16.06.2020 - Friedrich-Schiller-Universität Jena

Wasserbakterien haben einen grünen Daumen

Neu entdeckte Bakterienart produziert bioaktive Naturstoffe

Die schier endlosen Weiten der Ozeane sind lebensfeindliche Wüsten — jedenfalls aus der Perspektive eines im Wasser lebenden Bakteriums. Winzig klein wie es ist, wären seine Chancen äußert gering, in den Wassermassen ausreichend Nahrung zu finden. Doch wie in anderen Wüsten auch, gibt es auch im Meer lebensrettende Oasen: Beispielsweise auf den Oberflächen von Wasserpflanzen und Algen finden Mikroorganismen alles, was sie zum Leben brauchen. Hier können verschiedenste Arten in der Gemeinschaft eines sogenannten Biofilms wachsen, sich austauschen und einander Schutz bieten.

Jenaer Mikrobiologen um Prof. Dr. Christian Jogler haben jetzt in einer neu entdeckten Bakterienart Naturstoffe aufgespürt, mit deren Hilfe die im Wasser lebenden Mikroorganismen die Zusammensetzung solcher Biofilme steuern und wie einen Garten nach eigenen Bedürfnissen bestellen.

Planctomyceten produzieren bioaktive Naturstoffe

Das Bakterium Stieleria maiorica ist eine von fast 80 neu entdeckten Bakterienarten, die das Team von der Universität Jena in einer groß angelegten Sammlungskampagne aus Süß- und Salzwasserproben aus ganz Europa und den USA kultiviert hat. Stieleria maiorica gehört zu den Planctomyceten und wurde vor der Küste Mallorcas aus dem Mittelmeer gefischt. Für die Forscher sind solche Planctomyceten vor allem deshalb interessant, weil sie in ihnen bioaktive Naturstoffe vermuten. Und das zurecht, wie die Jenaer Wissenschaftler in ihrer nun vorgelegten Arbeit zeigen.

So produziert Stieleria maiorica eine bisher unbekannte Gruppe chemischer Verbindungen, die nach dem Bakterium „Stieleriacine“ benannt wurden. „Dabei handelt es sich um relativ kleine Moleküle, die strukturell einer Gruppe von bekannten Signalmolekülen ähneln, mit denen Mikroorganismen untereinander kommunizieren“, sagt Christian Jogler. „Da lag die Vermutung nahe, dass auch die neu entdeckten Stielriacine im weitesten Sinne als Signalmoleküle wirken“, so der Professor für Mikrobielle Interaktion.

Bakterien setzen nach chemischem Signal Antibiotika frei

Deshalb haben die Forscher untersucht, wie andere Bakterienarten auf die von den Planctomyceten produzierten Stieleriacine reagieren. Und tatsächlich zeigte sich, dass etwa Roseobacter-Arten auf das Stieleriacin-Signal reagieren. Diese Mikroorganismen kommen wie die Planctomyceten auf Wasserpflanzen und Algen vor und konkurrieren dort um Lebensraum und Nahrung mit ihnen. Durch die Stieleriacine werden einige Roseobacter-Arten in ihrem Wachstum gefördert, andere dagegen gehemmt. Und mehr noch: diejenigen Arten, die durch das chemische Signal besser wachsen, produzieren nebenbei ein Antibiotikum, das sie in ihre Umgebung abgeben. Roseobacter, die durch die Stieleriacine im Wachstum gehemmt werden, produzieren dagegen kein Antibiotikum.

„Für die Planctomyceten ist das ein entscheidender Vorteil“, ordnet Prof. Jogler ein. „Sie selbst sind gegen das Antibiotikum resistent. Andere Bakterienarten aber, die mit den Planctomyceten im Biofilm konkurrieren, werden durch das Antibiotikum gehemmt.“ Für die eher langsam wachsenden Planctomyceten bietet sich so die Chance, sich auch gegen Bakterienarten zu behaupten, gegen die sie es sonst schwer hätten. „Man könnte sagen, Planctomyceten nutzen die Roseobacter fürs Grobe, um den Biofilm in seiner Zusammensetzung ihren eigenen Bedürfnissen anzupassen und wie geschickte Gärtner das Wachstum der anderen Arten zu regulieren.“

Signalstoffe modulieren Zusammensetzung von Biofilmen

Für Prof. Jogler und seine Kollegen im Exzellenzcluster „Balance of the Microverse“ der Universität Jena sind die Planctomyceten aber nicht nur als geschickte Unterwasser-Landschaftsgärtner interessant. „Die chemischen Signalstoffe, die die Mikroorganismen zur Kommunikation und zum Einfluss auf ihre Umgebung nutzen, könnten auch für die Infektionsforschung von Nutzen sein“, sagt Jogler. Denn: Wenn sich mit Hilfe kleiner Moleküle die Zusammensetzung von Biofilmen modulieren lasse, könnte das beispielsweise genutzt werden, um zu verhindern, dass sich auf Oberflächen von Kathetern oder Implantaten pathogene Mikroorganismen ansiedeln.

Mit der vorliegenden Studie sehen sich die Autoren in ihrer Hypothese bestätigt, dass sich bei der Suche nach neuen Wirkstoffen und insbesondere den so wichtigen neuen Antibiotika ein Blick unter die Wasseroberfläche lohnt. Sie sind überzeugt, dass sich in den Biofilmen auf Wasserpflanzen und Algen noch so mancher Naturstoff mit bioaktiven Eigenschaften finden lässt.

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