28.12.2021 - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

DNAzyme – wie aktive DNA-Moleküle mit therapeutischem Potenzial funktionieren

DNAzyme sind hochpräzise Biokatalysatoren, die gezielt ungewollte RNA-Moleküle zerstören. Für den medizinischen Einsatz gibt es aber noch eine große Hürde. Ein Forschungsteam der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) hat zusammen mit dem Forschungszentrum Jülich (FZJ) und der Universität Bonn die genaue Funktionsweise der DNAzyme in Echtzeit untersucht. Diese wichtigen Grundlagenerkenntnisse hin zur Anwendung stellen sie in der Zeitschrift Nature vor.

DNAzyme – ein Kunstwort aus DNA und Enzym – sind katalytisch aktive DNA-Sequenzen. Sie bestehen aus einem katalytischen Kern aus rund 15 Nukleinsäuren, an dem rechts und links kurze Bindearme aus ca. zehn Nukleinsäuren sitzen. Während die Sequenz des Kerns vorgegeben ist, lassen sich die Bindearme gezielt auf nahezu jede RNA-Zielsequenz anpassen.

Im Visier sind ungewollte RNA-Moleküle von Viren, Krebs- oder geschädigten Nervenzellen, die mit den DNAzymen angegriffen und zerstört werden sollen. Dafür nutzt man solche Bindungssequenzen, die einer Folge von Nukleotiden auf dem gesuchten RNA-Molekül entsprechen. Genau an der Stelle dockt das DNAzym an und der Kern zerschneidet das RNA-Molekül, dessen Bruchstücke anschließend schnell in der Zelle zersetzt werden. Die Bindearme sind leicht und schnell austauschbar.

Der therapeutische Nutzen ist augenfällig: Hochpräzise kann eine ungewollte RNA zerstört werden, während andere nützliche RNA-Stränge in einer Zelle unangetastet bleiben. Bei einigen Viren wie SARS-CoV2 und Ebola ist das Erbgut auf einem RNA-Molekül kodiert. Krebs- wie auch gesunde Zellen nutzen sogenannte Messenger-RNA (mRNA), um Baupläne für Proteine von deren DNA zu kopieren und in die Molekülfabriken zu transferieren. Bei Krebszellen ist die mRNA-Sequenz gegenüber gesunden Zellen oft leicht verändert oder in unterschiedlichen Mengen vorhanden, so dass DNAzyme gezielt Krebszellen angreifen und andere Zellen schonen können.

„Was in der Theorie hervorragend klingt und schon vor 20 Jahren vorgeschlagen wurde, funktioniert in der medizinischen Praxis so leider nicht“, schränkt Dr. Manuel Etzkorn, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Physikalische Biologie der HHU und Letztautor der jetzt in Nature erschienenen Studie, ein: „Im Reagenzglas zerstören die DNAzyme RNA-Moleküle sehr effektiv, aber in einer Zelle geschieht dies kaum. Es muss einen konkurrierenden Prozess geben, der die DNAzyme hindert. Ohne ein grundlegendes Verständnis ihrer Funktionsweise wird es aber sehr schwierig, verbesserte DNAzyme-Varianten zu entwickeln, welche sich in der Zelle durchsetzen. Unsere Einblicke ändern diese festgefahrene Situation jetzt.“

In ihrer Studie wollten die Autorinnen und Autoren von der HHU zusammen mit einem Team aus dem Forschungszentrum Jülich, der Universität Bonn und einem Schweizer Unternehmen verstehen, wie das Gesamtsystem dynamisch funktioniert, welche Schritte beim Binden und Schneiden ablaufen und welche Kofaktoren die Reaktion unterstützen.

Die Forschenden beobachteten die Vorgänge mit atomarer Auflösung und teilweise in Echtzeit mithilfe der hochauflösenden Kernresonanzspektroskopie (NMR). Damit konnten sie die dreidimensionale Atomanordnung darstellen, die das DNAzym annimmt, um an die RNA zu binden und diese zu zerteilen: Der Kern wickelt sich hierbei in sehr effektiver Weise um den RNA-Strang und trennt diesen in mehreren Zwischenschritten in zwei Teile auf. Nach dem Schnitt gibt das DNAzym die Stücke frei und kann erneut ansetzen.

Prof. Dr. Holger Gohlke vom HHU-Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie und vom Institut für Bio- und Geowissenschaften des FZJ, dessen Team Moleküldynamiksimulationen an dem DNAzym-RNA-Komplex durchgeführt hat, ergänzt: „Im besten Sinne integrativer Modellierung konnten wir auf atomarer Ebene einen plausiblen Spaltungsmechanismus der RNA vorschlagen und Hinweise zur RNA-Basenpräferenz an der Spaltungsstelle liefern.“

Jan Borggräfe, Doktorand in Etzkorns Arbeitsgruppe und Erstautor der Studie, erläutert, warum die DNAzyme in der Zelle nur schlecht funktionieren: „Wir haben festgestellt, dass Magnesium als entscheidender Kofaktor verschiedene essentielle Rollen im Mechanismus spielt, aber relativ schlecht und nur kurz an das DNAzym bindet. In der Zelle gibt es andere Zellkomponenten mit höherer Affinität für Magnesium, die es also quasi dem DNAzym ‚wegschnappen‘.“

Als nächste Schritte stehen Strukturuntersuchungen in Zellkulturen und Organoiden an. Ziel für den medizinischen Einsatz ist es, die Magnesium-Affinität der DNAzyme durch gezielte Modifikationen zu erhöhen, um ihre Aktivität im biologischen Gewebe zu verbessern.

Dr. Etzkorn nennt ein weiteres Anwendungsfeld: „Der Fokus unseres Instituts liegt auf der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen, wo wir ebenfalls gute Ansatzpunkte für DNAzyme sehen. Bei Parkinson-Erkrankungen können sie unter Umständen die mRNA-Sequenz zerstören, die für die Produktion von Alpha-Synuclein sorgt, welches in zu großen Mengen neurotoxische Prozesse begünstigen kann.“ Ebenso könnten DNAzyme eine neue Klasse von Antibiotika bilden.

Prof. Dr. Dieter Willbold, Direktor des Instituts für Physikalische Biologie der HHU und des Instituts für Strukturbiochemie des Forschungszentrums Jülich, fügt hinzu: „Die Arbeit ist ein weiteres Beispiel, wie strukturbiologische Grundlagenforschung essentielle Beiträge zu bahnbrechenden Fortschritten in der Biomedizin liefert. Dazu hat auch das neue Flaggschiff des biomolekularen NMR-Zentrums, ein 1,2-Gigahertz-NMR-Gerät, beigetragen.“ Das Gerät am Biomolekularen NMR-Zentrum, welches gemeinsam von der HHU und dem FZJ betrieben wird, gehört zu den leistungsstärksten Systemen weltweit und ermöglicht einzigartige Einblicke in die Struktur und Funktionsweise der Bausteine des Lebens.

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