15.06.2022 - Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH

Neue „Entscheidungshilfe“ für CRISPR-Immunantwort

RNA-Konzentration beeinflusst Abwehrreaktionen

Freund oder Feind? Mit dieser Frage sehen sich Immunsysteme ständig konfrontiert. Sie müssen Eindringlinge ausfindig machen, ohne der zu schützenden Zelle zu schaden. CRISPR-Cas-Systeme erkennen Fremdkörper anhand ihrer Gensequenz. Doch was passiert, wenn Wirtszellen die gleichen genetischen Merkmale aufweisen? Ein Forschungsteam unter Federführung des Würzburger Helmholtz-Instituts in Kooperation mit der North Carolina State University (USA) hat nun einen Kontrollmechanismus für CRISPR-Systeme mit der Nuklease Cas13 identifiziert: Nur wenn die Menge an Fremd-RNA einen gewissen Schwellenwert übersteigt, lösen die Systeme eine umfassende Immunantwort aus. Diese Erkenntnis eröffnet neue Möglichkeiten für den Einsatz von CRISPR-Cas13 zur Behandlung von Erb- und Infektionskrankheiten. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler:innen jetzt in der Fachzeitschrift „Cell Host & Microbe“ veröffentlicht.

Fremdkörper vom Wirt zu unterscheiden, ist für Immunsysteme eine große Herausforderung. Erkennen sie einen Eindringling nicht, ist der Wirt einer potenziell tödlichen Infektion ausgesetzt. Stufen sie den Wirt selbst als Fremdkörper ein, kann eine verheerende Autoimmunreaktion die Folge sein. „Für die Behandlung von Infektions-, Erb- und Autoimmunkrankheiten ist es wichtig zu verstehen, wie Immunsysteme Entscheidungen treffen“, sagt Chase Beisel, korrespondierender Autor der Studie und Leiter der Abteilung „Synthetische RNA-Biologie“ am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg, einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg.

Drei goldene Regeln

Auch CRISPR-Cas-Abwehrsysteme, die natürlicherweise in Bakterien vorkommen und sie vor viralen Angriffen schützen, müssen regelmäßig entscheiden, ob sie eine Immunantwort auslösen oder nicht. Bei Systemen mit der Nuklease Cas13 äußert sich eine solche Abwehrreaktion in einem umfassenden Abbau von Ribonukleinsäure (RNA), die Zelle wird in einen Ruhezustand versetzt. In dieser Umgebung kann sich das eindringende Virus nicht weiter vermehren, seine Ausbreitung wird eingedämmt. „Bisher wurde angenommen, dass die Immunreaktion bei CRISPR-Cas13-Systemen ausgelöst wird, sobald zwei Kriterien erfüllt sind: eine Übereinstimmung der Ziel-RNA mit der Leit-RNA des Systems und das Vorhandensein einer zusätzlichen flankierenden Gen-Sequenz“, erklärt Elena Vialetto, Doktorandin am HIRI und Erstautorin der Studie. „Dass auch die Konzentration der Fremd-RNA eine Rolle spielt, war völlig unerwartet.“ Diese zusätzliche „Entscheidungshilfe“ ermöglicht es, zwischen einer akuten und potenziell tödlichen Infektion und einer relativ harmlosen Infektion zu unterscheiden: „Zellen können also entscheiden, inwieweit eine Infektion eine Bedrohung darstellt“, fasst Vialetto zusammen. „Das ist eine bedeutende Erkenntnis, da einige Infektionen auch Vorteile für Bakterien bieten können. Beispielsweise gibt es bestimmte Eindringlinge, die Antibiotikaresistenzgene enthalten und sich nur in das Bakteriengenom integrieren, ohne die Zelle zu töten“, sagt Chase Beisel.

Neue Möglichkeiten für Therapien und Gen-Abschaltung

Die Nuklease Cas13 hat das Potenzial, künftig bei Virenerkrankungen oder zur Abschaltung unerwünschter Gene eingesetzt zu werden. „Es war immer ein Kuriosum, dass Cas13 in Bakterien durch die Spaltung sämtlicher RNA Ruhezustände auslöst, in menschlichen Zellen jedoch nur die Ziel-RNA spaltet. Unsere Arbeit deutet darauf hin, dass die RNA-Konzentration etwas damit zu tun haben könnte“, sagt Vialetto. Beisel ergänzt: „Das stellt einen zusätzlichen Faktor dar, der bei der Anwendung von Cas13 zur Abschaltung von Genen berücksichtigt werden muss.“ Die Erkenntnisse des Forschungsteams helfen also dabei, die Nuklease besser zu verstehen, und schaffen so die Grundlage für innovative Therapiemöglichkeiten.

In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden untersuchen, wie sich dieser Schwellenwert bei anderen CRISPR-Cas-Systemen auswirkt, die RNA erkennen. „Es gibt eine ganze Klasse von Systemen, die sogenannten Typ-III-Systeme, die RNA erkennen, dann aber auf andere Proteine angewiesen sind, um die RNA oder DNA zu spalten. Auch hier könnte die RNA-Konzentration einen großen Einfluss darauf haben, wann eine Immunantwort ausgelöst wird und wie das System zwischen gutartigen und gefährlichen Eindringlingen unterscheidet“, gibt Beisel einen Ausblick auf zukünftige Forschungsansätze.

Fakten, Hintergründe, Dossiers

  • CRISPR
  • CRISPR/Cas-Technik
  • Immunsystem
  • RNA

Mehr über Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

  • News

    Zwei Erreger mit einer Klappe

    Die Entwicklung neuer Wirkstoffe gegen krankheitserregende Bakterien, Parasiten, Pilze und Viren wird immer wichtiger, da bisherige Wirkstoffe aufgrund der Entwicklung von Resistenzen zunehmend an Wirksamkeit verlieren. Am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) hat ... mehr

    Präzisionsschliff für die Genschere

    Die mit der Genschere CRISPR assoziierte Nuklease Cas13b hat das Potenzial, künftig bei Erbkrankheiten eingesetzt zu werden, um unerwünschte Gene auszuschalten. Im Kampf gegen Infektionen wird sie zudem als antivirales Mittel erforscht, da Cas13b gezielt in das Erbgut von Viren eingreifen u ... mehr

    Turbo für die CRISPR-Forschung

    Bei vielen Erkrankungen des menschlichen Organismus stoßen die Mittel und Möglichkeiten der Medizin an ihre Grenzen. CRISPR-Technologien bieten neue Ansätze für die Diagnostik und Therapie. Wissenschaftler:innen vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg, ... mehr

  • q&more Artikel

    Antibiotika­resistenzen

    Finden auch Sie es lästig und unerfreulich, wenn als längst erledigt abgehakte Aufgaben auf einmal wieder auftauchen, sich leider doch als unerledigt entpuppen und dringende Bearbeitung erfordern? In der Wirkstoffforschung gehört das Thema Antibiotika zu den glänzenden und erschreckenden Be ... mehr

  • Autoren

    Prof. Dr. Mark Brönstrup

    Jg. 1971, studierte Chemie an der Philipps-Universität Marburg und am Imperial College in London. 1999 promovierte er an der TU Berlin in organischer Chemie. Er arbeitete von 2000 bis 2013 beim Pharmakonzern Sanofi in Frankfurt, zunächst als Leiter eines Labors für Massenspektrometrie, dann ... mehr

Mehr über Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI)

  • News

    Turbo für die CRISPR-Forschung

    Bei vielen Erkrankungen des menschlichen Organismus stoßen die Mittel und Möglichkeiten der Medizin an ihre Grenzen. CRISPR-Technologien bieten neue Ansätze für die Diagnostik und Therapie. Wissenschaftler:innen vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg, ... mehr

    Kampf zwischen Virus und Wirtszelle visualisiert

    Zellen sind mit wirkungsvollen Abwehrmechanismen ausgestattet, um gegen Eindringlinge vorzugehen. Schlacht- und Bauplan sind in den Genen festgeschrieben, die bei einem feindlichen Angriff aktiviert werden müssen. Wissenschaftler des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung ... mehr

q&more – die Networking-Plattform für exzellente Qualität in Labor und Prozess

q&more verfolgt den Anspruch, aktuelle Forschung und innovative Lösungen sichtbar zu machen und den Wissensaustausch zu unterstützen. Im Fokus des breiten Themenspektrums stehen höchste Qualitätsansprüche in einem hochinnovativen Branchenumfeld. Als moderne Wissensplattform bietet q&more den Akteuren im Markt einzigartige Networking-Möglichkeiten. International renommierte Autoren repräsentieren den aktuellen Wissenstand. Die Originalbeiträge werden attraktiv in einem anspruchsvollen Umfeld präsentiert und deutsch und englisch publiziert. Die Inhalte zeigen neue Konzepte und unkonventionelle Lösungsansätze auf.

> mehr zu q&more

q&more wird unterstützt von: