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Vibrationsspektroskopie

Vibrationsspektroskopie - Labelfreies Imaging

Von Proteinmechanismen bis zur Gewebeannotation

Prof. Dr. Klaus Gerwert (Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Biophysik)

Spektroskopische Methoden erlauben heute mit bisher unerreichter räumlicher und zeitlicher Auflösung tiefe Einblicke in die Funktionsweise biologischer Systeme. Neben der bereits sehr gut etablierten Fluoreszenzspektroskopie wird in den letzten Jahren das große Potenzial der labelfreien Vibrationsspektroskopie deutlich. Skalenübergreifend können Proteine, Zellen und Gewebe analysiert werden. Die klinische Anwendung des labelfreien Imaging kann für die personalisierte Medizin präzise Gewebeklassifizierungen liefern.

Die Fluoreszenzspektroskopie liefert mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung beeindruckende Einblicke in biologische Systeme, insbesondere in die Dynamik lebender Zellen. Durch Techniken wie STED, PALM und STORM konnte die räumliche Auflösung in den letzten Jahren bis in den unteren Nanometerbereich verbessert werden. Dieser Durchbruch wurde 2014 mit dem Nobelpreis für Chemie gewürdigt. Die Fluoreszenzspektroskopie benötigt in der Regel ein „leuchtendes“ Label, das an das zu untersuchende Molekül angeheftet wird. Ein solches Label ist z. B. das Grün-Fluoreszierende-Protein (GFP). Für die Entdeckung und Anwendung des GFP wurde bereits 2008 der Nobelpreis für Chemie verliehen, was die herausragende Bedeutung geeigneter Label für die Fluoreszenzspektroskopie verdeutlicht. Jedoch bringt die Label-Technik bestimmte Nachteile mit sich, da die Markierung aufwendig sein kann, das Label möglicherweise ausbleicht oder den zu untersuchenden Prozess selbst stören kann.

Als labelfreie Methode bietet sich komplementär die Vibrationsspektroskopie an. Ein Vibrationsspektrum wird durch die intrinsische Schwingung eines Moleküls erzeugt. Somit kann ein Molekül direkt anhand seines Schwingungsspektrums eindeutig identifiziert werden. Dieses Schwingungsspektrum kann entweder in Absorption mit der Infrarot- oder in Emission mit der Ramanspektroskopie gemessen werden. Infrarot- und Ramanspektroskopie werden in der Chemie seit vielen Jahrzehnten routinemäßig eingesetzt. Beide gelten aber im Vergleich zur NMR-Spektroskopie oder Röntgenstrukturanalyse in der Routineanalyse als gering auflösende Methoden. Durch methodische Weiterentwicklungen haben vibrationsspektroskopische Verfahren gerade in den letzten Jahren eine Renaissance in der Forschung erlebt.

Beeindruckende Fortschritte insbesondere auf dem Gebiet der Vibrationsspektroskopie wurden in 2015 auf der 8. International Conference on Advanced Vibrational Spectroscopy (ICAVS, http://icavs8.icavs.org/) an der TU Wien und auf der 16. European Conference on the Spectroscopy of Biological Molecules (ECSBM, http://www.ecsbm2015.de/) an der Ruhr-Universität Bochum vorgestellt. Eindrucksvoll wurde dort gezeigt, wie mithilfe der FTIR-Differenzspektroskopie molekulare Reaktionsmechanismen von Proteinen und Proteininteraktionen auf der atomaren Ebene zeitaufgelöst bestimmt werden können. Durch die Differenzspektroskopie werden nur die an der Funktion beteiligten Aminosäuren aus der Hintergrundabsorption des gesamten Proteins selektiert. Damit wird im Gegensatz zur Routineanalytik eine Höchstauflösung erzielt. In aktuellen Arbeiten wird z.B. der molekulare Mechanismus des Channelrhodopsins mit diesem Ansatz detailliert untersucht. Channelrhodopsin ist das zentrale Werkzeug in der Optogenetik. Durch den Einsatz von photolabilen Substanzen wie caged-GTP oder -ATP werden GTPasen und ATPasen im Detail untersucht. Exemplarisch kann hier z.B. das Ras-Protein genannt werden, dessen durch onkogene Mutationen verursachten Varianten wesentlich zur Krebsentstehung beitragen. Besonders beachtenswert ist aber das in den letzten Jahren entwickelte labelfreie Imaging von Gewebe und Zellen. Zum Imaging einzelner Zellen wird vorwiegend die Ramanspektroskopie eingesetzt, während für das Imaging von Gewebe vorwiegend die FTIR-Spektroskopie genutzt wird. Anhand der ortsaufgelöst gemessenen Schwingungsspektren können Zellorganellen oder Gewebekomponenten labelfrei klassifiziert werden. Da das Gewebe labelfrei annotiert wird, ist die Methode automatisierbar. Mithilfe des FTIR-Imagings kann insbesondere Tumorgewebe mit einer Sensitivität und Spezifität von über 95 % identifiziert werden, wie z.B. für Gewebe aus Prostata, Lunge, Blase und Darm gezeigt worden ist. Diese Techniken erlauben aber nicht nur die Identifizierung von Tumorgewebe, sondern ermöglichen darüber hinaus prädiktive Annotationen wie z.B. die Subklassifizierung von Adenokarzinomen der Lunge. Sie liefern damit eine wichtige Grundlage für die therapeutische Entscheidung des behandelnden Arztes. Mit der Ramanspektroskopie können aber nicht nur Zellen charakterisiert werden, sondern es kann auch die Pharmakokinetik therapeutisch wirksamer kleiner Moleküle analysiert werden.

Durch den Einsatz von Quantenkaskadenlasern in der IR-Spektroskopie und von nichtlinearen Techniken wie CARS in der Ramanspektroskopie werden in den nächsten Jahren erhebliche Fortschritte für die Anwendung insbesondere in der Klinik erwartet, da sie sehr viel schnellere und noch präzisere Subklassifizierungen erlauben werden. Diese sind für die Differentialdiagnose sehr entscheidend. Gerade hierzulande haben universitäre und außeruniversitäre Forscherinnen und Forscher auf dem Gebiet der zeitaufgelösten FTIR-Spektroskopie und des Vibrations-Imagings Pionierarbeit geleistet. Es wäre wichtig, dieses Gebiet nicht nur durch entsprechende Förderung der DFG und des BMBF voranzubringen, sondern auch Herstellerfirmen zu gewinnen, um das große Potenzial der labelfreien Methoden auch hierzulande in die translationale klinische Anwendung zu bringen. Eine präzise Diagnose ist die Voraussetzung für eine personalisierte Therapie.

Erstveröffentlichung: Gerwert, K., q&more, 1.2016.

Fakten, Hintergründe, Dossiers

  • STED-Mikroskopie
  • STORM-Mikroskopie
  • FTIR-Differenzspektroskopie

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