Vitale Bienenvölker sind von höchster Relevanz für die Aufrechterhaltung der natürlichen Diversität von Blütenpflanzen und die globale pflanzliche Nahrungsmittelproduktion, die zu 35 % von Insektenbestäubern abhängt, unter denen die Honigbiene (Apis mellifera) die überragende Rolle spielt. Aber auch für die Grundlagenforschung bietet die Gesundheit der Honigbienen spannende Fragen und verborgene Lösungen, deren Aufdeckung wichtige Erkenntnisse erwarten lässt.
Honigbienenvölker stehen unter dem Druck einer Vielzahl an Pathogenen und Parasiten (Viren, Bakterien, Pilze, Einzeller, Milben), gegen die sie im Laufe ihrer 30 Mio. Jahre langen Evolution Abwehrmechanismen entwickelt haben. Anthropogene (menschgemachte) zusätzliche Umwelt- und Stressbelastungen bringen die Honigbienen zusätzlich in Bedrängnis. Die Notwendigkeit, dieses wichtige Nutztier zu erhalten und die hochkomplexe Lage erfordern eine umfassende Grundlagenforschung zur Basis der Bienengesundheit, ihren Gefährdungen und den Möglichkeiten, den Bienen zu helfen.
Honigbienen besitzen, wie alle Insekten, kein adaptives Immunsystem. Dieser Nachteil wird ausgeglichen durch folgende Werkzeuge: (1) der Chitinpanzer als passiver, äußerer Schutz und das Darmepithel als innere Barriere, (2) die zelluläre und (3) die humorale Immunantwort des „angeborenen“ Immunsystems, (4) Verhaltensänderungen infizierter Sammelbienen, die nicht mehr zum Stock zurückfinden, (5) Brutpflege- und Hygienemaßnahmen, d.h., das Entfernen kranker oder toter Individuen sowie (6) Details in Anlage und Klimatisierung des Nestes.
Um die höchst komplexen Zusammenhänge studieren, verstehen und am Ende die Bienen unterstützen zu können, sind modernste Methoden im Labor und ein Hightech-„Lauschangriff“ in intakten Bienenkolonien essentiell.
Abb. 1 Zeitlicher Entwicklungsablauf vom Ei bis zur adulten Arbeiterin im Bienenstock, der mittels In-vitro-Aufzucht imitiert werden kann.
Die gewogene Bienengesundheit
Gewichtsbestimmungen ergeben Einsichten, deren Bedeutung für die Grundlagenforschung an Honigbienen nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das beginnt mit der kontinuierlichen Aufzeichnung des Gesamtgewichtes eines Bienenvolkes (siehe HOBOS), aus der zahlreiche relevante Schlüsse über die Entwicklung und die Verfassung eines Bienenvolkes gezogen werden können. Es setzt sich fort über die Wägung individueller Bienen in ihren unterschiedlichen Stadien, aus denen sich im Experiment Einsichten über die Auswirkung bestimmter Bienenkrankheiten ergeben können. Es reicht bis hin zu hochpräziser Wägung bestimmter Gewebefraktionen der Bienen im Kontext molekularbiologischer Analysen.
Abb. 2 Gelelektrophoretische Analyse induzierter Immunpeptide (links) in der Haemolymphe von Bienenlarven nach Verletzung und artifizieller Infektion mit E.coli-Bakterien. Im Hemmhoftest (rechts) kann gezeigt werden, dass die entsprechenden Proben tatsächlich antimikrobielle Aktivitäten besitzen.
Im Labor
Eine wichtige Voraussetzung für die Untersuchung der Immunantwort von Bienen ist die Etablierung der In-vitro-Aufzucht von Larven über das Puppenstadium bis zur adulten Biene (Abb. 1). Diese In-vitro-Aufzucht bietet eine optimale Voraussetzung für konstante und sterile Versuchsbedingungen. Die künstlich aufgezogenen Larven reagieren nach Verwundung und Bakterieninjektion (mittels fein ausgezogener Glaskapillaren) mit einer starken humoralen Immunantwort. Die Neusynthese von mindestens drei niedermolekularen AMPs (Hymenoptaecin, Defensin und Abaecin) lässt sich auf einem denaturierenden Polyacrylamidgel nachweisen. Mit Hilfe des Hemmhoftestes kann man feststellen, dass die entsprechenden Proben tatsächlich antimikrobielle Aktivitäten enthalten, wie aus den großen Hemmhöfen der Proben 3 und 6 zu ersehen ist (Abb. 2). Da das Bienengenom im Jahr 2006 entschlüsselt wurde, ist es nun auch möglich, die molekularen Vorgänge bei der Abwehr von Pathogenen durch Individuen aller Stadien (Larven, Puppen, Adulte), Bienentypen (Arbeiterinnen, Drohnen, Königinnen) und im gesamten Superorganismus Bienenkolonie systematisch zu untersuchen.
Abb. 3 Der große HOBOS-Lauschangriff auf ein intaktes Bienenvolk. Unterschiedlichste Videotechniken und eine große Anzahl an Sensoren liefern kontinuierlich Beobachtungsmöglichkeiten und Messungen aus einem ungestörten Bienenvolk.
Die Bienenkolonie live beobachten mittels HOBOS
Über verschiedene Kameras und Sensoren lassen sich über vollkommen neuartige Internetplattform eine lebende Bienenkolonie und ihre Umwelt aufs Genaueste studieren. HOBOS liefert Livevideos über eine Kamera am Stockeingang mit Infrarotbeleuchtung, eine Wärmebildkamera, zwei Endoskopkameras mit Mikrofonen, die die Zarge und den Gitterboden des Stocks filmen, und eine Kamera mit Infrarotbeleuchtung, die die Umwelt- und Wetterbedingungen im Garten aufzeichnet.
Daneben bietet HOBOS Datenströme zur Bienenkolonie, Vegetation und zum Wetter an – in Echtzeit und gespeichert. Es lassen sich Parameter zum Stockgewicht, zur Luftfeuchte und -temperatur, zu den Temperaturen in den elf Wabengassen, zur Temperatur an der Vorder- und der Hinterseite des Stocks sowie zu ein- und ausfliegenden Honigbienen ablesen (Abb. 3). Mithilfe eines RFID-Chips, der wichtige Daten über individuelle Bienen enthält, ist es möglich, bestimmte Verhaltensweisen der Tiere automatisch aufzuzeichnen (Abb. 4). Messwerte aus der Umgebung des Stocks zum Luftdruck und zur Lufttemperatur und -feuchte, zum atmosphärischen elektrischen Feld, zum Niederschlag, zur Windrichtung und -geschwindigkeit, zur Sonneneinstrahlung, zur Boden- und Blattfeuchte ergänzen die Stockdaten und machen aus HOBOS ein bisher beispielloses Umweltprojekt.
Photo: © H. R. Heilmann, HOBOS TeamAbb. 4 Der RFID (radio frequency identification)-Chip enthält wichtige Daten über individuelle Bienen und erlaubt es, bestimmte Verhaltensweisen der Tiere automatisch aufzuzeichnen.
HOBOS ist nicht nur ein Werkzeug und ein Labor zur Erforschung der Honigbienen für jedermann, sondern
vor allem auch eine ideale interdisziplinäre Plattform für naturwissenschaftlichen Bildung und Ausbildung für den Einsatz in Ausbildungseinrichtungen der Life Sciences.
Literatur:
Tautz, J. & Beier, H. (2013) Ein Superorganismus mit vielen Facetten:
Hightech im Bienenvolk. In: Renneberg, R., Biotechnologie für Einsteiger, Springer
Tautz, J. (2007) Phänomen Honigbiene (Mit Photographien von H. R. Heilmann),
Spektrum-Elsevier, Heidelberg
Tautz, J. & Vonend, K. (2012) Licht ins Dunkel. Von Honigbienen lernen –
Live-Beobachtungen im Bienenstock, labor&more 7, 36–39
Headerbild: © H. R. Heilmann, HOBOS-Team
Erstveröffentlichung:
Tautz, J.,
q&more,
2.2014.