick
Kettenlänge, Molekulargewicht sowie Monomerzusammensetzung sind fundamentale Parameter von Kunststoffen, welche sowohl deren physikalische als auch chemische Eigenschaften maßgeblich prägen. Zum Beispiel wird dadurch das Zersetzungsverhalten von bioabbaubaren Polymeren, welches primär durch Hydrolyse labiler Esterverknüpfungen hervorgerufen wird, entscheidend bestimmt. Die Kontrolle über diese Faktoren mit Hilfe von Licht ferngesteuerten Katalysatoren stellt somit ein vielversprechendes Werkzeug dar, Kunststoffeigenschaften präzise einzustellen und nach den jeweiligen Ansprüchen maßzuschneidern, wodurch weitere Entwicklungen auf dem Gebiet bioabbaubarer Polymere ermöglicht werden sollen. Eine wichtige Herausforderung besteht in der Entwicklung inhärent aktiverer, photoschaltbarer Katalysatoren mit dem Ziel, Reaktionszeiten zu minimieren und zugleich das Molekulargewicht der hergestellten Kunststoffe zu erhöhen. Darüber hinaus verweisen die Ergebnisse dieser Studie auf zukünftiges Anwendungspotenzial der grundlegenden Arbeiten im Bereich von 3D-Druck oder Photolithographie.
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Infobox
Photoschaltbare Moleküle
Schaltverhalten prominenter Schalterklassen: Azobenzole und Stilbene (A), Spiropyrane/Merocyanine (B) und Diarylethene (C)
Photoschaltbare Moleküle sind organische Verbindungen, die in zwei verschiedenen (meta)stabilen Zuständen existieren können. Diese Isomere unterscheiden sich in ihren jeweiligen Eigenschaften, insbesondere in ihrem Absorptionsverhalten, wodurch es möglich ist, diese Zustände durch Bestrahlung mit Licht unterschiedlicher Wellenlängen ineinander zu überführen. Die Grafik verdeutlicht das Schaltverhalten prominenter Schalterklassen: Azobenzole und Stilbene (A), Spiropyrane/Merocyanine (B) und Diarylethene (C).
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Literatur:
[1] Geyer, R., Jambeck, J. R., Law, K. L. (2017) Production, use, and fate of all plastics ever made, Sci. Adv., 3, e1700782, DOI: 10.1126/sciadv.1700782
[2] (2018) The future of plastic, Nat. Commun. 9, 2157, DOI: 10.1038/s41467-018-04565-2
[3] Nair, L. S., Laurencin, C. T. (2007) Biodegradable polymers as biomaterials, Prog. Polym. Sci., 32, 762–798, DOI: 10.1016/j.progpolymsci.2007.05.017
[4] Jamshidian, M. et al. (2010) Poly‐Lactic Acid: Production, Applications, Nanocomposites, and Re-lease Studies, Compr. Rev. Food Sci. Food Saf., 9, 552–571, DOI: 10.1111/j.1541-4337.2010.00126.x
[5] Zhang, X., Fevre, M., Jones, G. O., Waymouth, R. M. (2017) Catalysis as an Enabling Science for Sustainable Polymers, Chem. Rev. 118, 839–885, DOI: 10.1021/acs.chemrev.7b00329
[6] Eisenreich et al. (2018) A photoswitchable catalyst system for remote-controlled (co)polymerization in situ, Nat. Catal, 1, 516-522, DOI: 10.1038/s41929-018-0091-8
[7] Kathan et al. (2018) Light-driven molecular trap enables bidirectional manipulation of dynamic cova-lent systems, Nat. Chem. 10, 1031–1036, DOI: 10.1038/s41557-018-0106-8
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Publikationsdatum:
25.10.2018