Finden auch Sie es lästig und unerfreulich, wenn als längst erledigt abgehakte Aufgaben auf einmal wieder auftauchen, sich leider doch als unerledigt entpuppen und dringende Bearbeitung erfordern? In der Wirkstoffforschung gehört das Thema Antibiotika zu den glänzenden und erschreckenden Beispielen dieses Phänomens, wie der jüngste Bericht der WHO zum Thema antimikrobielle Resistenz belegt.
Die Entdeckung der Antibiotika in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gehört zweifelsohne zu den Meilensteinen der Medizingeschichte. Angefangen mit den Entdeckungen des Penicillins durch Alexander Fleming und der Sulfonamide durch Gerhard Domagk wurden bis zu den 1960er-Jahren eine Vielzahl wirkungsvoller, bis heute in Gebrauch stehender Antibiotikaklassen auf den Markt gebracht. Dieser Siegeszug führte den US Surgeon General William H. Steward zu dem Urteil „…that we essentially defeated infectious diseases and could close the book on them…“.
Zu wenig neue Produkte
Ein Trugschluss, der die Wandlungsfähigkeit von Krankheitserregern massiv unterschätzte. Außerdem sprachen ökonomische Argumente gegen ein starkes Engagement der Industrie in der Antibiotikaforschung und -entwicklung: Weil neue, innovative Produkte nur kurzzeitig für die Dauer weniger Wochen eingesetzt wurden (dann war der Patient schließlich geheilt) und oftmals als Reservemedikament anstelle einer Primärbehandlung Verwendung fanden, versprachen Antibiotika geringere Umsätze und Gewinne als andere, gegen chronische Krankheiten gerichtete Medikamente. Der Forschung wurde paradoxerweise auch ihre Qualität zum Verhängnis: Die hohe translationale Prädiktivität der In-vitro-Systeme und Tiermodelle für Antibiotika führt zu einer hohen Ausschlussrate in der Präklinik und entsprechend quantitativ dünnen Pipelines – ein Nachteil bei einer zahlengetriebenen Perspektive auf die R&D- Produktivität, die auch die guten Erfolgsquoten der späten klinischen Entwicklung nicht honorierte. Die geringe ökonomische Attraktivität und der scheinbar gedeckte medizinische Bedarf führten in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem massiven Rückgang der Antibiotikaforschung und dementsprechend zu wenig neuen Produkten.
Der zunehmenden Resistenzentwicklung begegnen
Nicht nachgelassen hat hingegen die Resistenzentwicklung der Pathogene. Weil sich Bakterien permanent durch Mutationen oder Übernahme ganzer Gene anpassen, werden viele der ehemals effektiven Antibiotika zunehmend wirkungslos, insbesondere gegen die im sogenannten ESKAPE-Panel zusammengefassten Problemkeime. Daher haben Wissenschaftler bei Fortsetzung dieser Entwicklung das Schreckgespinst eines Rückfalls in die prä-antibiotische Ära mit stark erhöhter infektionsbedingter Mortalität gezeichnet.
Diese Aussicht führte zu Gegenmaßnahmen aller Beteiligten: Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat durch Maßnahmen wie den u.a. im GAIN (Generating Antibiotics Incentives Now) Act verankerten vereinfachten Zulassungsstudien, schnellen Zulassungsverfahren („fast track“) und verlängerten Patentlaufzeiten die Entwicklung von Antibiotika für antizyklisch agierende Biotech-Unternehmen wie Cubist, aber auch Big Pharma-Wiedereinsteiger wie Novartis, Sanofi oder Roche ökonomisch attraktiver gemacht. Die Forschung findet zunehmend nicht mehr durch isolierte Einzelkämpfer statt, sondern in Form von Konsortien wie dem im Rahmen der Innovative Medicine Initiative (IMI) der EU entstandenen New Drugs for Bad Bugs (ND4BB). Auf deutscher Ebene ist die Formulierung der Deutschen Antibiotika Resistenzstrategie (DARTS) und insbesondere die Etablierung des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) zu nennen.
Zusammengeführtes Wissen
Das DZIF umfasst 32 Einrichtungen, darunter Universitäten, Universitätskliniken, Leibniz- und Max-Planck-Institute, Helmholtz-Zentren und Bundesforschungseinrichtungen, um über eine Zusammenführung von Experten auf den Gebieten der Grundlagenforschung, Epidemiologie und Klinik wichtige Herausforderungen der translationalen Infektionsforschung zu meistern. Sofern diese Engagements stark, nachhaltig und ausdauernd geführt werden (denn Pathogene sind es allemal), werden wir Resistenzen erfolgreich begegnen. Aus Forschersicht bleibt nur spannend, welche der innovativen Ansatzpunkte – zum Beispiel eine modernisierte, genombasierte Naturstoffforschung, Pathoblocker wie Quorum Sensing-Inhibitoren oder Toxin-Binder, Immunmodulatoren oder pathogenspezifische Antibiotika – ganz neue (und nicht nur weiterentwickelte) Produkte liefern werden.
Headerbild: iStock.com | Yuri_Arcurs
Erstveröffentlichung:
Brönstrup, M.,
q&more,
2.2014.