26.08.2016 - Technische Universität München

Molekulare Qualitätskontrolle: Wie Chaperone defekte Proteine erkennen

Proteine, auch Eiweiße genannt, erfüllen in unserem Körper lebenswichtige Funktionen. Damit diese Prozesse zuverlässig funktionieren, müssen die Proteine eine definierte Struktur annehmen. Faltungshelfer, die sogenannten Chaperone, kontrollieren den Prozess. Ein Forscherteam unter der Beteiligung der Technischen Universität München (TUM) konnte nun herausfinden, wie Chaperone besonders gefährliche Fehler in diesem Strukturierungsprozess erkennen.

Chaperone sind sozusagen die TÜV-Prüfer der Zelle. Es handelt sich um Proteine, die wiederum andere Proteine auf Qualitätsmängel untersuchen, bevor diese die Zelle verlassen.

Fällt ein Auto durch den TÜV, hat es Mängel, die zu schweren Unfällen führen können. Faltet sich ein Eiweiß in eine fehlerhafte Struktur, kann das zu schweren Krankheiten führen. Beispiele sind neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, aber auch Stoffwechselerkrankungen wie Mukoviszidose und Diabetes.

Matthias Feige, Professor für Zelluläre Proteinbiochemie an der TUM, hat gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam um Linda Hendershot am St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis/TN, USA, untersucht, wie Chaperone fehlerhafte Proteine erkennen. Den Fokus legten die Wissenschaftler dabei auf Eiweiße, die im sogenannten Endoplasmatischen Retikulum produziert werden. "Unser Interesse liegt hauptsächlich in der zellulären Proteinfaltung", erklärt Feige. "Es ist eine faszinierende Frage, wie sich die Proteine auf molekularer Ebene selbst organisieren – und wie die Zelle Fehler in diesem Prozess erkennt."

Defekte Proteine müssen von der Zelle abgebaut werden

Das Endoplasmatische Retikulum besteht aus einem Netz von Hohlräumen in der Zelle und ist auf die Proteinfaltung und ihre Qualitätskontrolle spezialisiert, da ein Drittel aller menschlichen Proteine dort produziert werden. Wie bei jeder Produktion können hier Fehler passieren: Lösliche Proteine bilden mithilfe hydrophober (wasserabweisender) Aminosäuresequenzen einen sogenannten Faltungskern, um den sich der Rest des Proteins strukturieren kann. Passieren aber in dem Faltungsprozess Fehler, so kann es sein, dass diese hydrophoben Bereiche  nicht im Kern, sondern auf der Oberfläche der Proteine zu finden sind.

Da diese Sequenzen dazu führen können, dass die Eiweiße verklumpen, können sie für die Zelle oder den ganzen Organismus gefährlich werden.

Per Shuttle in die Zelle

Bisher war nur bekannt, dass Chaperone hydrophobe Aminosäuren-Sequenzen auf der Oberfläche von Proteinen identifizieren können. Die Proteine, die solche Sequenzen aufweisen, werden aber nicht zwingend abgebaut – denn nicht alle Eiweiße mit hydrophoben Aminosäuresequenzen auf der Oberfläche sind zwangsläufig defekt. Wie genau die Zelle entscheidet, ob ein Protein so gefährlich ist, dass es abgebaut werden sollte, blieb ungeklärt. 

Die Forscher entwickelten eine neue Methode, mit der es ihnen möglich war, das Verhalten der Chaperone direkt im lebenden biologischen System der Zelle zu beobachten. Dazu brachten sie genau definierte Sequenzen von Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine, mittels eines Shuttlesystems in das Endoplasmatische Retikulum der Zelle. Durch diesen Trick konnten sie unter biologisch relevanten Bedingungen beobachten, welche Sequenzen unterschiedliche Chaperone erkennen.

Zwei Klassen von Chaperonen

Dabei fanden sie heraus, dass nicht nur eine, sondern zwei Klassen von Chaperonen im Endoplasmatischen Retikulum existieren, die jeweils unterschiedliche Typen von hydrophoben Aminosäuresequenzen erkennen. Die von den nun erstmals als solchen beschriebenen Chaperonen der zweiten Klasse erkannten Sequenzen sind dabei besonders anfällig dafür, miteinander zu verklumpen. Werden diese erkannt, können die Proteine rasch abgebaut werden.

"Das ist ein wichtiges Puzzleteil bei der Aufklärung der Frage wie molekulare Qualitätskontrolle funktioniert" sagt Feige. "In weiteren Arbeiten gilt es nun auch strukturell zu verstehen, wie die Chaperone ihre Zielsequenzen erkennen."

Auch für die biotechnologische Herstellung von Proteinen wie etwa Antikörpern sind diese Arbeiten wichtig. Um zu verhindern, dass diese Pharmazeutika zu schnell vom Körper abgebaut werden, können die Biotechnologen nun dafür sorgen, dass die entsprechenden Sequenzen nicht auf der Proteinoberfläche erscheinen. 

Fakten, Hintergründe, Dossiers

  • Chaperone
  • Proteine
  • TU München
  • Proteinfaltung
  • Endoplasmatisches Retikulum

Mehr über TUM

  • News

    Molekulares Monitoring der RNA-Regulation

    Je besser wir zelluläre Prozesse wie die RNA Regulierung verstehen, desto gezielter können Medikamente entwickelt werden. Besonders schwierig war es bisher, die Regulierung nichtkodierender RNA nachzuverfolgen, also RNA, die nicht weiter zu Proteinen umgesetzt wird. Ein Forschungsteam der T ... mehr

    Synthetische Peptide könnten Bildung schädlicher Ablagerungen verhindern

    Bei der Alzheimer-Demenz geht der Untergang der Hirnzellen mit der Bildung von schädlichen Eiweißaggregaten und -ablagerungen, den sogenannten Amyloid-Plaques, einher. Ähnliche Prozesse spielen aber auch beim Typ-2-Diabetes eine wichtige Rolle. Einem Forschungsteam unter der Führung der Tec ... mehr

    Erster elektrischer Nanomotor aus DNA-Material

    Einem Forschungsteam unter Leitung der Technischen Universität München (TUM) ist es erstmals gelungen, einen molekularen Elektromotor mit der Methode des DNA-Origami herzustellen. Die winzige Maschine aus Erbgut-Material setzt sich selbst zusammen und wandelt elektrische Energie in Bewegung ... mehr

  • q&more Artikel

    Vitalkleber, ein Protein mit Potenzial

    In fast jedem der 17 Ziele der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung spielen Lebensmittel und deren Wertschöpfungskette eine wichtige Rolle [1]. Mit der Agenda haben die Vereinten Nationen einen globalen Handlungsrahmen geschaffen, der sich an alle gesellschaftlichen Akteure richtet. mehr

    Biobasierte Rohstoffströme der Zukunft

    Der anthropogene Klimawandel und die steigende Weltbevölkerung im Verbund mit zunehmender Urbanisierung induzieren globale Herausforderungen an unsere Gesellschaft, die nur durch technologische Fortschritte gelöst werden können. mehr

    Ein Geschmacks- und Aromaschub im Mund

    Der Ernährungstrend hin zu gesünderen Snacks ist ungebremst. Snacks aus gefriergetrockneten Früchten erfüllen die Erwartungen der Verbraucher an moderne, hochwertige Lebensmittel. Allerdings erfordert die Gefriertrocknung ganzer Früchte lange Trocknungszeiten ... mehr

  • Autoren

    Prof. Dr. Thomas Becker

    Thomas Becker, Jahrgang 1965, studierte Technologie und Biotechnologie der Lebensmittel an der Technischen Universität München (TUM). Im Anschluss arbeitete er von 1992 bis 1993 als Projektingenieur in der Fa. Geo-Konzept. Die Promotion erfolgte 1995 an der TUM. Von 1996 bis 2004 war er als ... mehr

    Monika C. Wehrli

    Monika Wehrli, Jahrgang 1994, schloss ihr Studium mit Schwerpunkt Lebensmittelverfahrenstechnik an der ETH Zürich ab. Seit 2018 forscht sie an der Technischen Universität München am Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, wo sie ihre Promotion im Bereich Getreidetechnologie und -verfah ... mehr

    Prof. Dr. Thomas Brück

    Thomas Brück, Jahrgang 1972, absolvierte sein Bachelorstudium (B.Sc.) 1996 in den Fächern Chemie, Biochemie und Management an der Keele University in Stoke on Trent, U.K. Er hält einen Masterabschluss (1997) in Molekularmedizin von derselben Universität und promovierte 2002 auf dem Gebiet d ... mehr

q&more – die Networking-Plattform für exzellente Qualität in Labor und Prozess

q&more verfolgt den Anspruch, aktuelle Forschung und innovative Lösungen sichtbar zu machen und den Wissensaustausch zu unterstützen. Im Fokus des breiten Themenspektrums stehen höchste Qualitätsansprüche in einem hochinnovativen Branchenumfeld. Als moderne Wissensplattform bietet q&more den Akteuren im Markt einzigartige Networking-Möglichkeiten. International renommierte Autoren repräsentieren den aktuellen Wissenstand. Die Originalbeiträge werden attraktiv in einem anspruchsvollen Umfeld präsentiert und deutsch und englisch publiziert. Die Inhalte zeigen neue Konzepte und unkonventionelle Lösungsansätze auf.

> mehr zu q&more

q&more wird unterstützt von: