17.08.2020 - Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Stoffwechseländerungen in Pflanzen live erleben

Forscher nutzen neues Verfahren der "in-vivo-Biosensorik"

Vom Stoffwechsel in Pflanzen hängt nicht nur fast alles Leben auf der Erde, sondern hängen auch unsere Ernährung und unsere Gesundheit ab. Um zu verstehen, wie diese Stoffwechselprozesse in Pflanzen funktionieren, untersuchen Wissenschaftler des Instituts für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) unter Beteiligung der Universität Bonn Schlüsselmechanismen der Regulation des Energiestoffwechsels. Das neue Verfahren der "in-vivo-Biosensorik", also an der lebenden Pflanze, erlaubt es ihnen nun erstmals, in Echtzeit zu verfolgen, wie sich Umweltveränderungen, zum Beispiel Licht, Temperatur, Trockenheit, Überflutung oder Schädlingsbefall, auf den zentralen Stoffwechsel in der Modellpflanze Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand, auswirken.

Hintergrund und Methodik

Das Forscherteam hat einen genetisch-codierten Sensor in die Pflanzen eingebaut, um zentrale Stoffwechselprozesse im wahrsten Sinne des Wortes ‚sichtbar‘ zu machen. „Da Pflanzen äußerlich sehr statisch wirken, müssen sie innerhalb ihrer Zellen Meister der Flexibilität und Anpassung sein - und zwar blitzschnell. Diese Dynamik können wir nun live in der lebenden Pflanze beobachten“, sagt Dr. Janina Steinbeck, Erstautorin der Studie. Für die bildliche Darstellung und Messung des Stoffwechselprozesses in der Pflanze nutzten die Forscher die in-vivo-Biosensorik. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, mit dem die Forscher in Echtzeit lebende Organismen, Gewebe oder Zellen untersuchen.

Der Biosensor besteht zum einen aus einem biologischen Erkennungselement, einem Protein, das ein Molekül spezifisch bindet - zum anderen um ein Auslese-Element, einem Protein, das die Bindung am Erkennungselement in ein Lichtsignal übersetzt. Ursprünglich wurde der nun verwendete Biosensor für den Einsatz in Nervenzellen entwickelt. Die Wissenschaftler haben diesen Sensor für den Einsatz in der Pflanze weiterentwickelt.

Der Sensor kann die Moleküle NAD⁺ und NADH direkt binden und wieder abgeben. Das sogenannte NAD-Redox-System ist für die Elektronenübertragung im Stoffwechsel fast aller Lebewesen von zentraler Bedeutung. Der Sensor besteht aus einem blaugrünen und einem rot fluoreszierenden Protein, die je nach NAD-Status in der Zelle ihre Helligkeit ändern. Das Auslesen der Sensoren in lebenden Zellen erfolgt über ein konfokales Laser-Scanning-Mikroskop. „Für uns ist dieses neue Verfahren eine methodische Errungenschaft, denn wir erhalten erstmals ein direktes Verständnis von Stoffwechselprozessen exakt dort wo sie in der Zelle passieren. Beispielsweise kam die Beobachtung, dass sich ein so zentraler Prozess wie der NAD-Stoffwechsel bei der Immunreaktion tiefgreifend verändert, für uns völlig unerwartet“, erläutert Prof. Dr. Markus Schwarzländer, Leiter der Arbeitsgruppe "Plant Energy Biology" der WWU.

Bislang war es lediglich möglich, diese Art von Stoffwechselprozessen zu untersuchen, indem die Wissenschaftler Extrakte von den Pflanzen gewonnen haben, um sie mit biochemischen Methoden zu analysieren. Hierbei werden jedoch Zellen und Gewebe zerstört. Zudem ist es nicht mehr nachvollziehbar, wo genau sich die Stoffwechselveränderungen vollzogen haben. Jetzt können die Forscher dynamische Änderungen des Redoxstoffwechsels, der unter anderem der Energie-Bereitstellung in den Zellen dient, in den einzelnen Zellen bis hin zu ganzen Organen von intakt lebenden Pflanzen verfolgen. Dieses Vorgehen ermöglichte es, eine erste NAD-Redox-Landkarte der ganzen Pflanze zu erstellen sowie Redox-Dynamiken bei Licht-Dunkel-Übergängen, Veränderungen des Zuckerstatus', der Zellatmung und der Sauerstoffzufuhr zu beobachten.

Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung in The Plant Cell erschien eine Studie von Forschern aus Hongkong in der Zeitschrift Nature Communications. Dort wurde ein anderer Sensor für NAD in Pflanzen eingebaut und zur Untersuchung der Photosynthese verwendet. Die Ergebnisse der beiden Studien stützen sich gegenseitig. „Die Informationen, die wir durch das neue Verfahren gewonnen haben, können zukünftig eine Schlüsselrolle bei der Züchtung von Pflanzen, die unsere Nahrungsmittelerzeugung nachhaltiger machen und dazu beitragen die Effekte des Klimawandels abzumildern, spielen. Aber auch die direkte Früherkennung von Stress bei Nutzpflanzen in der Landwirtschaft ist möglich“, unterstreicht Markus Schwarzländer.

Fakten, Hintergründe, Dossiers

  • Pflanzen
  • Stoffwechsel
  • Stoffwechselprozesse
  • Biosensorik
  • Echtzeit-Beobachtungen
  • Arabidopsis thaliana
  • Biosensoren

Mehr über WWU Münster

  • News

    Neuer Weg zur Herstellung wichtiger Molekülgruppe

    Zu den häufigsten Strukturen, die für die Funktion von biologisch aktiven Molekülen, Naturprodukten und Arzneimitteln relevant sind, gehören sogenannte vizinale Diamine – insbesondere unsymmetrisch aufgebaute Diamine. Vizinale Diamine enthalten zwei für die Stoffeigenschaften verantwortlich ... mehr

    Forscher zeigen: Chirale Oxid-Katalysatoren richten Elektronenspin aus

    Die Kontrolle des Eigendrehimpulses (Spins) von Elektronen eröffnet künftige Anwendungsszenarien in der spinbasierten Elektronik (Spintronik), beispielsweise zur Informationsverarbeitung. Außerdem bietet sie neue Möglichkeiten, die Selektivität und Effizienz von chemischen Reaktionen zu kon ... mehr

    Auf dem Weg zu zellartigen Materialien

    Molekulare Maschinen steuern eine Vielzahl grundlegender Prozesse in der Natur. Eingebettet in eine zelluläre Umgebung, spielen sie eine zentrale Rolle beim intra- und interzellulären Transport von Molekülen sowie bei der Muskelkontraktion von Menschen und Tieren. Für die Funktion des gesam ... mehr

  • q&more Artikel

    Löwenzahn als neue Rohstoffquelle für Naturkautschuk

    Mehr als 12.500 Pflanzen produzieren Latex, einen farblosen bis weißen Milchsaft, der unter anderem Naturkautschuk enthält. mehr

  • Autoren

    Prof. Dr. Dirk Prüfer

    Dirk Prüfer, Jahrgang 1963, studierte Biologie an der Universität zu Köln und promovierte am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtung. Seine Habilitation legte er im Jahr 2004 an der Justus-Liebig-Universität Gießen ab. Seit 2004 ist er Professor für molekulare Pflanzenbiotechnologie am Ins ... mehr

    Prof. Dr. Joachim Jose

    Joachim Jose, geb. 1961, studierte Biologie an der Universität Saarbrücken, wo er promovierte. Die Habilitation erfolgte am Institut für Pharma­zeutische und Medizinische Chemie der Universität des Saarlandes. Von 2004 bis 2011 war Professor für Bioanalytik (C3) an der Heinrich-Heine-Univer ... mehr

q&more – die Networking-Plattform für exzellente Qualität in Labor und Prozess

q&more verfolgt den Anspruch, aktuelle Forschung und innovative Lösungen sichtbar zu machen und den Wissensaustausch zu unterstützen. Im Fokus des breiten Themenspektrums stehen höchste Qualitätsansprüche in einem hochinnovativen Branchenumfeld. Als moderne Wissensplattform bietet q&more den Akteuren im Markt einzigartige Networking-Möglichkeiten. International renommierte Autoren repräsentieren den aktuellen Wissenstand. Die Originalbeiträge werden attraktiv in einem anspruchsvollen Umfeld präsentiert und deutsch und englisch publiziert. Die Inhalte zeigen neue Konzepte und unkonventionelle Lösungsansätze auf.

> mehr zu q&more

q&more wird unterstützt von: