Trinkwasser ist in Deutschand ausreichend vorhanden und von überwiegend hoher Qualität. Für die Gewinnung von Trinkwasser in Deutschland wird vor allem Grundwasser (69,6 %) genutzt, 12,4 % werden aus Seen und Talsperren entnommen. Der Anteil von Trinkwasser, das aus Uferfiltrat gewonnen wird, liegt bei 7,8 %, weitere 9,2 % des Trinkwassers stammen aus angereichertem Grundwasser, während nur 1 % direkt aus Flusswasser entnommen wird [2].
Bei der Uferfiltration werden neben den Flüssen Brunnen für die Entnahme von Wasser angelegt, das zum Teil aus dem jeweiligen Fluss durch Versickerung nachgeliefert wird. Auf dem Weg zum Brunnen strömt das Wasser durch Sand- und Kiesschichten. Auf dieser Fließstrecke werden fast alle aus den Flüssen bekannten organischen Substanzen je nach physikalisch-chemischer Beschaffenheit entweder durch Adsorption zurückgehalten oder von Mikroorganismen abgebaut. Einige Substanzen stellen Ausnahmen dar. Sie passieren die Filterstrecke und gelangen in das Rohwasser, das aus den nahe am Fluss gelegenen Brunnen gefördert wird. Sehr gute Chancen, die Filterstrecke zu überstehen, haben Röntgenkontrastmittel, an die aufgrund ihres Anwendungszwecks die Forderung nach guter Wasserlöslichkeit und geringer biologischer Abbaubarkeit gestellt wird. Folglich werden diese in Kläranlagen unzureichend abgebaut bzw. lediglich in Metabolite (Folgeprodukte) umgebaut und überstehen darüber hinaus die Uferfiltration weitgehend unbeschadet.
Die Röntgenkontrastmittel sind aber nur ein Grund dafür, dass aus Uferfiltrat stammendes Rohwasser einer aufwendigen Behandlung unterzogen werden muss, bevor es als Trinkwasser in die Versorgungsleitungen eingespeist wird. Diese Behandlung besteht bei den meisten Wasserwerken, die Uferfiltrat gewinnen, aus einer Ozonierung, gefolgt von einer Aktivkohlefiltration. Röntgenkontrastmittel werden von Wasserwerken gerne als Indikatorsubstanzen genutzt, die bei Durchbruch durch die Aktivkohle anzeigen, ob ein neuer Filter notwendig ist. Carbamazepin, ein Antiepileptikum und Psychopharmakon, stellt eine weitere Substanz dar, die bei einer Uferfiltration weitgehend unbeschadet (zu ca. 75 %) bleibt [3], bei der Ozonierung aber in Oxidationsprodukte umgewandelt wird, die dann bei der anschließenden Aktivkohlefiltration zurückgehalten werden.
Abb. 1 Querschnitt durch den Rhein am Niederrhein an einer Stelle, wo Uferfiltration zur Gewinnung von Trinkwasser gewonnen wird (DWT1). Die Förderung des Rohwassers erfolgt am 17.10.2012 aus einer Galerie von Entnahmebrunnen (recovery well). Darüber hinaus sind Grundwassermessstellen (A, B, C), an denen Wasser aus unterschiedlichen Tiefen entnommen und analysiert werden kann. Die gemessenen Konzentrationen von 1,4-Dioxan (ng/l) sind in den Kästchen neben den Messstellen eingezeichnet (entnommen aus [6]).
Ether widersteht der Behandlung
Problematisch für die Trinkwasserversorgung sind angesichts der geschilderten Schutzmaßnahmen bei der Aufbereitung von Rohwasser aus der Uferfiltration nur Substanzen, die gut wasserlöslich, schlecht biologisch abbaubar, von Ozon nicht oxidierbar und an Aktivkohle schlecht adsorbierbar sind. Diese Kombination von ungünstigen Eigenschaften trifft auf die Substanzklasse der Ether zu. In der Vergangenheit stand bereits ein Ether im Brennpunkt der Wasserwirtschaft: Der Methyl-tertiär-butylether (MTBE) wurde alleine in Deutschland zur Jahrtausendwende noch zu ca. 500.000 t pro Jahr hergestellt und kam als Additiv (Antiklopfmittel) für Vergaserkraftstoffe zum Einsatz. Nachdem bekannt wurde, dass dieser Stoff mit Konzentrationen von etwa 1 µg/l (Spitzenwerte von 30 µg/l) im Jahr 2005 im Rhein vertreten war, wurde MTBE binnen eines Jahres von der Mineralölwirtschaft nahezu vollständig durch einen anderen Ether ersetzt: Ethyl-tertiär-butylether (ETBE). Damit wurde allerdings lediglich der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, denn ETBE ist in der aquatischen Umwelt ähnlich stabil (persistent) wie MTBE. Erst der nahezu vollständige Ersatz von ETBE als Kraftstoffadditiv durch Ethanol für die Produktion der Mineralölprodukte E5 und E10 mit 5 % bzw. 10 % Ethanolanteil ab dem Jahr 2010 brachte die dringend notwendige Verbesserung. Ethanol ist im Gegensatz zu den Ethern hervorragend biologisch abbaubar. Bereits am Beispiel von MTBE wurde bekannt, dass es sowohl Uferfiltration als auch Trinkwasseraufbereitung weitgehend unbeschadet übersteht und in das Trinkwasser gelangt [1]. Bei MTBE und ETBE und war das Problem weniger toxikologisch, sondern eher in der extrem geringen Geruchs- und Geschmacksschwelle von 15 µg/l begründet.
Abb. 2 Konzentrationen von 1,4-Dioxan (ng/l) im Rohwasser aus der Uferfiltration an zwei Lokalitäten am Rhein und Vergleich mit den Konzentrationen im daraus nach der Aufbereitung gewonnenen Trinkwasser. Die Probennahme an DWT1 erfolgte am 10.12.2012 und an DWT2 am 22.03.2013 (entnommen aus [6]).
Auf Spurensuche von 1,4-Dioxan
Bei der Analytik von MTBE im Wasser fiel im Gaschromatogramm ein Signal auf, das aufgrund des Massenspektrums als 1,4-Dioxan identifiziert wurde. In Europa war 1,4-Dioxan zumindest bis zum Jahr 2010 noch ein vollkommen unbeschriebenes Blatt. In den USA stand die Substanz zu dieser Zeit aufgrund der Einstufung als „probable human carcinogen“ durch die US-Umweltbehörde (EPA) aber bereits im Fokus der Umweltforschung. Daria Demers-Stepien aus der Arbeitsgruppe von Wilhelm Püttmann hat sich daraufhin ab dem Jahr 2010 im Rahmen ihrer Dissertation auf die Spurensuche nach dieser Substanz begeben. Erste Analysen von Wasserproben aus dem Main ergaben Konzentrationen von circa 1 µg/l, was im Vergleich zu anderen Umweltschadstoffen sehr viel ist. In anderen Flüssen (z.B. Rhein und Oder) konnten ähnlich hohe Konzentrationen festgestellt werden [5]. Ziel der Spurensuche war zunächst, die Herkunft der Substanz zu klären. Durch zahlreiche Beprobungskampagnen konnten Kläranlagenabläufe als die herausragenden Punktquellen mit zum Teil sehr hohen Dioxanfrachten ausfindig gemacht werden.
Wenn die Kläranlagen nur Haushaltsabwässer reinigen, sind die Konzentrationen von 1,4-Dioxan in den Abläufen der Kläranlagen noch relativ gering (ca. 0,3 µg/l). Die dafür verantwortliche Quelle liegt in der zunehmenden Verwendung von Wasch- und Reinigungsmittel sowie Körperpflegeprodukten, die Ethoxylate als waschaktive Substanzen (Detergenzien) enthalten. Ethoxylate werden vorwiegend für die Herstellung von flüssigen Wasch- und Reinigungsmitteln verwendet. 1,4-Dioxan entsteht als Nebenprodukt bei der Herstellung von Ethoxylaten und ist daraus nicht vollständig zu entfernen. Aufgrund dieser Tatsache hat das Bundesgesundheitsamt bereits 1988 einen einzuhaltenden Richtwert von 10 mg/kg 1,4-Dioxan für Kosmetika und Körperpflegeprodukte empfohlen, dessen Einhaltung bei einer Überprüfung von 351 Proben im Jahr 2011 bei 98,6 % der analysierten Proben bestätigt wurde. Die steigende Verwendung von Ethoxylaten hat durchaus mit unserem Lebensstil zu tun. Die Stückseife am Waschbecken ist in den letzten 20 Jahren vom Flüssigseifenspender weitgehend verdrängt worden. An der Grundbelastung der Kläranlagenabläufe mit ca. 0,3 µg/l 1,4-Dioxan sind wir als Verbraucher also unmittelbar beteiligt. Die in unseren großen Flüssen festgestellten Gehalte von 0,5 – 1 µg/l sind damit alleine aber nicht zu erklären, sondern weitere erhebliche punktförmige Eintragsquellen müssen hinzukommen.
Die Suche nach diesen Punktquellen ist eine Sisyphusarbeit. Aus den Ergebnissen mehrerer Masterarbeiten lässt sich bereits entnehmen, dass sogenannte Indirekteinleiter eine Schlüsselrolle spielen. Indirekteinleiter sind Industrie- und Gewerbebetriebe, die keine eigenen Kläranlagen betreiben, sondern ihr Abwasser in das kommunale Abwassernetz einspeisen und somit ihr Abwasser von den kommunalen Kläranlagen reinigen lassen. In Nordrhein-Westfalen ist z.B. der Volumenstrom der industriellen und gewerblichen Indirekteinleiter mit 771 Mio. m3/Jahr mehr als halb so groß wie der Volumenstrom des häuslichen Abwassers mit 1.314 Mio. m3/Jahr [4]. Für andere Bundesländer bzw. für Deutschland insgesamt sind solche Zahlen nicht verfügbar. Welche Industriezweige als Indirekteinleiter die Hauptlieferanten für 1,4-Dioxan in das Abwassernetz darstellen, lässt sich noch nicht abschließend beantworten. Kläranlagen, die als Indirekteinleiter Industriebetriebe angeschlossen haben, die entweder Ethoxylate herstellen oder verarbeiten und Industriezweige, die 1,4-Dioxan als Lösemittel verwerten, kristallisieren sich als besonders relevant heraus. Der bisher gemessene Höchstwert von 62 µg/l 1,4-Dioxan im Ablauf wurde bei einer Kläranlage festgestellt, die eine sogenannte nachgeschaltete Denitrifikation betreibt.
Um den Nitratgehalt im Ablauf zu senken, wird dabei das Nitrat in molekularen Stickstoff umgewandelt, der in die Atmosphäre entweicht. Dabei werden Mikroorganismen in der letzten Reinigungsstufe mit einem technischen Methanol gefüttert, das im untersuchten Fall erheblich mit 1,4-Dioxan verunreinigt war. Die Mikroorganismen nutzten das Methanol als Kohlenstoffquelle und bauten es ab, das 1,4-Dioxan blieb allerdings übrig [6]. Die nachgeschaltete Denitrifikation wird in Deutschland allerdings von wenigen Kläranlagen betrieben, sodass damit nur an wenigen Stellen in Deutschland die hohen Gehalte von 1,4-Dioxan in Flüssen erklärt werden müssen.
Abb. 3 Auflauf einer Kläranlage in den Fluss Rodau
Kontaminationen im Rhein
Die für unsere Trinkwasserversorgung entscheidende Frage ist, wie sich das in den Flüssen nachgewiesene 1,4-Dioxan bei der Uferfiltration verhält. Dazu wurde eine Studie am Rhein (Region Niederrhein) durchgeführt, wo im großen Maßstab Uferfiltrat für die Trinkwassergewinnung genutzt wird. Abbildung 1 zeigt einen Querschnitt durch das Entnahmegebiet unter Berücksichtigung verschiedener Flusswasserstände. Neben dem Förderbrunnen (recovery well) sind für Forschungszwecke weitere Messstellen vorhanden, an denen Wasserproben aus verschiedenen Tiefen entnommen werden können. Das an dieser Stelle geförderte Wasser besteht zu ca. 75 % aus Uferfiltrat und zu ca. 25 % aus Grundwasser, das von der Landseite anströmt.
Die Ergebnisse zeigen, dass an allen Messpunkten in den Überwachungsbrunnen hohe Konzentrationen von 440 ng/l (= 0,44 µg/l) bis 3.800 ng/l (= 3,80 µg/l) an 1,4-Dioxan gemessen werden. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Konzentration im Rhein 0,78 µg/l. Der Befund lässt erkennen, dass das gesamte Aquifer in der Umgebung des Förderbrunnens mit 1,4-Dioxan nahezu homogen kontaminiert ist. Eine Ausnahme stellt das Wasser in der flachen Messstelle im Überwachungsbrunnen C dar. Die besonders hohe Konzentration von 3,8 µg/l an dieser Stelle lässt sich damit erklären, dass das landseitig anströmende Grundwasser an dieser Stelle mit 1,4-Dioxan kontaminiert ist. Dies ist plausibel, weil 1,4-Dioxan lange als Stabilisator den heute kaum noch verwendeten chlorierten Lösungsmitteln (Trichlorethylen und 1,1,1-Trichlorethan) zugesetzt worden ist und Grundwasserkontaminationen mit chlorierten Kohlenwasserstoffen an diesem Ort bekannt sind.
Schließlich sollte die Frage geklärt werden, in welchem Ausmaß die Aufbereitung des Rohwassers aus den Förderbrunnen durch Ozonierung und Aktivkohle-filtration dazu in der Lage ist, das 1,4-Dioxan aus
dem Rohwasser zu entfernen. Dies wurde anhand von Standorten am Rhein überprüft. Am ersten Standort (DWT1) wird das Rohwasser ozoniert, belüftet und durch einen Aktivkohlefilter gespült. Am 2. Standort (DWT2) wird das Rohwasser ozoniert, belüftet, durch einen Sandfilter und schließlich durch einen Aktivkohlefilter gespült. Die Effizienz dieser Aufbereitungsmaßnahmen ist in Abbildung 2 dargestellt. An der Stelle DWT1 wurden über die Aufbereitung 16 % des 1,4-Dioxans aus dem Rohwasser entfernt, an DWT 2 waren es nur 8 %. An DWT1 war folglich das ausgelieferte Trinkwasser mit 0,485 µg/l 1,4-Dioxan belastet und an DWT2 mit 0,595 µg/l. Unter Berücksichtigung der toxikologischen Relevanz gehört 1,4-Dioxan damit zu den Stoffen, die in Zukunft dringend in die Trinkwasserüberwachung aufgenommen werden müssen.
Fazit
Die Kläranlagen in Deutschland leisten hervorragende Arbeit, aber es gibt Problemstoffe, die von den Mikroorganismen nicht angegriffen werden und folglich die Anlagen unbeschadet durchlaufen. Dazu gehört 1,4-Dioxan. Selbst wenn man die Kläranlagen mit neuen Reinigungsstufen nachrüsten würde, ist einer Substanz wie 1,4-Dioxan nicht beizukommen. Hier hilft nur die Verhinderung des Eintrags in unser Kanalnetz beziehungsweise eine bessere Überwachung der Indirekteinleiter. Im Gegensatz zu den USA sind in Deutschland noch keine Grenzwerte für 1,4-Dioxan im Trinkwasser festgelegt worden. Das Umweltbundesamt hat aber einen Vorsorgewert von maximal 0,1 µg/l im Trinkwasser für nicht regulierte Substanzen vorgeschlagen. Wie die Ergebnisse gezeigt haben, wird dieser Wert in Deutschland zum Teil in Regionen mit einem hohen Anteil von Uferfiltrat an der Trinkwassergewinnung deutlich überschritten. 1,4-Dioxan ist jetzt im Fokus der Schadstoffforschung angekommen, nicht zuletzt dank der Dissertation von Daria Demers-Stepien, die für ihre Arbeit den Procter & Gamble Nachhaltigkeitspreis 2014 erhalten hat.
Literatur:
[1] Achten, C. et al. (2002) Environ. Sci. Technol. 36, 3662–3670
[2] DESTATIS(2013) https://www.destatis.de/DE/PresseService/.../2013/02/PD13_043_322.html
[3] Hoppe-Jones, C. et al. (2010) Water Res. 44, 4643–4659
[4] LANUV (2012) http://www.lanuv.nrw.de/wasser/abwasser/stand.htm
[5] Stepien, D.K. & Püttmann, W. (2013): J. Anal. Bioanal. Chem.405, 1743–1751
[6] Stepien, D.K. et al. (2014) Water Res. 48, 406–419
Headerbild: HearttoHeart | Shutterstock.com
Erstveröffentlichung:
Püttmann, W.,
q&more,
2.2015.