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In-vivo-Metabolisierung von Flavonoiden: eine Herausforderung für Analytik und Pharmakologie

Prof. Dr. Jörg Heilmann (Universität Regensburg, Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie)

Unter den pflanzlichen Sekundärstoffen ist kaum eine Klasse von Verbindungen so pro­minent in unserem Leben vertreten wie die Flavonoide. Man findet sie in verschiedenen Oxidationsstufen und hauptsächlich als Glykoside (Abb. 1) in zahlreichen Nahrungsmitteln. Mit dem Konsum von Obst, Gemüse und Getreide führen wir täglich signifikante Mengen dieser, durch phenolische trukturelemente geprägten, Verbindungen zu uns. Darüber hinaus finden sie sich auch in zahlreichen Produkten aus dem Bereich der Genussmittel, die aus Pflanzen gewonnen werden wie zum Beispiel in Wein, Bier, Tee und Schokolade (Tab. 1). Als wirksame Bestandteile zahlreicher Arzneipflanzen (z. B. Ginkgoblätter, Weißdornblätter oder Mariendistelfrüchte) tragen sie des Weiteren zum Teil nicht unerheblich zu den therapeutischen Effekten pflanzlicher Arzneimittel bei.

Wertvolle Wirkungen für die Gesundheit

Abb. 1 Die wichtigsten Unterklassen der Flavonoide. Wesentliche Strukturvariationen beruhen auf der biosynthetischen Einführung zusätzlicher Hydroxylgruppen und der Konjugation der OH Gruppen mit einem oder mehreren Zuckern. Glykoside der Flavonole und Anthocyanidine (= Anthocyane) sowie oligomere Flavanole dominieren oft in Obst und Gemüse.

Auch wenn für Flavonoide in-vitro und in-vivo zahlreiche verschiedene pharmakologische Wirkungen beschrieben worden sind, so beruht das große Interesse an diesen Verbindungen im Wesentlichen auf ihrer anti-oxidativen Aktivität und der Fähigkeit als Radikalfänger zu fun­gieren. Ohne im Detail auf die mechanistische Grund­lagen und die strukturellen Voraussetzungen für beide Effekte einzugehen, so muss doch grundsätzlich zwischen einem direkten Radikalfang und einer Aktivierung zellulärer Defensivmechanismen (z. B. über den Trans­kriptionsfaktor Nrf-2) mit nachfolgender Inaktivierung der Radikale unterschieden werden. In letzter Konsequenz mündet dies in beiden Fällen in eine Reduktion des oxidativen Stresses für die Zelle, so dass für Flavonoide cytoprotective, chemopreventive und anti-inflammatorische Effekte postuliert werden können. Als regelmäßig mit der Nahrung zugeführte Bestandteile können diese Verbindungen damit zu einer gesunden Ernährung wesentlich mit beitragen und sind auch als interessante Substanzen für viele Produkte aus dem Bereich des Functional Food Sektors entdeckt worden.

Flavonoide im Körper

Abb. 2 Metabolisierung von Flavonoiden am Beispiel von Flavonolglykosiden vom Typ des Quercetins. Nach der Glykosidspaltung kommt es entweder zu Phase I/Phase II Reaktionen am Aglykon (oberer Teil) oder zu einer Spaltung zu niedermolekularen Verbindungen (unterer Teil). Gezeigt ist nur eine Auswahl, da grundsätzlich auch die anderen Hydroxylgruppen für die Glucuronidierung zur Verfügung stehen (nicht gezeigt Sulfatierung oder gemischte Glucuronidierung/Sulfatierung).

Was passiert mit den in der Nahrung zugeführten Flavonoiden und in welcher Form sind sie wirklich im Körper zu finden? Aufgrund der Vielzahl von bekannten flavonoidischen Verbindungen (> 5000) wollen wir uns zur Beantwortung dieser Frage auf die in der Nahrung dominierenden Flavonolglykoside vom Typ des Quercetins konzentrieren. In der Literatur ist nur für einzelne Verbindungen eine direkte Resorption via aktiver ­Transportvorgänge beschrieben worden (interessanter­weise abhängig von der Art und Position des Zuckers). Die übliche Metabolisierung folgt grundsätzlich zwei anderen Wegen (Abb. 2). Beiden gemeinsam ist der erste Schritt, der in der enzymatisch katalysierten Abspaltung des Zuckers besteht und die Entstehung des Aglykons (hier Quercetin) zur Folge hat. Darauf folgt entweder die Resorption des intakten Aglykons und die unmittelbaren Bildung von Phase I/Phase II Metaboliten oder die Spaltung des Aglykons im C-Ring durch Darmbakterien, wobei zahlreiche niedermolekulare Aromaten mit unterschiedlich langer Seitenkette (C0, C1, C2 oder C3) entstehen, die zum Teil resorbiert und verstoffwechselt, zum Teil aber auch direkt mit dem Fäces ausgeschieden werden. Welcher der beiden Wege, die nebeneinander ablaufen und sich überlagern, jeweils überwiegt hängt vermutlich von der Art des Flavonoids, der zugeführten Dosis, den anderen zugeführten Sekundärstoffen und der Nahrung ab. Im Folgenden soll nur auf einige analytische und pharmakologische Aspekte der intakten Flavonoide eingegangen werden, da sie anders zu bearbeiten sind als die niedermolekularen Verbindungen.

Bestimmung intakt resorbierter Flavonoide

Abb. 3 Vorschlag zu einer möglichen Semi-Synthese von Glucuronsäurederivaten des Quercetins

Die Identifizierung und Quantifizierung der Flavonoid­metabolite ist unter anderem auf Grund der fehlenden Zugänglichkeit der Phase-II Metabolite als Referenz­substanzen nicht einfach (Abb. 3). Die hauptsächlich angewendete Quantifizierungsmethode zur Bestimmung der intakt resorbierten Flavonoide besteht daher in der kollektiven Spaltung aller Phase-II Metabolite, z.B. über den Zusatz von Glucuronidasen und Sulfatasen zur Serum- oder Gewebeprobe. Dieser Spaltung folgt dann die Extraktion und in der Regel eine HPLC-UV-DAD basierte Bestimmung der resultierenden Aglyka. Da die Strukturvielfalt der Flavonoidaglyka begrenzter ist, diese trotz Einführung von Hydroxyl- oder Methoxy­gruppen im Rahmen einer Phase-I Reaktion in derRegel ein ähnliches UV-Spektrum besitzen und die meisten als Referenzsubstanzen verfügbar sind, ist die Identifizierung (insbesondere beim zusätzlichen Einsatz eines massen­selektiven Detektors) und die Quantifizierung der Verbindungen gut zu realisieren. Fallstricke einer exakten Quantifizierung sind hier insbesondere bei der Optimierung der Hydrolyse-Reaktion sowie bei der durch Variation des Extraktionsmittel oft zu optimierenden Recovery für den Extraktionsschritt zu sehen. Verloren geht bei dieser Methode die substanzscharfe Quantifizierung und Identifizierung der Verbindungen. Um diese zu realisieren ist ein Verzicht auf den Hydrolyseschritt notwendig. Die Aufarbeitung der Probe wird dadurch erheblich schwieriger, da die zu extrahierende Substanzvielfalt größer ist, die Substanzen durch die Azidität der Konju­gate (Glucuronsäure, Sulfat) je nach pH Wert im Gleichgewicht mit der dissozierten Form vorliegen können und auch das Polaritätsspektrum (Vorkommen von Mono- und Diglucuroniden sowie gemischten Glucuroniden und Sulfaten) erheblich größer ist. 

Methodik

Als Methode der Wahl für die Identifizierung der ­Verbindungen kommt die HPLC (oder UPLC)-gekoppelte Massen-spektrometrie in Betracht. Dabei ist vermutlich insbesondere durch die Kopplung mit der HR-ESI-MS/MS eine hohe Leistungsfähigkeit zu erzielen. Da bei den Phase-II Metabolite aber ein Teil der Strukturvielfalt auf dem Auftreten verschiedener Positionsisomere der Glucuronide beruht, ist trotzdem eine Synthese der zu erwartenden bzw. postulierten Verbindungen und der Abgleich mit der authentischen Verbindung zu empfehlen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich auch eine Quantifizierung dieser Verbindungen anschließen soll. Für die Synthese von Flavonoidglucuroniden und -sulfaten unter selektiver Schützung/Entschützung einzelner OH Gruppen sind in den letzten Jahren zahlreiche Vorschläge gemacht worden. Darüber hinaus stehen auch biotechnologische Verfahren zur Verfügung, bei denen aber oft die Problematik besteht, ausreichende Menge der Substanz zu erhalten.

Verbindungen im Fokus

Da bei den Flavonoidglykosiden die Ursprungsverbindungen de facto nicht oder nur in sehr geringen Konzentrationen im Serum und anderen Geweben zu finden ist, ergibt sich auch die Frage welche Verbindungen denn nun besonders umfangreich pharmakologisch charakterisiert werden sollten. Hier gibt es in-vitro und in-vivo noch viel zu wenige Informationen über die pharmakologische Aktivität der Phase-II Metabolite, was ebenfalls auf der mangelnden Zugänglichkeit der Verbindungen beruht.

Tab. 1 Vorkommen der Flavonoide in Pflanzen (kleine Auswahl) und daraus hergestellter Nahrungs- oder Genussmittel (A = Aglyka, G = Glykoside, O = Oligomere).

Von nicht unerheblicher Bedeutung scheint jedoch auch die pharmakologische Testung des Aglykons zu sein. Dies ist in früheren Jahren oft als vollkommen unnötig kritisiert worden, da Flavonoide überwiegend als Glykoside (Tab. 1) vorkommen und Aglyka im Serum nicht oder nur in Spuren nachweisbar sind. Es liegen jedoch neuere Arbeiten vor, dass Zellen über die enzymatische Möglichkeit verfügen die Glucuronide, so zu sagen vor Ort, wieder zu spalten, so dass das Aglykon wieder entsteht. Wie relevant dieser Aspekt in-vivo wirklich ist, ist gegenwärtig sehr schwierig abzuschätzen.

Resümee

Die analytische und pharmakologische Charakterisierung von Flavonoiden sollte sich daher wesentlich auf die entstehenden Phase-II Metaboliten und niedermolekularen Verbindungen konzentrieren, während die Suche nach den Ausgangsverbindungen in Serum, Leber, Galle oder anderen Geweben eher (mit Ausnahmen) weniger aussichtsreich erscheint. 

Biotransformation

Viele mit der Nahrung aufgenommenen unpolaren, wasserunlösliche Naturstoffe können vom Körper nicht einfach direkt über den Harn oder den Stuhl ausgeschieden werden. Sie müssen zunächst in eine ausscheidbare Form umgewandelt werden (Biotransforma­tion). Fast alle Biotransformationsreaktionen laufen intrazellulär ab und werden durch Enyzme katalysiert, die in vielen Organen vorkommen. Die Leber ist das wichtigste Organ für die Biotransformation, aber auch in anderen Organen werden Fremdstoffe umgewandelt.

Die Biotransformation wird in 2 Phasen gegliedert. In der Phase I werden enzymatisch eine oder mehrere funktionelle Gruppen (zum Beispiel -OH) in das Molekül eingefügt. Man spricht daher von der Umwandlungsreaktion oder Funktionalisierungsreaktion. In der Phase II werden dann die funktionalisierten Moleküle an andere Substanzen gekoppelt (z.B. Aminosäuren, Methylgruppen, Glucuronsäuren u.a.), die selbst eine sehr hohe Wasserlöslichkeit aufweisen. Man spricht von einer Konjugation. Mit diesem zweiten Schritt gelingt auch meist eine weitere Verminderung der Giftigkeit und die Möglichkeit zur Ausscheidung über die Niere oder Galle ist gegeben.

Literatur:
Literature available from the author.

Erstveröffentlichung: Heilmann, J., q&more, 1.2012.

Fakten, Hintergründe, Dossiers

  • Glykoside
  • oxidativer Stress
  • Flavonolglykoside
  • Aglykon

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