14.07.2021 - Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Anti-Tumormittel aus dem Darm

Bestimmte Stoffwechselprodukte von Bakterien aus dem Darm machen Immunzellen aggressiver: Erkenntnisse könnten helfen, Krebstherapien zu verbessern

Es soll an der Entstehung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen beteiligt sein, Diabetes auslösen, für Übergewicht sorgen, sogar neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose und Parkinson könnten hier ihre Ursachen haben – ganz zu schweigen von Depressionen und autistischen Störungen. Die Rede ist vom Mikrobiom – der gewaltigen Ansammlung von Bakterien im menschlichen Darm. Jeder Mensch trägt geschätzt rund 100 Billionen Bakterienzellen in seinem Verdauungstrakt, die mehreren tausend Arten angehören.

Im Mittelpunkt der Forschung steht das Mikrobiom seit gut 20 Jahren – seit eine neue Technik eine schnelle und präzise Analyse dieser Bakterien möglich gemacht hat: die Hochdurchsatzsequenzierung. Seitdem häufen sich die Befunde, dass das Mikrobiom, das bisweilen auch als zweites menschliches Genom bezeichnet wird, nicht nur für die Verdauung von zentraler Bedeutung ist, sondern auch eine Vielzahl von Körperfunktionen, wenn nicht steuert, so doch zumindest beeinflusst. Besonders häufig genannt wird dabei das Immunsystem.

Das Mikrobiom beeinflusst das Immunsystem

Jetzt ist Wissenschaftlern der Universitäten Würzburg und Marburg erstmals der experimentelle Nachweis gelungen, dass bakterielle Stoffwechselprodukte in der Lage sind, die zytotoxische Aktivität bestimmter Immunzellen zu steigern und damit die Effizienz von Tumortherapien positiv zu beeinflussen. Über die Zusammensetzung der Bakterienarten im Mikrobiom könnte somit im Idealfall dessen Einfluss auf den Therapieerfolg gesteuert werden.

Die Ergebnisse seiner Studie hat das Forschungsteam in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht. Verantwortlich dafür war Dr. Maik Luu, Postdoc im Labor von Professor Michael Hudecek in der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Würzburger Universitätsklinikums. Weiterer Beteiligter war Professor Alexander Visekruna vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Philipps-Universität Marburg, wo Luu vor seinem Wechsel nach Würzburg geforscht hat.

Fettsäuren steigern die Aktivität der Killerzellen

„Wir konnten zeigen, dass die kurzkettigen Fettsäuren Butyrat und insbesondere Pentanoat in der Lage sind, die zytotoxische Aktivität von CD8-T-Zellen zu steigern“, beschreibt Maik Luu das zentrale Ergebnis der jetzt veröffentlichten Studie. CD8-T-Zellen werden bisweilen auch Killerzellen genannt. Als Teil des Immunsystems ist es ihre Aufgabe, für den Organismus schädlich Zellen gezielt zu töten.

Kurzkettige Fettsäuren wiederum gehören zur dominantesten Klasse von Stoffwechselprodukten des Darmmikrobioms. Sie können auf der einen Seite den Stoffwechsel von T-Zellen ankurbeln, indem sie zentrale Regulatoren des Energiestoffwechsels induzieren. Auf der anderen Seite können sie spezielle Enzyme hemmen, welche in den T-Zellen die Zugänglichkeit zum Erbgut und somit die Gen-Expression regulieren. Dabei rufen sie epigenetische Veränderungen hervor.

Solide Tumormodelle werden effektiver bekämpft

„Wenn kurzkettige Fettsäuren CD8-T-Zellen umprogrammieren, führt dies unter anderem zu einer gesteigerten Produktion entzündungsfördernder und zytotoxischer Moleküle“, erklärt Luu. Im Experiment steigerte eine Behandlung mit der Fettsäure Pentanoat die Fähigkeit von Tumor-spezifischen T-Zellen, solide Tumormodelle zu bekämpfen. „Denselben Effekt konnten wir bei der Bekämpfung von Tumorzellen mit sogenannten CAR-T-Zellen beobachten“, sagt der Wissenschaftler.

CAR-T-Zellen sind ausgeschrieben „Chimäre Antigen-Rezeptor-T-Zellen“. Während normale T-Zellen gegenüber Tumorzellen weitgehend „blind“ sind, sind CAR-T-Zellen dank einer gentechnologischen Veränderung in der Lage, spezifische Ziel-Antigene auf der Tumoroberfläche zu erkennen und die Krebszellen zu vernichten. Michael Hudecek ist einer der führenden Experten auf dem Gebiet der CAR-T-Zell-Forschung.

Gezielte Steuerung über die Zusammensetzung des Mikrobioms

„Die Ergebnisse sind somit ein Beispiel dafür, wie Stoffwechselprodukte der Darmbakterien den Stoffwechsel und die Gen-Regulation unserer Zellen verändern und damit die Effizienz von Tumortherapien positiv beeinflussen können“, sagt Maik Luu. Davon profitieren könnte insbesondere der Einsatz von CAR-T-Zellen gegen solide Tumore.

In diesen Fällen ist eine Therapie mit den genetisch veränderten Zellen bislang nämlich deutlich weniger effektiv als die Behandlung hämatologischer Tumorerkrankungen wie etwa einer Leukämie. Ändern könnte sich dies, wenn die CAR-T-Zellen vor ihrem Einsatz beim Patienten mit Pentanoat oder anderen kurzkettigen Fettsäuren behandelt wurden, so die Hoffnung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Über die Zusammensetzung der bakteriellen Darmbesiedlung ließe sich dieser Effekt möglicherweise gezielt nutzen – zumal Luu und die weiteren an der Studie Beteiligten auch den wesentlichen Pentanoat-Produzenten der Darmflora identifizieren konnten: das Bakterium Megasphaera massiliensis.

Weiter Weg bis zum Einsatz in der Klinik

Bis die neuen Erkenntnisse zu neuen Therapien für Krebspatienten führen, ist es allerdings noch ein weiter Weg. In einem nächsten Schritt will das Forschungsteam zunächst das Spektrum der untersuchten Tumorerkrankungen erweitern und neben weiteren soliden Tumoren auch hämatologische Tumorerkrankungen wie das Multiple Myelom betrachten. Darüber hinaus will es die Arbeitsweise kurzkettiger Fettsäuren intensiver untersuchen, um so Ansatzpunkte für gezielte genetische Veränderungen zu identifizieren.

Fakten, Hintergründe, Dossiers

  • Darmmikrobiom
  • Bakterien
  • Darm
  • T-Zellen
  • Krebs
  • Darmbakterien
  • CAR-T-Zellen

Mehr über Uni Würzburg

  • News

    Proteinkugeln schützen das Genom von Krebszellen

    Bei der Entstehung und Entwicklung fast aller Krebserkrankungen spielen MYC-Gene und ihre Proteine eine zentrale Rolle. Sie treiben das unkontrollierte Wachstum und den veränderten Stoffwechsel von Tumorzellen an. Und sie helfen den Tumoren dabei, sich vor dem Immunsystem zu verstecken. MYC ... mehr

    Genaktivität im Reagenzglas

    Bei der Suche nach den Ursachen von Krankheiten und der Entwicklung neuer Therapien ist ein exaktes Verständnis der genetischen Grundlagen von zentraler Bedeutung. Würzburger Forscher haben dafür ein neues Verfahren entwickelt. Krankhafte Prozesse zeichnen sich in der Regel durch eine verän ... mehr

    Künstliches Enzym spaltet Wasser

    Ein Team aus der Chemie präsentiert einen enzymähnlichen molekularen Katalysator für die Wasseroxidation. Die Menschheit steht vor einer zentralen Herausforderung: Sie muss den Übergang zu einer nachhaltigen und kohlendioxidneutralen Energiewirtschaft bewältigen. Wasserstoff gilt als vielve ... mehr

  • q&more Artikel

    Multinationale Medikamente

    Während in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts 80 % aller Wirkstoffe und Hilfsstoffe in Europa bzw. in den USA produziert wurden, werden heute nahezu alle Ausgangsstoffe zur Herstellung von Arzneimittel in China und Indien hergestellt. Dies gilt nicht nur für die einzelnen Stoffe, sond ... mehr

    Hightech im Bienenvolk

    Vitale Bienenvölker sind von höchster Relevanz für die Aufrechterhaltung der natürlichen Diversität von Blütenpflanzen und die globale pflanzliche Nahrungsmittelproduktion, die zu 35 % von Insektenbestäubern abhängt, unter denen die Honigbiene (Apis mellifera) die überragende Rolle spielt. ... mehr

  • Autoren

    Prof. Dr. Jürgen Tautz

    Jg. 1949, studierte Biologie, Geographie und Physik an der Universität Konstanz und promovierte dort über ein sinnesökologisches Thema. Nach Arbeiten zur Bioakustik von Insekten, Fischen und Fröschen gründete er 1994 die BEEgroup an der Universität Würzburg, die sich mit Grundlagenforschung ... mehr

    Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe

    Ulrike Holzgrabe (Jg. 1956) studierte Chemie und Pharmazie in Marburg und Kiel. Nach Approbation und Promotion folgte die Habilitation für Pharmazeutische Chemie 1989 ­in Kiel. Sie hatte eine Professur in Bonn (1990-1999), lehnte C4-Rufe nach Tübingen und Münster ab und folgte dem Ruf nach ... mehr

Mehr über Universität Marburg

  • News

    Nur wenige Atome dick: Neue funktionelle Materialien entwickelt

    Sie sind 50.000-mal dünner als ein menschliches Haar und nur wenige Atome dick: Zweidimensionale Materialien sind die dünnsten heute herstellbaren Stoffe. Sie besitzen völlig neue Eigenschaften und gelten als der nächste große Schritt in der modernen Halbleitertechnologie. Künftig könnten s ... mehr

    Neuer SARS-CoV-2 neutralisierender Antikörper wird klinisch geprüft

    Die Uniklinik Köln, die Philipps-Universität Marburg, das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung und Boehringer Ingelheim haben den Start einer klinischen Phase-1/2a-Studie zu BI 767551 bekanntgegeben, einem neuen SARS-CoV-2 neutralisierenden Antikörper. Durch die Kombination großer virol ... mehr

    Neue Molekülbibliothek hilft bei der systematischen Suche nach Wirkstoffen

    Um die Entwicklung von Medikamenten zu beschleunigen, hat das MX-Team am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) mit der Drug Design Gruppe der Universität Marburg eine neue Substanzbibliothek aufgebaut. Sie besteht aus 1103 organischen Molekülen, die als Bausteine von neuen Wirkstoffen infrage komm ... mehr

  • q&more Artikel

    Von der RNA- zur Protein-Welt

    Die Evolution des tRNA-Prozessierungsenzyms (RNase P) hat in den verschiedenen ­Bereichen des Lebens zu sehr unterschiedlichen architektonischen Lösungen geführt. So ist die bakterielle RNase P grundsätzlich anders aufgebaut als die menschlichen RNase P-Enzyme in Zellkern und Mitochondrien. ... mehr

  • Autoren

    Dennis Walczyk

    Dennis Walczyk, geb. 1984, studierte Chemie an der Philipps-Universität Marburg. Seit 2012 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Hartmann am Institut für Pharmazeutische Chemie der Universität Marburg und beschäftigt sich dort u.a. mit der En ... mehr

    Prof. Dr. Roland K. Hartmann

    Roland K. Hartmann, geb. 1956, ist Professor der Pharmazeutischen Chemie an der Philipps-Universität Marburg. Er studierte Biochemie an der Freien Universität Berlin, wo er 1988 mit dem Ernst Reuter-Preis für seine hervorragende Dissertation ausgezeichnet wurde. Seine Forschungsinteressen u ... mehr

q&more – die Networking-Plattform für exzellente Qualität in Labor und Prozess

q&more verfolgt den Anspruch, aktuelle Forschung und innovative Lösungen sichtbar zu machen und den Wissensaustausch zu unterstützen. Im Fokus des breiten Themenspektrums stehen höchste Qualitätsansprüche in einem hochinnovativen Branchenumfeld. Als moderne Wissensplattform bietet q&more den Akteuren im Markt einzigartige Networking-Möglichkeiten. International renommierte Autoren repräsentieren den aktuellen Wissenstand. Die Originalbeiträge werden attraktiv in einem anspruchsvollen Umfeld präsentiert und deutsch und englisch publiziert. Die Inhalte zeigen neue Konzepte und unkonventionelle Lösungsansätze auf.

> mehr zu q&more

q&more wird unterstützt von: