Zeit, Kosten und personellen Aufwand senken – viele grundlegende sowie angewandte analytische und diagnostische Herausforderungen können mit Lab-on-a-Chip-Systemen realisiert werden. Sie erlauben die Verringerung von Probenmengen, die Automatisierung und Parallelisierung von Arbeitsschritten und sind bestens kombinierbar mit hochsensitiven analytischen Methoden. Die Gruppe Bioanalytik an der ETH Zürich ist auf die Entwicklung innovativer Lab-on-a-Chip-Technologien und deren breites Anwendungsfeld in biologischen und diagnostischen Fragestellungen spezialisiert.
Schneller, kostengünstiger und automatisiert: Wie kann man kleinste Volumina erzeugen, kontrollieren und analysieren?
Abb. 1 Konventionelle und mikrofluidische Instrumente zur Inkubation und Untersuchung von lebenden Zellen.
Viele biochemische und zellbiologische Tests werden heutzutage in Mikrotiterplatten mit 96 oder 384 Reaktionskammern durchgeführt. Durch Änderung in den Konzentrationen oder Reaktionsbedingungen werden dabei systematische Untersuchungsreihen erstellt. Das für einen Test verwendete Volumen an Probe und Reagenzien beträgt dabei üblicherweise zwischen 10 μl und einigen 100 μl (Abb. 1). Hierfür sind oft viele zeitintensive Arbeitsschritte einschließlich Pipettieren erforderlich, die eine hohe Fehleranfälligkeit aufweisen. Bei einer steigenden Anzahl an Tests wächst entsprechend auch der Zeit- und Personalbedarf stark an. Mikrofluidische Systeme – auch Lab-on-a-Chip genannt – erlauben es, die benötigten Probe- und Reagenzvolumina und damit einhergehend die Kosten pro Test um Größenordnungen zu senken und gleichzeitig eine Vielzahl von verschiedenen Experimenten parallelisiert in einem einzigen Chip durchzuführen (siehe Infobox) [1].
Modulare Bausteine auf kleinstem Raum
Mithilfe photolithographischer Prozesse und neuerdings auch durch 3D-Druckverfahren kann eine Vielzahl an fluidischen Operationen in einem kostengünstigen mikrofluidischen Chip auf einer Fläche von wenigen Quadratzentimetern kombiniert werden (siehe Abb. 2). Das Spektrum der integrierten Module reicht von einfachen Kanälen in der Größenordnung von 1 bis 500 μm, die eine Probelösung zu einem Sensor oder Detektor zu führen, bis hin zu sehr komplexen Systemen, in denen unterschiedliche Arbeitsschritte wie z. B. Wasch- oder Trennungsschritte automatisiert und parallel für Hunderte Proben gleichzeitig durchgeführt werden [2]. Neben Kanälen und Kammern sind heute auch aktive Elemente wie Ventile und Pumpen integrierbar, die zeitlich abgestimmtes Vermischen mit hoher Präzision und die Messung von dynamischen Prozessen (Kinetiken) mit hoher Zeitauflösung erlauben.
Die meisten gängigen Chipmaterialien (Glas und Polymere) sind transparent und daher bestens für optische Messmethoden einsetzbar. Daneben rücken zudem Schnittstellen von mikrofluidischen Systemen und anderen analytischen Methoden wie die Massenspektrometrie in den Fokus der Entwicklung [3].
Abb. 2 Auswahl an elementaren mikrofluidischen Operationen
Picoliter-Volumina – vielfältig einsetzbar und präzise kontrollierbar
Durch Verwendung von Ventilen oder durch Erzeugung von segmentierten Flüssen – der sogenannten Tropfenmikrofluidik – können kleinste Volumina in der Größenordnung von Pico- und Nanolitern reproduzierbar erzeugt werden [4]. Durch Ventile werden kleine Kammern abgegrenzt, die sich unter anderem zum Festhalten und zur Kultivierung von Zellen bestens eignen. Lebende Zellen können so über längere Zeiträume beobachtet werden, während sie – systematisch und zeitlich gesteuert – Testsubstanzen ausgesetzt werden. Der Flüssigkeitsaustausch in solchen Kammern erfolgt innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde (Abb. 3). Das Volumen innerhalb der Kammern ist durch die Form und die Anordnung der Ventile festgelegt, d. h. die abgemessene Menge – ob nL oder pL – ist immer identisch. Im Gegensatz zum Einsatz von Ventilen werden in der Tropfenmikrofluidik kleine Wasserkompartimente von einer nichtmischbaren Fluidphase umgeben, sodass schnell und reproduzierbar kleine Tropfen entstehen [3, 4]. Da die Tropfenerzeugung in sehr hoher Frequenz bis in den kHz-Bereich möglich ist, wird diese Strategie insbesondere für Hochdurchsatzanalysen verwendet.
Abb. 3 Waschschritt on-chip. Der gezeigte mikrofluidische Chip enthält integrierte, runde Ventile, hier kreisringförmige Stempel, die in den Kanal gedrückt werden und so kleine Kammern bilden. Bei geschlossenem Ventil wird ein Volumen von wenigen Hundert Picolitern eingeschlossen. Das Öffnen und Schließen des Ventils erlaubt einen vollständigen Flüssigkeitsaustausch innerhalb von ca. 200 ms, was in der Einzelzellanalytik z. B. für die Zufuhr eines frischen Wachstumsmediums oder als Waschschritt genutzt werden kann. Die Bilderserie hier zeigt eine eingeschlossene fluoreszierende Flüssigkeit, die durch Öffnen des Ventils durch die außen fließende, nicht fluoreszierende Pufferlösung ausgetauscht wird.
Neue Methoden in der Bioanalytik
Die Analyse von biologischen Proben, d. h. Bakterien- oder Zellkulturen, innerhalb ultrakleiner Volumina liefert einen detaillierten Einblick in eine Vielzahl biologischer Abläufe. Zellbasierte Studien eröffnen über die Grundlagenforschung hinausgehend zahlreiche Anwendungen, z.B. für Toxizitätsanalysen, in der Arzneimittelentwicklung, Biotechnologie und vielen weiteren Industriezweigen. Eine besondere Herausforderung hierbei ist die Analyse einzelner Zellen, von der man sich wertvolle Informationen für die Systembiologie, insbesondere über das Verhalten und die Anpassungsfähigkeit individueller Zellen, erhofft. Hierfür wird in unserer Gruppe eine Kombination aus hochempfindlicher Fluoreszenzmikroskopie und mikrofluidischen Chips eingesetzt.
Abbildung 4 zeigt ein Beispiel, bei dem die individuelle Zellantwort (hier der Anstieg des Botenstoffes cyclisches Adenosinmonophosphat, cAMP) nach Stimulierung mit einem Hormon (hier Lutropin) ermittelt wurde. Dazu werden einzelne Zellen (hier die Tumorzelllinie MLTC) in einem Array aus Miniaturkammern zunächst immobilisiert. Dies gelingt durch im Kanal positionierte Zellfallen, die aus zwei in geringem Abstand zueinanderstehenden Säulen bestehen. Auf diese Weise wird genau eine Zelle festgehalten, weitere Zellen jedoch passieren bereits besetzte Zellfallen. Nun können sequenziell verschiedene Stimulierungs- und Waschschritte ausgeführt werden. Anschließend werden die Zellen lysiert und die runden Ventile aktuiert, sodass das Lysat in einem 500 pL großen Volumen eingeschlossen ist. Die Menge an cAMP wird mittels eines kompetitiven Immunoassays ermittelt, bei dem das freigesetzte cAMP an spezifische Antikörper bindet. Mit dieser Methode lässt sich eine Dosis-Wirkungs-Kurve ermitteln, die sowohl die Mittelwerte vieler Zellen (rote Symbole) aufzeigt,als auch die Werte für individuelle Zellen (schwarze Symbole) beinhaltet (Graph in Abb. 4). Die Ergebnisse dokumentieren die starke Heterogenität der Zellantworten und unterstreichen somit die besondere Relevanz der Einzelzellanalytik [5].
Abb. 4 Ermittlung einer Dosis-Wirkungs-Kurve, aufgelöst für einzelne Zellen auf Basis eines antikörperbasierten Nachweisverfahrens (ELISA, enzyme-linked immunosorbent assay). Die Zellen werden in einer Zellfalle festgehalten, lysiert und analysiert. Die Zugabe einer stimulierenden Substanz kann dabei vor Injektion in den Chip oder nach der Immobilisierung der Zelle erfolgen. (Daten aus [5] mit Erlaubnis reproduziert, Copyright ACS).
Aktuelle Trends
Mikrofluidik leistet bereits heute einen wichtigen Beitrag in der Bioanalytik und ermöglicht innovative, komplexe Methoden für forschungsrelevante Fragestellungen. Daneben beinhaltet die Entwicklung mikrofluidischer diagnostischer Tests ein großes Potenzial, unter anderem für personalisierte Therapien. Miniaturisierte Analytik, verbunden mit einfachen, kostengünstigen Fluidik-Chips wird es erlauben, an nahezu jedem Ort der Welt bedarfsgerecht komplexe biologische und chemische Tests schnell und online durchzuführen [6]. Weiterhin können mikrofluidische Systeme auch durch den Nachbau von Gewebe („Organ-on-a-Chip“) die biologische Umgebung von Zellen simulieren und dadurch detaillierte und realitätsnahe Erkenntnisse z.B. über den Verlauf von Krankheiten oder die Metabolisierung von Medikamenten (Pharmakokinetik) liefern [7]. Die geringe Messdauer, gepaart mit der hohen Parallelisierung von Tests, ermöglicht schnellere und kostengünstigere Ergebnisse als konventionelle Tests und erlaubt zudem Verbesserungen in der Standardisierung von zellbasierten Assays.
Literatur:
[1] Sackmann, E. K. et al. (2014) Nature 507, 181–189
[2] Dittrich, P.S., Manz, A. (2006) Nat. Rev. Drug Disc. 5, 210–218
[3] Küster, S. K. et al. (2015) Angew. Chem. Int. Ed. 54, 1671–1675
[4] Hümmer, D. et al. (2016) Lab Chip 16, 447-458
[5] Eyer, K. et al. (2012) Lab Chip 12, 765–772
[6] Eyer, K. et al. (2015) Sci. Rep. 5, 16551
[7] Kurth, F. et al. (2012) Curr. Opin. Chem. Biol. 16, 400–408
Headerbild: iStock.com | Photoslash; © luckybusiness | Fotolia.com
Erstveröffentlichung:
Dittrich, P. S., Armbrecht, L., Kurth, F.,
q&more,
1.2016.