03.01.2022 - Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Von der WG ins Mikroben-Eigenheim

Forschungsverbund entwickelt neue Methoden zum Screenen und Kultivieren biotechnologisch vielversprechender Mikroorganismen

Mikroorganismen sind die ältesten, häufigsten und diversesten Lebensformen der Erde und bieten ein enormes Potenzial für biotechnologische Anwendungen. Bis heute konnte jedoch nur ein Bruchteil davon isoliert und kultiviert werden. Das vom Bundesforschungsministerium mit 1,5 Millionen Euro geförderte Forschungsprojekt „MicroMATRIX“ will unter Federführung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) mehr Licht ins Mikroben-Dunkel bringen, indem es eine Kultivierungspipeline für bisher nicht kultivierbare Mikroorganismen mit biotechnologischer Relevanz aus Umweltproben entwickelt.

„Mikroorganismen sind die Katalysatoren einer biobasierten Industrie und spielen bei vielen biotechnologischen Prozessen eine zentrale Rolle. Die Entwicklung unserer Gesellschaft hin zu einer nachhaltigen Bioökonomie macht es notwendig, etablierte Verfahren durch biotechnologische Prozesse zu ergänzen und zu ersetzen“, sagt Dr. Kersten Rabe vom Institut für Biologische Grenzflächen 1 des KIT, der das Projekt MicroMATRIX koordiniert. „Darüber hinaus können auf Basis biologischer Systeme neuartige biobasierte Materialien entwickelt werden. So lässt sich beispielsweise der Mangel an neuen Therapeutika in der Gesundheitsforschung beheben“, betont Rabe.

Noch viele weiße Flecken in der Mikroben-Welt

Trotz ihrer hohen Bedeutung werden Mikroorganismen auch heute noch völlig unzureichend erforscht und genutzt. Schätzungsweise 99 Prozent aller mikrobiellen Arten konnten bis jetzt nicht kultiviert werden. Der Grund hierfür: Sie können bisher nicht isoliert werden, da sie Teil von Konsortien verschiedener Mikroorganismen sind und häufig in Biofilmen in der Natur vorkommen. Darin leben viele Mikroorganismen in Gemeinschaft und bilden Schleimschichten, wie man sie beispielsweise auf Gesteinen in Gewässern findet. Die Mikroorganismen produzieren dabei eine sie umgebende „Matrix“, die neben dem Austausch von Nähr- und Botenstoffen eine große Rolle für die Struktur dieser „Wohngemeinschaften“ spielt. Ziel des Projektteams ist es, diese Faktoren technisch zu imitieren. So sollen bislang nicht kultivierbare, biotechnologisch vielversprechende Mikroorganismen im Labor vermehrt, charakterisiert und langfristig technologisch nutzbar gemacht werden.

Genetische Zielfahndung mit Perspektive auf gutes Wachstum

Im Projekt MicroMATRIX arbeiten daher Expertinnen und Experten aus Forschung und Industrie in den Bereichen der Bioinformatik, der Mikro- und Molekularbiologie, der Ingenieurwissenschaften und der Chemie zusammen und werden in den kommenden drei Jahren die nötigen Technologien und Verfahrensweisen entwickeln. Dabei werden mit Hilfe von Analysen der genetischen Informationen einer natürlich vorkommenden Mischung an Mikroorganismen einzelne biotechnologisch interessante Mikroorganismen identifiziert und die besten Bedingungen für ihr Wachstum vorhergesagt. „Insbesondere die sich rasant entwickelnden Methoden der Genomanalyse, beispielsweise die Einzelzellgenomik, helfen uns, die ‚Dunkle Materie‘ in der Welt der Mikroorganismen zu erforschen “, betont Professorin Anne-Kristin Kaster, Direktorin am Institut für biologische Grenzflächen 5 des KIT, die sich im Projektteam mit der bioinformatischen Identifikation und der gezielten Sortierung der Organismen befasst. Spezifische Organismen sollen gezielt fluoreszent markiert und so vom Rest der Gemeinschaft getrennt werden. Die gefärbten Organismen werden dann in speziellen Kultivierungssystemen abgelegt, wo sie unter optimalen Bedingungen wachsen können.

Über das Projekt MicroMATRIX

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt MicroMATRIX (steht für Microbial cultivation based on Meta-omics Assisted, Targeted soRting and Isolation in a customized matriX) über drei Jahre mit 1,5 Millionen Euro. Am Projekt sind am KIT die Institute für biologische Grenzflächen 1 und 5 sowie das Institut für Angewandte Biowissenschaften beteiligt. Weitere Partner sind die Technische Universität Hamburg, die Universität Tübingen und die Freiburger Firma Cytena. Das Projekt ist im Juni gestartet.

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