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Wie fit sind wir für die digitale Transformation im Labor?

Smarte und vernetzte Lösungen ebnen den Weg in das Labor der Zukunft

Dr. Christoph Jansen (Mettler-Toledo GmbH)

Labor 4.0, Internet of Things (IoT), Big Data, Cloud Computing oder Storage, Blockchain, Cybercrime, Thingbots, Predictive Maintenance, Künstliche Intelligenz et al. Das Dickicht an Schlagworten ist kaum lichtdurchlässig. Diese Begriffe fehlen in keinem Medienbericht, wenn es um Digitalisierung und Zukunftsfähigkeit geht. Die Technologie, die dahintersteht, ist hochkomplex und die Zusammenhänge schwer zu fassen. So ist es eine Herausforderung, basierend auf dem, was man versteht, unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Auch im Labor hat der digitale Wandel längst begonnen. Seine zentralen Elemente wie Vernetzung und intelligente Maschinen bzw. Geräte eröffnen schon heute zukunftsorientierte Lösungen und effiziente Arbeitsprozesse.

Digitalisierung, Themen und Trends

Zu Beginn soll das übergeordnete, unverzichtbare Thema Sicherheit in den Blickpunkt gerückt werden. Die Digitalisierung generiert elektronisch verarbeitbare Datenformate aus analogen Informationen. Diese Daten sind ein wertvolles Gut, das es zu schützen gilt, ebenso wie Systeme, Hard- und Software. Internet und Datennetze eröffnen vielfältigste Möglichkeiten, illegal Daten abzugreifen oder Systeme mittels Schadsoftware zu infizieren und zu manipulieren. Ein hohes Risiko bergen internetfähige Endgeräte (IoT-Geräte), die unbemerkt infiziert und als sogenannte Thingbots missbraucht werden können [1]. Die Firma Cybersecurity Ventures schätzt, dass der jährliche Schaden durch Cybercrime im Jahre 2021 auf 6 Billionen US-Dollar ansteigen wird [2]. Im Jahr 2017 wurden 86,4 Milliarden US-Dollar allein für Datensicherheit ausgegeben. Dennoch gibt es angesichts der Cyberattacken keinen Zweifel daran, dass unsere Daten nur schwer geschützt werden können und dass dafür Profis nötig sind. Bei aller Euphorie über die Digitalisierung sollte der Komplex Sicherheit und Datenschutz immer im Fokus stehen.

Der Begriff „Internet of Things“ (IoT, Internet der Dinge) steht für die Vernetzung von „intelligenten“, d.h. mit Prozessoren und eingebetteten Sensoren ausgestatteten Objekten, die untereinander und mit dem Internet verbunden sind und so kommunizieren und autonom agieren können. Für den Industriesektor hat sich der Begriff Industrial Internet of Things (IIoT) etabliert. Die unter IoT subsummierten Technologien stellen die Basis für die sogenannte vierte industrielle Revolution dar, die in Deutschland als „Industrie 4.0“ bezeichnet wird. Die beliebtesten IIoT-Anwendungsbeispiele wurden in einer Umfrage des IoT Institutes, New York unter 73 Fachleuten ermittelt. (Abb. 1.) [3]. Daraus lässt sich für die Laborwelt bereits vieles lernen.

Abb. 1 Eine Auswahl der beliebtesten IIoT-Anwendungsbeispiele nach einer Umfrage des IoT-Institutes, New York unter 73 Fachleuten [3]

Ein wesentlicher Aspekt ist, dass einzelne Komponenten des Arbeits- bzw. Produktionsablaufs ihre Informationen, ihre über die eingebetteten Sensoren eingesammelten Daten den anderen Instanzen zur Verfügung stellen und sich einbringen, ohne dass ein Arbeiter mit dem Klemmbrett die Daten der einen notieren muss und der nächsten mitteilt. Mit den behördlichen Vorschriften über die totale Rückführbarkeit von Daten genügt es nicht, einzelne Ergebnisse zu übertragen. Ein ganzer Datensatz an Informationen über das Gerät und den Anwender (User ID), den Kalibrierzustand, Seriennummer, Zeit/Datum und ähnliches gehören zum Ergebnis. Diese „Metadaten“ jeweils manuell mitzuschreiben und zu übertragen, kann den Prozess sehr stark verlangsamen und birgt das Risiko von Übertragungsfehlern. Es drängt sich der Wunsch auf, den Geräten oder Komponenten die Kommunikationsfähigkeit mitzugeben, diese Daten der nächsten Instanz automatisch mitzuteilen.

Anfang 2018 wurde „Blockchain“ als einer der wichtigsten Trends für das neue Jahr vorhergesagt [4, 5]. Dahinter verbirgt sich eine Art dezentrale Datenbank. Die Technologie zur Transaktion und Verwaltung von Daten gilt als fälschungssicher und unangreifbar. Sie benötigt keinen Administrator, die Sichtbarkeit der Daten kann zugeordnet werden, diese sind verifizierbar. Das berühmteste Beispiel hierfür ist zweifellos der Bitcoin. Bei der Blockchain-Technologie werden an eine Kette von Datensätzen neue Datensätze anfügt. Die neue Information wird kryptografisch mit Informationen aus dem vorgehenden Datensatz verknüpft. Jeder Eintrag wird mit Datum und Zeitstempel versehen und der Anwender wird ebenfalls erfasst. Das klingt tatsächlich nach der idealen Lösung für viele der Wünsche auch für Labordaten. Zentrale Anforderungen an die Datenintegrität, wie sie in WHO-Guidelines und cGMP-Regulatorien der FDA als ALCOA-Prinzip (attributable, legible, contemporaneous, original, accurate) zusammengefasst sind [6, 7], würden erfüllt. Für die Entwicklung von Geräten für die Laboranalytik ist der Einsatz einer Blockchain-Plattform nach Bitcoin-Vorbild aufgrund des enormen Energieverbrauches, siehe Digiconimist [8], allerdings fraglich. Zudem gibt es bereits Berichte, dass Blockchain-Prozesse auch vermehrt im Fokus von Hackern stehen [9]. Doch auch die Blockchain-Technologie entwickelt sich weiter. So ist durchaus denkbar, dass künftige Standards in Mettler-Toledo-Workflows integriert werden können und einen Mehrwert erzeugen, indem sie z.B. das Vertrauen in die Datenintegrität von Laborprozessen erhöhen.

„Big Data“ ist ein weiterer Riesenhype. Hinter dem Begriff steckt zunächst das Sammeln von allen verfügbaren Daten. Ziel ist, sie später zu analysieren und mit geeigneten Algorithmen zu bearbeiten, um Muster zu erkennen, die man dem einzelnen Datensatz nicht zu entlocken vermag. Allerdings ist es auch ein wenig wie bei der Schatzsuche. Nicht jede Schaufel enthält Gold und selbst wenn man Muster erkannt hat, geben sie nicht automatisch Antworten. Ein erfolgreiches Beispiel im wissenschaftlichen Bereich ist die Sequenzierung von DNA, die die Lebenswissenschaften revolutioniert hat. Bedingt durch die immer sensitiveren und automatisierten Messmethoden und die zunehmende Digitalisierung werden riesige Datenmengen erzeugt. Die Herausforderung ist es, mittels geeigneter Tools den in den Datensammlungen enthaltenen Informationsschatz zu heben und in nutzbares Wissen zu verwandeln.

Smarte Lösungen für das Labor

Für Hersteller von Laborgeräten lautet die zentrale Frage, wie die Anwender von den Trends der Digitalisierung profitieren können und dabei die Risiken minimiert werden. Ein Unternehmen wie Mettler-Toledo wägt stark ab, welche Konzepte Potenzial haben. In der Entwicklung wurde beispielsweise Gerätekomponenten einige Intelligenz mitgegeben, um sich sinnvoll in den Datenfluss einzubringen. Die Komponenten sind jedoch auch „dumm“ genug, um nicht als Thingbots missbraucht zu werden. Die eingesetzte RFID-Technologie (radio frequency identification) übermittelt Daten via Funkerkennung. Die RFID-Chips haben ein kleines Gedächtnis und können kontaktlos beschrieben und gelesen werden. Sie beziehen den nötigen Strom dazu aus Induktion.

RFID-Einsatzbeispiele

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Abb. 2 Daten werden kontaktlos via Funkerkennung (RFID) übermittelt.

Die Technologie setzt Mettler-Toledo beispielsweise bei Autotitratoren ein. Die Büretten können lernen und weitergeben, an welche Chemikalien sie angeschlossen sind, was die nominelle Konzentration ist und wie der derzeitige Titer ist, also die genaue Konzentration. pH-Sensoren lernen und vermitteln die Kalibrationsinformation mit Zeit und Datum, so kann eine notwendige Kalibrierung nicht übersprungen werden. Durch fehlende, veraltete oder falsch übertragene Kalibrationsdaten bedingte ungültige Ergebnisse werden folglich verhindert (Abb. 2).

RFID wird auch im geräteübergreifenden Datenfluss eingesetzt. Die meisten Probenflüsse beginnen mit einer genauen Einwaage der Probensubstanz. Statt die Einwaage zu notieren oder auszudrucken, wird sie zusammen mit einigen Metadaten auf einen RFID-Chip unter dem Probengefäß, z.B. einen Titrierbecher geschrieben und so zum sogenannten SmartSample™ (Abb. 3).

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Abb. 3 Moderne RFID-Technologie macht die Probe intelligent und ermöglicht einen geräteübergreifenden automatisierten Datenfluss. Einwaage und Metadaten sind auf einem RFID-Chip unter dem Probengefäß, z.B. einem Titrierbecher, gespeichert.

Am Folgegerät, eben z.B. einem Autotitrator, wird diese Information automatisch eingelesen, ohne manuell eingreifen zu müssen. Keine Tippfehler, keine Verwechslungen und sauber automatisch dokumentierbar. 

In der Entwicklung sind aktuell „SmartChemicals“. In Zusammenarbeit mit Herstellern von Titrationsmitteln und Standards wird daran gearbeitet, die Originalflaschen mit RFID-Chips auszustatten, die Identität, Batchnummer, Herstelldatum, Haltbarkeit etc. enthalten, um eine automatische Rückführbarkeit bis ins Detail zu gewährleisten.

Ein weiteres RFID-Anwendungsbeispiel sind Mikropipetten. Diese sind als untreue Wesen bekannt – sie können sehr leicht das Labor wechseln und es besteht Unklarheit, wo z.B. die Pipette hin ist, die man zur Seite gelegt hat, weil eine Kalibration fällig ist (Abb. 4).

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Abb. 4 Ein verbreitetes Problem: Wo ist die Pipette? Eine intelligente Pipettenstation, verbunden mit einem Computer, schafft Abhilfe und hat alle drahtlos angeschlossenen Mikropipetten per RFID im Blick. Das ist Asset-Management im Sinne von IIoT.

Eine Lösung für dieses Problem stellt eine intelligente Pipettenstation dar. So sind im sogenannten SmartStand RFID-Leser eingebaut, die entsprechende Chips der Mikropipetten lesen können. Auf einem Display wird der Status angezeigt und verbundene Software erlaubt die Lokalisierung der Pipette. Diese Technologie verhilft dem Labor Standardanweisungen zu befolgen und die GLP/GMP-Konformität zu wahren.

Selbst Kabelenden können lernfähig gemacht werden. Für den Betrieb eines großen Laborreaktors, für den mehrere Komponenten (wie zum Dosieren, Rühren, Messen verschiedener Parameter etc. pp.) zusammenzustellen sind, können diese mittels der SmartConnect-Technologie eingerichtet und in einer Steuerbox zusammengeführt werden. SmartConnect speichert die Konfiguration im Kabel und ermöglicht, die Apparatur immer wieder mit geringem Konfigurationsaufwand zusammenzustecken, zu steuern und im IC-Datacenter Daten zu sammeln.

Auch ohne RFID lässt sich Intelligenz und automatische Lesbarkeit auf Komponenten übertragen. Soll eine Waage mit einem externen Kalibrationsgewicht geprüft werden, so kann ein Gewichtskennzeichnungssystem verwendet werden. Hier ist die jeweilige eindeutige Identifikationsnummer des Prüfgewichts statisch als QR-Code auf der Unterseite des Gewichts eingeätzt. Das Kalibrierzertifikat wird auf einer Scheckkarte als QR-Code hinterlegt. Scannt man nun nacheinander Zertifikat und Gewicht über einem Lesegerät, so werden die Angaben automatisch verarbeitet.

Elektronische Gerätesteuerung in der Praxis

Die digitale Transformation ist ohne Software nicht komplett. Softwarevalidierung ist aufwändig und so auch die Pflege der Installation mit Updates etc. Will man diesen Aufwand für so einfache Komponenten wie Waagen oder pH-Meter überhaupt betreiben? Labors für pharmazeutische Produkte beantworten dies immer öfter mit „ja“. Der regulatorische Druck auf cGMP-Prozesse hat in den letzten Jahren derart zugenommen, dass elektronische Datenaufzeichnungen sehr im Trend sind.

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Abb. 5 Bis zu 80% der Laborgeräte lassen sich bereits heute mit zwei Standard-Software-Lösungen digital mit einem zentralen Labordatenverarbeitungssystem verbinden, wenn man ein Chromatographie-Datensystem (CDS) und LabX verwendet. Das vereinfacht den Implementierungsaufwand (incl. Validierung etc.) und die Wartung.

Eine Software zur Gerätesteuerung wie LabX ermöglicht, sehr viele Laborgeräte zu steuern. So können Waagen (inkl. eines automatischen hochpräzisen Dosiersystems), pH-Meter (inkl. Leitfähigkeit, Ionen etc.), Titratoren, Karl-Fischer-Titratoren, UV/VIS-Spektrometer, Dichte- und Refraktometer und Schmelzpunktgeräte in das Datensystem eingebunden werden. Schätzungen von Kunden gehen von über 40% der gesamten Laborgeräte aus. Algorithmen optimieren die Ergebnisse. User- und Methodenmanagement mit Audit Trail und Rohdatenarchivierung machen das Paket zu einer wichtigen Komponente im digitalisierten Labor (Abb. 5).

Um die Steuerungssoftware zu schützen, wurde das zentrale Gedächtnis so angelegt, dass die einzelnen kleinen Bediendisplays an den Geräten nur noch „Clients“ der Zentrale sind, obwohl die Routine-Bedienung nahezu identisch ist wie im „Stand Alone“-Modus. „Capture at Origin“ führt dazu, dass das einzelne Gerät keine Daten mehr speichert, seien es Ergebnisse, Zeitstempel oder Methodenprogramme. Die aufwändige Synchronisierung der Zeitmessung ist damit hinfällig und man verhindert, mit der falschen Methodenversion zu arbeiten. Schließlich lässt sich so auch der Audit Trail zentral verwalten. Die User-Verwaltung unterstützt „Active Directory“ und ist dadurch mit der Windowsverwaltung verknüpfbar. Gerade in Zeiten ständig wechselnder Passwörter bedeutet das eine enorme Erleichterung für Anwender und Administrator. Das zentrale LabX-Gedächtnis lässt sich mit den aktuellen Methoden der Kunst sichern. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass die Digitalisierung Einzug in die Labore gehalten hat und die Zukunftsfähigkeit von Geräten davon abhängt, wie smart und vernetzt sie sind. 

Fußnote: LabX, SmartSample, SmartStand und SmartConnect sind Marken der Mettler Toledo Gruppe.

Literatur:
[1] Riepen A., https://www.industry-of-things.de/neue-gefahr-thingbots-a-655363, 2017 Oct 23 (accessed on 2018 May 29)
[2] Morgan, S., https://cybersecurityventures.com/hackerpocalypse-cybercrime-report-2016/, 2017 Oct 16 (accessed on 2018 May 29)
[3] Schreier, J., https://www.industry-of-things.de/die-neun-beliebtesten-iiot-use-cases-a-658485/, 2017 Nov 02 (accessed on 2018 May 29)
[4] Schreier, J., https://www.industry-of-things.de/blockchain-wird-2018-das-iot-revolutionieren-a-671563/, 2017 Dec 14 (accessed on 2018 May 29)
[5] Streim, A., https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Blockchain-wird-zu-einem-Top-Thema-in-der-Digitalwirtschaft.html, 2018 Feb 20 (accessed on 2018 May 29)
[6] U.S. Department of Health and Human Services, Food and Drug Administration, https://www.fda.gov/downloads/drugs/guidances/ucm495891.pdf, 2016 April (accessed on 2018 May 29)
[7] Food and Drug Administration, www.fda.gov/Drugs/GuidanceComplianceRegulatoryInformation/Guidances/default.htm, 2018 Mar 16 (accessed on 2018 May 29)
[8] Digiconomist, https://digiconomist.net/bitcoin-energy-consumption (accessed on 2018 May 29)
[9] cash zweiplus ag, https://www.cash.ch/news/politik/it-sicherheit-kudelski-warnt-vor-cyberattacken-auf-blockchain-und-cloud-1170767, 2018 May 07 (accessed on 2018 May 29)

Publikationsdatum: 20.07.2018

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