13.09.2018 - Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Gene aus dem Nichts

Vorläufer von Genen entstehen permanent "aus dem Nichts" – und verschwinden meist wieder

Studien der jüngsten Zeit gaben vermehrt Hinweise darauf, dass sich neue Gene auch spontan neu bilden können, also nicht schrittweise durch kleine Veränderungen bewährter Gene entstehen. Bioinformatiker der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster untersuchten nun erstmals auch die frühesten Stadien der Entstehung dieser "Gene aus dem Nichts".

Die Evolution von Organismen erfolgt in kleinen Schritten – so haben die meisten Menschen es in der Schule gelernt: durch kleine genetische Veränderungen, Punktmutationen genannt. Im Laufe der Generationen treten diese Mutationen in den Kopien der bewährten Gene auf und bringen möglicherweise nützliche neue Eigenschaften mit sich. Dass vollständige neue Gene und somit neue Eigenschaften quasi aus dem Nichts entstehen, galt jahrzehntelang als undenkbar. Erst Studien der jüngsten Zeit gaben vermehrt Hinweise darauf, dass sich neue Gene auch „aus dem Nichts“ in der sogenannten nicht-codierenden DNA bilden, also in dem Teil des Erbguts, der keine Proteine erzeugt. Eine neue Arbeit untersucht nun erstmals auch die frühesten Stadien der Entstehung dieser „Gene aus dem Nichts“. Die Arbeit, die aktuell in der Fachzeitschrift „Nature Ecology and Evolution“ veröffentlicht ist, haben Bioinformatiker um Prof. Dr. Erich Bornberg-Bauer vom Institut für Evolution und Biodiversität der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) durchgeführt.

Das Team verglich mit Computeranalysen Anzahl, Länge, Position und Zusammensetzung (Nukleotid-Sequenz) von „Genen aus dem Nichts“ beim Menschen mit denen von vier anderen Säugetier-Arten: Maus, Ratte, Kängururatte und Opossum. Letzteres gehört zu den Beuteltieren, deren Evolutionslinie sich früh von dem Zweig der Höheren Säugetiere abgespalteten hat. Durch diesen Vergleich warfen die Forscher Schlaglichter auf 160 Millionen Jahre Evolution der Säugetiere. Die Wissenschafter nahmen dabei DNA-Transkripte unter die Lupe, also solche DNA-Abschnitte, die aktiv sind und als RNA-Kopie vorliegen. Genauer gesagt untersuchten die Forscher die Transkripte sogenannter offener Leserahmen. Diese Sequenzen dienen häufig als Bauanleitungen für Proteine.

„Unsere Studie zeigt: Neue offene Leserahmen, also die Kandidaten für Bauanleitungen für neue Proteine, entstehen in nicht-codierenden DNA-Regionen permanent ‚aus dem Nichts‘. Sie gehen aber genauso wie ihre Transkripte im Laufe der Evolution auch sehr schnell wieder verloren“, sagt Bioinformatiker Erich Bornberg-Bauer. Obwohl aus nur sehr wenigen dieser Kandidaten tatsächlich funktionstüchtige Gene entstehen, also solche Gene, die den Bauplan für funktionierende Proteine enthalten, bleiben einige Kandidaten zufällig über längere Zeit erhalten – allein aufgrund der enormen Anzahl an ständig neu erzeugten Transkripten. „Diese Transkripte können dann in mehreren Abstammungslinien gefunden werden“, so Erich Bornberg-Bauer. „Wahrscheinlich können sie über lange Zeiträume hinweg das Repertoire der bestehenden Proteine ergänzen und an das molekulare Wechselspiel mit diesen angepasst werden.“

Manchmal übernimmt also ein „aus dem Nichts“ entstandenes Protein eine Funktion im Organismus. „Damit haben wir auch eine Erklärung dafür, wie grundlegend neue Eigenschaften in einem Organismus entstehen können. Allein durch punktuelle Veränderungen der genetischen Struktur ist das nämlich nicht erklärbar“, so Erich Bornberg-Bauer.

Fakten, Hintergründe, Dossiers

  • Gene
  • Evolution
  • nicht-codierende DNA

Mehr über WWU Münster

  • News

    Forscher zeigen: Chirale Oxid-Katalysatoren richten Elektronenspin aus

    Die Kontrolle des Eigendrehimpulses (Spins) von Elektronen eröffnet künftige Anwendungsszenarien in der spinbasierten Elektronik (Spintronik), beispielsweise zur Informationsverarbeitung. Außerdem bietet sie neue Möglichkeiten, die Selektivität und Effizienz von chemischen Reaktionen zu kon ... mehr

    Auf dem Weg zu zellartigen Materialien

    Molekulare Maschinen steuern eine Vielzahl grundlegender Prozesse in der Natur. Eingebettet in eine zelluläre Umgebung, spielen sie eine zentrale Rolle beim intra- und interzellulären Transport von Molekülen sowie bei der Muskelkontraktion von Menschen und Tieren. Für die Funktion des gesam ... mehr

    Biochemiker nutzen neues Werkzeug, um mRNA mit Licht zu kontrollieren

    Die DNA (Desoxyribonukleinsäure) ist ein langes Kettenmolekül, das sich aus vielen einzelnen Bausteinen zusammensetzt und die Grundlage des Lebens auf der Erde bildet. Die Funktion der DNA ist die Speicherung aller Erbinformationen. Die Umsetzung dieser genetischen Informationen in Proteine ... mehr

  • q&more Artikel

    Löwenzahn als neue Rohstoffquelle für Naturkautschuk

    Mehr als 12.500 Pflanzen produzieren Latex, einen farblosen bis weißen Milchsaft, der unter anderem Naturkautschuk enthält. mehr

  • Autoren

    Prof. Dr. Dirk Prüfer

    Dirk Prüfer, Jahrgang 1963, studierte Biologie an der Universität zu Köln und promovierte am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtung. Seine Habilitation legte er im Jahr 2004 an der Justus-Liebig-Universität Gießen ab. Seit 2004 ist er Professor für molekulare Pflanzenbiotechnologie am Ins ... mehr

    Prof. Dr. Joachim Jose

    Joachim Jose, geb. 1961, studierte Biologie an der Universität Saarbrücken, wo er promovierte. Die Habilitation erfolgte am Institut für Pharma­zeutische und Medizinische Chemie der Universität des Saarlandes. Von 2004 bis 2011 war Professor für Bioanalytik (C3) an der Heinrich-Heine-Univer ... mehr

q&more – die Networking-Plattform für exzellente Qualität in Labor und Prozess

q&more verfolgt den Anspruch, aktuelle Forschung und innovative Lösungen sichtbar zu machen und den Wissensaustausch zu unterstützen. Im Fokus des breiten Themenspektrums stehen höchste Qualitätsansprüche in einem hochinnovativen Branchenumfeld. Als moderne Wissensplattform bietet q&more den Akteuren im Markt einzigartige Networking-Möglichkeiten. International renommierte Autoren repräsentieren den aktuellen Wissenstand. Die Originalbeiträge werden attraktiv in einem anspruchsvollen Umfeld präsentiert und deutsch und englisch publiziert. Die Inhalte zeigen neue Konzepte und unkonventionelle Lösungsansätze auf.

> mehr zu q&more

q&more wird unterstützt von: