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Dynamische Nanohebel

Dynamische Nanohebel

Interaktionsanalyse und biophysikalische Charakterisierung durch schaltbare DNA-Oberflächen

Dr. Ralf Strasser (Dynamic Biosensors GmbH), Katherina Mludek (Dynamic Biosensors GmbH), Dr. Wolfgang Kaiser (Dynamic Biosensors GmbH)

Interaktionsanalysen mittels Biosensoren erfreuen sich heutzutage in der Forschung und Entwicklung sowie in der Qualitätskontrolle immer größerer Beliebtheit. Herkömmliche Biosensoren wie Surface-Plasmon-Resonance-Systeme basieren auf der Veränderung makroskopischer Eigenschaften der Messoberfläche. Schaltbare DNA-Schichten hingegen ermöglichen bei der switchSENSE®-Technologie die aktive Bewegung der gebundenen Moleküle. Ein solcher „aktiver“ Biosensor bietet nicht nur Zugang zu Messparametern wie Bindungsaffinität und -kinetik, sondern auch zu biophysikalischen Parametern wie Schmelztemperatur, Proteingröße, Proteinaktivität etc. Am Beispiel von Erythropoietin (EPO) und Anti-EPO-Antikörpern werden die Möglichkeiten dieser Technologie im Puffersystem sowie im Serum aufgezeigt.

Biosensoren zur Interaktionsanalyse gehören heute zum Standardrepertoire im Bereich der biopharmazeutischen Forschung und Entwicklung. Aber auch im Bereich der Qualitätskontrolle und der Diagnostik kommen entsprechende Systeme zum Einsatz. Besonders verbreitet sind optische Messmethoden wie Surface Plasmon Resonance (SPR) oder Biolayer Interferometry (BLI), bei denen die Bindung des Analyten auf einer Chipoberfläche zur messbaren Veränderung des Brechungsindex führt. Im Gegensatz zu diesen „statischen“ Messmethoden ermöglichen elektrisch schaltbare DNA-Schichten (Electro-switchable Biosurfaces, ESB) auf der Chipo­berfläche die aktive, kontrollierte Bewegung von Fängermolekülen [1, 2]. Die DNA-Moleküle sind an einem Ende an die Chipoberfläche gebunden und fungieren somit als Scharnier bzw. „Nanohebel“. Die Bindung des Fänger­moleküls an das distale Ende dieses Hebels erfolgt durch übliche Kopplungsmethoden wie Aminkopplung, Thiolkopplung, His-Tag etc. Indem nun Wechselspannung an die Chipoberfläche angelegt wird, können die DNA-Hebel und mit ihnen die gebundenen Fängermoleküle aufgrund der negativen Ladung der DNA kontrolliert „geschaltet“ werden.

Abb. 1 Die Aufstehbewegung von DNA (A) und DNA mit einem gebundenen Protein (B) ist schematisch dargestellt. Die dazugehörigen zeitaufgelösten Messsignale (schwarz: DNA; orangefarben: DNA mit Protein) sind in C gezeigt. Der „Dynamic Response“ ist die Fläche unter den jeweiligen Kurven und ein Maß für die ­Schaltgeschwindigkeit.

Messung der Nanohebelbewegung

Die DNA-Moleküle sind an einem der beiden Stränge mit einem Fluoreszenzfarbstoff markiert. Nähert sich dieser durch Anlegen einer positiven Spannung der Goldoberfläche an, so führt ein Quenching-Effekt zur Abnahme der Fluoreszenz. Dies kann mit höchster Sensitivität durch zeitaufgelöstes Single-Photon-Counting gemessen werden. Somit kann die Geschwindigkeit der Schaltbewegung zu jedem Zeitpunkt genau bestimmt werden. Bindet nun der Analyt an das Fängermolekül, so ändern sich damit der hydrodynamische Widerstand des Hebels und somit auch seine Schaltgeschwindigkeit in charakteristischer Weise (siehe Abb. 1). Über den zeitlichen Verlauf der Schaltgeschwindigkeit können Affinität und Kinetik der Bindung zwischen dem Fängermolekül und dem Analyten bestimmt werden (siehe Abb. 2).

Abb. 2 Interaktionsanalyse mit switchSENSE®: Aus dem zeitlichen Verlauf der Schaltgeschwindigkeit (Dynamic Response) während der Assoziations- und Dissoziationsphase kann sowohl die An- und die Abbinderate als auch die Affinität der Interaktion bestimmt werden.

Im Gegensatz zu anderen Biosensoren ermöglicht die zusätzliche Dynamik-Komponente dieses Messprinzips die gleichzeitige biophysikalische Charakterisierung des Fängermoleküls bzw. Analyten: Durch den Vergleich mit mathematisch modellierten Vergleichskurven kann aus der Veränderung des Schaltgeschwindigkeitsprofils der hydrodynamische Durchmesser der Moleküle mit großer Genauigkeit bestimmt werden [3]. Auch die Bildung von Aggregaten oder Konformationsänderungen führen zu einer Veränderung des hydrodynamischen Durchmessers und können somit vom System in Echtzeit erfasst werden.

Chipfunktionalisierung durch Kopplung von EPO an DNA

Im folgenden Anwendungsbeispiel wurden mit der switchSENSE®-Methode das Hormon Erythropoietin (EPO) und entsprechende monoklonale Anti-EPO- Antikörper in Puffersystemen sowie im Serum untersucht und charakterisiert. In einem ersten Schritt wird kommerziell erhältliches rekombinantes EPO in vitro mithilfe eines Kopplungskits per Aminkopplung an DNA-Einzelstränge kovalent gebunden. Die verwendeten DNA-Sequenzen sind komplementär zu den kovalent auf der Biochip-Oberfläche gebundenen DNA-Einzelsträngen. Somit ist eine Funktionalisierung des Chips mit EPO als Fängermolekül extrem einfach, spezifisch und in wenigen Minuten möglich. Die erfolgreiche Chipfunktionalisierung kann mit einem einfachen Messschritt überprüft werden: Über die Veränderung der Schaltgeschwindigkeit durch die Kopplung des EPO kann dessen hydrodynamischer Durchmesser bestimmt werden.

Abb. 3 Größenanalyse von EPO. Zeitaufgelöste Aufstehkurven von DNA und DNA mit EPO (jeweils in grau) mit dazugehörenden Simulationskurven (schwarz bzw. blau) zeigen zum einen, wie DNA mit EPO (blau) zeitlich versetzt der reinen DNA-Kurve (schwarz) „hinterherhinkt“ und zum anderen, dass die Fit-Kurven die Messkurven sehr gut beschreiben.

Abbildung 3 zeigt, wie die Kopplung des EPO die „Aufstehbewegung“ der DNA im Vergleich mit unmodifizierter Doppelstrang-DNA auf einer Vergleichselektrode verlangsamt. Aus dieser verlangsamten Kurve ergibt sich durch Vergleich mit einer Bibliothek entsprechender Modellkurven ein hydrodynamischer Durchmesser von 4,7 nm ± 0,1 nm. Dies entspricht dem aus der Kristallstruktur errechneten Wert von 4,6 nm für das EPO-Molekül [4]. Der so funktionalisierte Chip wird nun zur Bestimmung von Bindungsaffinität und -kinetik eines ebenfalls kommerziell erhältlichen monoklonalen Anti-EPO-Antikörpers verwendet. Dazu werden unterschiedliche Konzentrationen des Antikörpers zwischen 30 und 1.000 pM injiziert. Es zeigen sich die entsprechenden Anbindekurven. Aufgrund der starken Affinität des Antikörpers wurde die Abbindung über einen sehr langen Zeitraum von ca. 14 Stunden gemessen. Dabei erweist sich von Vorteil, dass das verwendete switchSENSE®-System DRX 2400 von Dynamic Biosensors auch über sehr lange Messintervalle praktisch keinen nachweisbaren Signaldrift zeigt. Ein globaler Fit ergibt einen KD-Wert von ca. 1 pM.

Abb. 4 Die Konzentrationsbestimmung von EPO in einer unbekannten Probe anhand einer Eichgeraden. A zeigt lineare Fits im Anfangsbereich der Assoziation bei verschiedenen Konzen­trationen. In B ist jeweils die Steigung des linearen Fits über der dazugehörigen Konzentration aufgetragen. Durch Messung der Steigung kann die EPO-Konzentration einfach bestimmt werden: Konzentration (pM) = Steigung x 1,4 · 106.

Die Assoziationskurven des Antikörpers bei verschiedenen Konzentrationen können dann als Eichkurven verwendet werden, um im Folgenden die Konzentration des Antikörpers in verschiedenen Proben bestimmen zu können (siehe Abb. 4 A und B). Dabei wird eine sehr hohe Sensitivität der Messung erreicht. Selbst Konzentrationen unterhalb von 1 pM (entspricht 37 ng/l) lassen sich verlässlich nachweisen. In einem nächsten Analyseschritt wird die thermische Stabilität von EPO untersucht. Dabei erweist sich die hohe Temperaturverträglichkeit der switchSENSE®-Technologie als Vorteil. Im Gegensatz zu anderen Oberflächen-Biosensorsystemen, deren Anwendbarkeit auf einen relativ kleinen Temperaturbereich beschränkt ist (beispielsweise bei SPR bis ca. 40 °C), erlaubt das DRX 2400-Messsystem zuverlässige Analysen in einem Temperaturbereich von 4 °C bis 85 °C. Bereits ab ca. 50 °C reduziert sich die Schaltgeschwindigkeit, da EPO zu denaturieren beginnt und dabei aufquillt. Dieses Phänomen wurde in der Literatur bereits beschrieben [5]. Die Schmelztemperatur von EPO konnte somit auf 58,5 °C ± 0,5 °C bestimmt werden. Auf Basis der Schaltgeschwindigkeit kann nicht nur der Schmelzpunkt bestimmt, sondern auch eine Aussage getroffen werden, ob das Protein aufquillt oder in seine Aminosäuresequenz zerfällt.

Ein anschließender Versuch mit dem bekannten Anti-EPO-Antikörper ergibt eine Anbindung. Nach der temperaturabhängigen Umfaltung konnte die ursprüngliche Konformation wieder angenommen werden und das EPO wird durch den Antikörper wieder erkannt. Somit kann im selben Messgerät nicht nur die Schmelztemperatur bestimmt werden, sondern auch, ob die biologische Aktivität durch thermischen Stress beeinträchtigt wurde. Für diagnostische Anwendungen ist oftmals der Nachweis von Proteinen in komplexen Medien wie z.B. in Serum wichtig. Für Messungen im Serum wurde ein Assay entwickelt, wodurch mit minimaler Probenvorbehandlung (Filterschritt und Zugabe von kompetitiver DNA) der Nachweis von Anti-EPO möglich ist.

Zurück auf Anfang

Innerhalb kürzester Zeit und ohne spezielles Assay-­Development kann der Chip für weitere Messungen regeneriert werden. In einem einfachen pH-Schritt von wenigen Sekunden erfolgt die Dehybridisierung der beiden DNA-Stränge. Der so in seinen Ausgangszustand zurück versetzte Chip kann nun durch erneute Hybri­di­sierung mit EPO-modifizierten Gegensträngen in wenigen Minuten wieder funktionalisiert werden (Abb. 5).

Abb. 5 Workflow einer switchSENSE®-Messung. Gestartet wird mit einzelsträngiger DNA auf der Sensoroberfläche (0), die mit einem DNA-Fängermolekül – in diesem Fall EPO – hybridisiert wird. Somit ist der Chip funktionalisiert (1) und unterschiedliche Messungen (Größen­analyse, thermisch induzierte Entfaltung, Interaktionsanalyse, etc.) können gestartet werden. Nach dem Ende der Messung (2) wird mit basischer Lösung die DNA-Doppelhelix denaturiert. Hiermit wird der DNA-Komplementärstrang mit Proteinen vom Sensor entfernt. Somit ist wieder der Ausgangs-­ zustand erreicht und ein neuer Messzyklus kann gestartet werden.

Dieser einfache Regenerationszyklus kann bis zu mehrere hundert Mal wiederholt werden und hat den Vorteil, dass für jede Messung wieder frisches, unmanipuliertes und ungestresstes EPO zum Einsatz kommt und somit eine Verfälschung der Messergebnisse ausgeschlossen werden kann.

Zusammenfassend ermöglicht switchSENSE® die Analyse hochaffiner Interaktionen und derer Kinetik labelfrei und in Echtzeit. KD-Werte lassen sich auch im subnanomolaren Bereich mit großer Verlässlichkeit bestimmen. Langzeitmessungen sind aufgrund des minimalen Signaldrifts problemlos möglich. Im Vergleich zu anderen Biosensorsystemen erlaubt die Analyse der Schaltdynamik erstmalig auch die Bestimmung des hydro­dynamischen Durchmessers bzw. von Konformations­änderungen in derselben Messung. In Verbindung mit dem verfügbaren Temperaturbereich von 4 °C bis 85 °C bietet sich das System daher auch zur thermodynami­schen Charakterisierung von Molekülen an. Die Vielzahl an Messparametern wie der Proteingrößenanalyse, der Bestimmung der Proteinschmelztemperatur sowie der Interaktionsanalyse – und das alles kombiniert in einem Messgerät – ermöglicht ein umfassendes Bild der untersuchten Probe.

Über die Dynamic Biosensors GmbH

Die patentierte switchSENSE®-Technologie der Dynamic Biosensors GmbH aus Martinsried/Planegg bei München findet ihre Anwendung insbesondere im Bereich der biopharmazeutischen Forschung und Entwicklung. Die Technologie entstammt ursprünglich einem Kooperationsprojekt der Technischen Universität München mit den Fujitsu Laboratories, Inc. (Japan) und wurde 2014 mit dem renommierten New Product Award der Society of Laboratory Automation and Screening (SLAS), USA, ausgezeichnet.

Literatur:
[1] Langer, A. et al. (2013) Nature Communications, 4:2099
[2] Knezevic, J. et al. (2012) Journal of the American Chemical Society, 15225−15228
[3] Langer, A. et al. (2014) The Journal of Physical Chemistry B, 597–607
[4] Ortega, A. et al. (2011) Biophys. J., 892–898
[5] Arakawa, T. et al. (2001) Biosci Biotechnol Biochem., 1321–1327

Erstveröffentlichung: Strasser, R., Mludek, K., Kaiser, W., q&more, 1.2015.

Fakten, Hintergründe, Dossiers

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  • Surface-Plasmon-Res…
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  • Erythropoietin (EPO)

Mehr über Dynamic Biosensors

  • Autoren

    Dr. Wolfgang Kaiser

    Wolfgang Kaiser, Jg. 1980, studierte Physik an der Technischen Universität München (TUM). Nach seinem Diplom erhielt er für seine Promotion ein Stipendium der IGSSE (International Graduate School of Science and Engineering der TUM). In seiner Promotion am Walter-Schottky-Institut der TUM be ... mehr

    Katherina Mludek

    Katherina Mludek, Jg. 1982, studierte Bio- und Prozess-Technologie an der Hoch­schule Furtwangen. Nach erfolgreichem Bachelor­abschluss wechselte sie an die Hochschule Weihenstephan/Triesdorf und fing mit dem Master­studium Biotechnologie/Bioingenieurwesen an. Im Rahmen ihrer Master­arbeit ... mehr

    Dr. Ralf Strasser

    Ralf Strasser, Jg. 1978, studierte Chemie an der Ludwig-­Maximilians-Universität in München. Er promovierte im Jahr 2009 in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Thomas Carell über die Schadenserkennung in der DNA-Reparatur. Anschließend wechselte er an die Technische Universität München und arbe ... mehr

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