16.07.2019 - Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

Wie mehrzellige Cyanobakterien Moleküle transportieren

Forscher der ETH Zürich und der Universität Tübingen klären hochaufgelöst die Struktur und Funktion von Zell-Zell-Verbindungen bei fädigen mehrzelligen Cyanobakterien auf. Damit können sie nun erklären, wie diese Mikroorganismen den Transport von verschiedenen Stoffen zwischen einzelnen Zellen regulieren.

Cyanobakterien, auch als Blaualgen bekannt, sind eine spezielle Klasse von Bakterien, die Photosynthese betreiben können. Entwicklungsgeschichtlich sind sie uralt. Vorläufer traten bereits vor 2,5 Milliarden Jahre auf der Erde auf und ebneten dank ihrer Fähigkeit der Sauerstoff erzeugenden Photosynthese höherem Leben den Weg.

Einige Cyanobakterien-Arten sind fädige, mehrzellige Organismen, in denen eine gewisse Arbeitsteilung herrscht. So betreiben die einen Zellen Photosynthese, andere nehmen Luftstickstoff auf. Durch Photosynthese gewinnen die Cyanobakterien Energie in Form von Glukose, den Stickstoff verwenden sie, um Aminosäuren, die Bausteine von Proteinen, zu produzieren.

Den Cyanobakterien stellt sich das Problem, wie die einzelnen Zellen miteinander kommunizieren und Stoffe austauschen können. Photosynthese betreibende Zellen müssen nämlich ihre stickstofffixierenden Schwesterzellen mit Glukose versorgen, in umgekehrter Richtung müssen Aminosäuren transportiert werden. Dazu haben Cyanobakterien spezielle Zellverbindungen entwickelt. Diese erlauben den Austausch von Nähr- und Botenstoffen über die Zellgrenzen hinweg, ohne dass die Zellen miteinander verwachsen sind.

Struktur in zellulärem Kontext aufgeklärt

Über den detaillierten Aufbau und das genaue Funktionieren der Zellverbindungen bei mehrzelligen fädigen Cyanobakterien war bislang nur wenig bekannt. Eine Gruppe von Forschern der ETH Zürich und der Universität Tübingen stellt nun in der neuen Ausgabe der Fachzeitschrift «Cell» strukturelle Feinheiten und Funktionsweise der Zell-Zell-Verbindungen, sogenannten Septalverbindungen, bei der Gattung Anabaena in bisher unerreichter Auflösung vor.

So zeigen die Forscher, dass die Verbindungskanäle aus einer Proteinröhre bestehen, die an beiden Enden mit einem Stopfen verschlossen werden kann. Zudem ist diese Röhre überdacht mit fünfarmigen Protein-Elementen, die ähnlich einer Kamerablende angeordnet sind.

Die Kanäle verbinden die Cytoplasmen der beiden benachbarten Zellen und reichen dabei durch die jeweiligen Membranen und Zellwände hindurch. Die Zellen sind durch einen hauchdünnen Spalt von wenigen Nanometern Breite voneinander getrennt.

«Mit herkömmlicher Elektronenmikroskopie konnte man diese Details bisher nicht klären. Dank einer Erweiterung der Kryo-Elektronenmikroskopie ist es uns gelungen, Einblicke in bislang unerreichter Genauigkeit zu erhalten», sagt Martin Pilhofer, Professor am Institut für Molekularbiologie und Biophysik der ETH Zürich.

Pilhofers Doktorand Gregor Weiss entwickelte ein Verfahren, um die Cyanobakterien so zu präparieren, dass die Kanäle mittels Kryo-Elektronenmikroskopie sichtbar gemacht werden konnten. Dazu «fräste» Weiss in gefrorenen Cyanobakterien die Verbindungsstelle zwischen zwei Zellen schichtweise ab, bis seine Probe dünn genug war. Die kugeligen Zellen wären ohne Vorbehandlung für eine Anwendung in der Kryo-Elektronenmikroskopie zu dick.

«Aufgrund der komplexen Struktur der Verbindungskanäle vermuteten wir einen Mechanismus, der die Kanäle öffnet und schliesst», sagt Karl Forchhammer, Professor für Mikrobiologie an der Universität Tübingen. Tatsächlich konnte er zusammen mit seinem Team nachweisen, wie die Zellen des Verbands unter verschiedenen Stressbedingungen miteinander kommunizieren. Dazu färbten sie Cyanobakterien-Ketten mit einem fluoreszierenden Farbstoff ein und bleichten dann einzelne Zellen gezielt mit einem Laser. Danach massen die Forscherinnen den Einstrom des Farbstoffs aus Nachbarzellen.

Mithilfe dieser Methode konnten die Forscher zeigen, dass die Kanäle bei Behandlung mit Chemikalien oder im Dunkeln tatsächlich dichtmachen. Dabei verschliesst sich die filigrane Kappenstruktur eines Kanals wie eine Irisblende und unterbricht den Stoffaustausch zwischen den Zellen, was die Wissenschaftler an unterschiedlich starker Fluoreszenz erkannten.

Schliessmechanismus schützt Zellverband

«Ein solcher Schliessmechanismus schützt den gesamten Zellverband», sagt Forchhammer. So könne eine Zelle verhindern, dass sie beispielsweise Schadstoffe an ihre Nachbarzellen weitergebe, was den gesamten Organismus zum Absterben bringen könnte. Auch können die Cyanobakterien mithilfe der Kanäle verhindern, dass bei mechanischer Beschädigung einzelner Zellen der Inhalt des gesamten Verbundes ausläuft.

Mit ihrer Studie können die Forscher aufzeigen, dass Zellverbindungen in mehrzelligen nicht näher verwandten Organismen im Lauf der Evolution mehrmals «erfunden» wurden und sich parallel entwickelten. «Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, dass ein mehrzelliger Organismus den Warentransport zwischen einzelnen Zellen kontrollieren kann», sagt Pilhofer. Mit der Klärung der Kanalstruktur und –funktion bei Cyanobakterien fügen die ETH-Forscher dem Gesamtbild ein weiteres Puzzleteil hinzu. «Für uns ist diese Arbeit biologische Grundlagenforschung ohne Fokus auf eine mögliche Anwendung. Vielmehr erlauben uns die neuen Daten Einblicke in die Evolution komplexer Lebewesen», erklärt der ETH-Professor.

Fakten, Hintergründe, Dossiers

  • Cyanobakterien
  • Zellen
  • Kryo-Elektronenmikroskopie

Mehr über ETH Zürich

  • News

    Die Gehirnentwicklung kartieren

    ETH-​Forschende züchten aus Stammzellen menschliches gehirnähnliches Gewebe und kartieren die Zelltypen, die in verschiedenen Hirnregionen vorkommen, sowie die Gene, die deren Entwicklung regulieren. Das hilft bei der Erforschung von Entwicklungsstörungen oder Nervenerkrankungen. Das mensch ... mehr

    Genaktivitäten in lebenden Zellen messen

    Forschende der ETH Zürich und der EPFL erweitern das aufstrebende Feld der Einzel-​Zell-Analysen um eine wegweisende Methode: Live-​seq erlaubt es, die Aktivität von Tausenden von Genen einer einzelnen Zelle zu messen, ohne sie isolieren und zerstören zu müssen. Die moderne Biologie will zu ... mehr

    Hydrogel hält Impfstoffe am Leben

    Viele Impfstoffe müssen während des Transports ständig gekühlt werden, damit sie wirksam bleiben. Ein internationales Forschungsteam unter Federführung der ETH Zürich hat nun ein spezielles Hydrogel entwickelt, das die Haltbarkeit von Impfstoffen auch ohne Kühlung massiv verbessert. Die Erf ... mehr

  • q&more Artikel

    Analytik in Picoliter-Volumina

    Zeit, Kosten und personellen Aufwand senken – viele grundlegende sowie angewandte analytische und diagnostische Herausforderungen können mit Lab-on-a-Chip-Systemen realisiert werden. Sie erlauben die Verringerung von Probenmengen, die Automatisierung und Parallelisierung von Arbeitsschritte ... mehr

    Investition für die Zukunft

    Dies ist das ganz besondere Anliegen und gleichzeitig der Anspruch von Frau Dr. Irmgard Werner, die als Dozentin an der ETH Zürich jährlich rund 65 Pharmaziestudenten im 5. Semester im Praktikum „pharmazeutische Analytik“ betreut. Mit Freude und Begeisterung für ihr Fach stellt sie sich imm ... mehr

  • Autoren

    Prof. Dr. Petra S. Dittrich

    Jg. 1974, ist Außerordentliche Professorin am Department Biosysteme der ETH Zürich. Sie studierte Chemie an der Universität Bielefeld und Universidad de Salamanca (Spanien). Nach der Promotion am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen war sie Postdoktorandin am ISAS In ... mehr

    Dr. Felix Kurth

    Jg. 1982, studierte Bioingenieurwesen an der Technischen Universität Dortmund und an der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm. Für seine Promotion, die er 2015 von der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich erlangte, entwickelte er Lab-on-a-Chip Systeme und Methoden zur Qua ... mehr

    Lucas Armbrecht

    Jg. 1989, studierte Mikrosystemtechnik an der Albert-Ludwigs Universität in Freiburg im Breisgau. Während seines Masterstudiums konzentrierte er sich auf die Bereiche Sensorik und Lab-on-a-Chip. Seit dem Juni 2015 forscht er in der Arbeitsgruppe für Bioanalytik im Bereich Einzelzellanalytik ... mehr

Mehr über Universität Tübingen

  • News

    Neuer Ansatz gegen Nebenwirkungen von Antibiotika

    Antibiotika helfen bei der Behandlung bakterieller Infektionen und retten jedes Jahr Millionen von Leben. Sie können aber auch die hilfreichen Mikroben in unserem Darm schädigen, eine der ersten Verteidigungslinien unseres Körpers gegen Krankheitserreger schwächen und die positiven Auswirku ... mehr

    Pilz als Untermieter produziert Wirkstoff einer Heilpflanze

    Die Tataren-Aster wird in der traditionellen chinesischen Medizin wegen des enthaltenen Astins als Heilpflanze genutzt; dem Stoff werden auch in der Krebsforschung vielversprechende Eigenschaften zugeschrieben. Doch die Astine produziert die Pflanze nicht selbst, wie lange angenommen wurde, ... mehr

    Krebsstammzellen für das Immunsystem sichtbar machen

    Leukämie-Stammzellen schützen sich vor der Immunabwehr, indem sie ein Zielmolekül der Killerzellen von ihrer Oberfläche verschwinden lassen. Doch dieser Schutzmechanismus lässt sich mit Medikamenten überwinden. Welche neuen Therapieansätze sich daraus möglicherweise ableiten lassen, beschre ... mehr

  • q&more Artikel

    Arzneimittel unter Hochdruck

    Typischerweise werden in der Pharmaindustrie neue Arzneistoffe in einem aufwändigen Formulierungs­verfahren mit den für sie geeigneten Hilfsstoffen zur Arzneiform entwickelt. Solche Entwicklungsprozesse werden in den galenischen Abteilungen durchgeführt und führen in vielen Fällen zu für de ... mehr

    Starke Haftkraft

    Geowissenschaftler, Biologen und Chemiker der Universität Tübingen arbeiten in Zusammenarbeit mit dem IFAM (Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung in Bremen) an der Aufklärung der Haftung von Insekten an Oberflächen. Ziel dieses Projektes ist es, einen Kl ... mehr

  • Autoren

    Prof. Dr. Michael Lämmerhofer

    Michael Lämmerhofer, Jg. 1966, studierte Pharmazie an der Universität Graz, wo er 1996 in Pharma­zeutischer Chemie promovierte. Anschließend wechselte er an die Universität Wien. Dort war er, unterbrochen von einem einjährigen Postdoc-Aufenthalt 1999 bis 2000 an der Universität Berkeley, zu ... mehr

    Heike Gerhardt

    Heike Gerhardt, Jg. 1983, studierte Chemie an den Universitäten Tübingen und Wien, wobei sie sich bereits während ihres Master-Studiums in Wien auf den Schwerpunkt Analytik spezialisierte. Seit April 2012 arbeitet sie an der Universität Tübingen bei Prof. Dr. Lämmerhofer an ihrer nahezu abg ... mehr

    Prof. Dr. Martin A. Wahl

    Martin Wahl, geb. 1956, studierte Pharmazie an der Universität Tübingen und promovierte 1984. Nach einem einjährigen Forschungsaufenthalt am Karolinska-Institut in Stockholm erfolgte 1995 die Habilitation im Fach Pharmakologie und Toxiko­logie. 1998 wechselte er an den Lehr- und Forschungsb ... mehr

q&more – die Networking-Plattform für exzellente Qualität in Labor und Prozess

q&more verfolgt den Anspruch, aktuelle Forschung und innovative Lösungen sichtbar zu machen und den Wissensaustausch zu unterstützen. Im Fokus des breiten Themenspektrums stehen höchste Qualitätsansprüche in einem hochinnovativen Branchenumfeld. Als moderne Wissensplattform bietet q&more den Akteuren im Markt einzigartige Networking-Möglichkeiten. International renommierte Autoren repräsentieren den aktuellen Wissenstand. Die Originalbeiträge werden attraktiv in einem anspruchsvollen Umfeld präsentiert und deutsch und englisch publiziert. Die Inhalte zeigen neue Konzepte und unkonventionelle Lösungsansätze auf.

> mehr zu q&more

q&more wird unterstützt von: