Nachdem das Wort „nachhaltig“ aus keinem Geschäftsbericht und keiner politischen Äußerung mehr wegzudenken ist, lohnt eine Reflektion. Noch vor zehn Jahren kam das Werben für „nachhaltiges Wirtschaften“ aus der eindeutig ökologischen Ecke, häufig gekoppelt an Konzepte der Entschleunigung oder Abkoppelung von wirtschaftlichen Zwängen, Öko- und Dienstleistungsgesellschaft statt Industriestandort. Dies scheint heute deutlich anders geworden zu sein.
Die Beschäftigung mit nachhaltigen Konzepten ist nun Thema der intellektuellen Avantgarde, Grundlage moderner Produkte und zentrales Thema für Unternehmen. Dies hat zur Folge, dass sich auch die Märkte ändern, seit Jahren wachsen die Segmente für „natürliche“ Produkte, „sanfte“ Technologien, „nachwachsende“ Rohstoffe und „erneuerbare“ Energien.
Es handelt sich damit nicht um eine Modeerscheinung, sondern eine von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragene Weiterentwicklung, zum Teil auch Neuausrichtung des politischen Denkens. Auch die Finanzkrise und zuletzt die Hilflosigkeit angesichts der Ölkatastrophe vor der US-amerikanischen Küste hat dieses Umdenken befördert. Es scheint nicht vermessen zu sein, das „Heute“ als den Beginn des Zeitalters des nachhaltigen Wirtschaftens zu bezeichnen. Sämtliche grundlegende Trends sind intakt und verstärken sich. Die Änderungen des Denkens sind indes nicht wirtschafts- oder produktgetrieben, sondern sind das Resultat einer gesellschaftlich-politischen Veränderung, der sich Industrie und Wissenschaft nicht verschließen sollten.
Deutlicher gesagt: Diejenigen Industrien und Volkswirtschaften werden profitieren, die frühzeitig und durchgreifend agieren. Es ist erstaunlich, dass die hiesige, starke und politisch stark unterstützte Automobilindustrie trotz technologischer Führung in allen Disziplinen, trotz hervorragender Forschungsinfrastruktur, Ingenieurausbildung und Erfinderkultur dem US-amerikanischen Unternehmen Tesla zuschauen musste, wie ein attraktives Elektromobil an den Markt gebracht wird. Die deutsche Volkswirtschaft ist nicht stark darin, sich immer neu zu erfinden. Die Dynamik der industriellen Erneuerung ist, so immer wieder das Ergebnis von Analysen, schwach.
Dabei ist die Beschäftigung mit Konzepten der „grünen“ Chemie und der „weißen“ Biotechnologie traditionell ein europäisches Thema. Forschung an Enzymen, Biokatalysatoren, biotechnologischen Prozessen und auch der klassischen Mikrobiologie sind traditionelle Stärken des „alten“ Europa. Dazu kommt noch der oben bereits erwähnte exzellente Technik- und Ingenieurstandort, der Deutschland und Japan zu den Effizienzweltmeistern bei vielen Anwendungen macht. Tatsächlich steht Ressourcen- und Energieeffizienz neben Qualität für das Wesen des „Made in Germany“.
Es ist nun zu hoffen, dass die politischen Weichenstellungen in der Wirtschaftspolitik den Aufbau einer neuen und starken „Bioökonomie“ auch zulassen. Die im März vorgestellte EU-Strategie „Smart, Sustainable and Inclusive Growth“ weist dem Aufbau einer biobasierten Ökonomie den Status einer „Flagship-Initiative“ zu. Der richtige Weg ist identifiziert, nun muss der Wandel beschleunigt werden. Eine große, heute selten gewordene Chance für das alte Europa, eine Führungsrolle zu übernehmen.
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Erstveröffentlichung:
Zinke, H.,
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1.2010.