25.05.2018 - Technische Universität Wien

Materialforschung: Vom Atom zum fertigen Werkstück

Es ist eine Herausforderung, die in vielen Industriebereichen immer wieder eine wichtige Rolle spielt: Man benötigt metallische Werkstoffe, die extremen mechanischen Belastungen standhalten oder unter korrosiven Umwelteinflüssen über lange Zeit beständig sind – beispielsweise Schwerlast-Schienen, Walzlager oder Rohre für die Öl- und Gasindustrie. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Gewichtsreduktion unter Beibehaltung hervorragender Eigenschaften, gerade in Hinblick auf Nachhaltigkeit und Kosten. Beim Entwickeln solcher Materialien war man lange Zeit auf Versuch und Irrtum angewiesen. Mittlerweile gibt es allerdings Methoden, am Computer die Eigenschaften von Materialien vorherzusagen.

An der TU Wien wurde nun ein neues Christian Doppler Labor eingerichtet, in dem das Zusammenwirken chemisch-physikalischer Phänomene mit hochauflösenden Analysenmethoden charakterisiert, in Modelle gegossen und am Computer genau simuliert wird, um bessere Materialien für die Industrie zu entwickeln. Unterstützt wird das CD-Labor vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) sowie von den Partnerunternehmen voestalpine, Neuman Aluminium und Stahl Judenburg.

„Österreich produziert Stahl und Aluminium mit hohen Qualitätsanforderungen und exportiert diese weltweit“, sagt Dr. Margarete Schramböck, Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort. „Basis für diesen Erfolg ist intensive grundlagenwissenschaftliche und technologische Forschung, die für die Fortführung dieser Erfolgsgeschichte auch weiterhin nötig ist. CD-Labors bieten dafür einen optimalen Rahmen, weil sie neues Wissen für Unternehmen nutzbar machen und so echte Innovation und dauerhafte Marktvorteile ermöglichen.“

Computersimulation statt Versuch und Irrtum

Um die Materialeigenschaften eines Werkstücks genau zu verstehen, muss man es auf unterschiedlichen Größenskalen gleichzeitig betrachten – und genau darin liegt aus wissenschaftlicher Sicht die große Herausforderung: „Man muss die Mikrostruktur im Nanometerbereich kennen und verstehen, wie die Atome miteinander wechselwirken. Gleichzeitig muss man das Material auf mittelgroßer Skala untersuchen – da kann es etwa Bereiche unterschiedlicher Kristall-Ordnung geben. Schließlich muss man das Verhalten des ganzen Werkstücks unter Belastung analysieren, um die Auswirkungen der typischen Prozesstemperaturen und Krafteinwirkungen zu berechnen“, erklärt Prof. Erwin Povoden-Karadeniz. Er leitet das neue CD-Labor am Institut für Werkstoffwissenschaften und Werkstofftechnologie der TU Wien.

Gerade bei metallischen Werkstoffen gab es in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte. „In vielen Experimenten hat man untersucht, wie die mechanischen Eigenschaften des Materials mit der Mikrostruktur zusammenhängen und wie man diese Mikrostruktur durch die geeignete Wahl der Legierung und durch den Herstellungsprozess beeinflussen kann“, sagt Povoden-Karadeniz. „Allerdings sehen wir heute, dass die Werkstoffwissenschaft in diesem Bereich ein gewisses Plateau erreicht hat. Für weitere Fortschritte brauchen wir neue Ideen.“

Und diese Ideen kommen aus neuartigen Computersimulationen: „Das computersimulations-basierte Materialdesign gewinnt immer mehr an Bedeutung“, ist Povoden-Karadeniz überzeugt. „Die Anzahl der erforderlichen Experimente sinkt dadurch, mit den passenden Rechenmodellen kann man das Verhalten des Materials schon vorhersagen, bevor man es überhaupt hergestellt hat.“ Dadurch lässt sich die Zeit, die von der Innovationsidee bis zur Marktreife eines Produktes verstreicht, drastisch verkürzen.

Besonders herausfordernd ist die Aufgabe, die unvermeidlichen Unregelmäßigkeiten im Material korrekt zu berücksichtigen. Bei einem realen Werkstück hat man es nun mal nicht mit einem perfekten Kristall zu tun, sondern mit einer Vielzahl kleiner Störungen und mit Grenzflächen zwischen winzigen Materialkörnern. Nur wenn man sie im Computermodell korrekt berücksichtigt, erhält man brauchbare Ergebnisse – und genau auf solche komplizierten Aufgaben haben sich Erwin Povoden-Karadeniz und sein Team spezialisiert.

Fakten, Hintergründe, Dossiers

  • Computersimulationen

Mehr über TU Wien

  • News

    Drei Augen sehen mehr als zwei - katalytische Reaktion mit drei verschiedenen Mikroskopen unter exakt gleichen Bedingungen in Echtzeit verfolgt

    Man muss sehr genau hinsehen, um exakt zu verstehen, welche Prozesse an den Oberflächen von Katalysatoren ablaufen. Bei festen Katalysatoren handelt es sich oft um fein strukturierte Materialien aus winzigen Kristallen. Es gibt verschiedene Arten der Mikroskopie, mit denen man die chemische ... mehr

    Chemielabor auf einem Chip analysiert Flüssigkeiten in Echtzeit

    An der TU Wien wurde ein Infrarot-Sensor entwickelt, der in Sekundenbruchteilen Inhaltsstoffe von Flüssigkeiten detektiert. Was machen die Moleküle gerade im Reagenzglas? In der chemischen Technologie ist es oft wichtig, exakt zu messen, wie sich die Konzentration bestimmter Substanzen verä ... mehr

    Ein Molekül aus Licht und Materie

    Ein ganz besonderer Bindungszustand zwischen Atomen konnte nun erstmals im Labor erzeugt werden: Mit einem Laserstrahl lassen sich Atome polarisieren, sodass sie auf einer Seite positiv, auf der anderen Seite negativ geladen sind. Dadurch ziehen sie einander an und bilden einen ganz speziel ... mehr

  • q&more Artikel

    Wirkstoffsuche im Genom von Pilzen

    In Pilzen schlummert ein riesiges Potenzial für neue Wirkstoffe und wertvolle Substanzen, wie etwa Antibiotika, Pigmente und Rohstoffe für biologische Kunststoffe. Herkömmliche Methoden zur Entdeckung dieser Verbindungen stoßen zurzeit leider an ihre Grenzen. Neueste Entwicklungen auf den G ... mehr

    Organs-on-a-Chip

    Ziel der personalisierten Medizin oder Präzisionsmedizin ist es, den Patienten über die funktionale Krankheitsdiagnose hinaus unter bestmöglicher Einbeziehung individueller Gegebenheiten zu behandeln. Organ-on-a-Chip-Technologien gewinnen für die personalisierte Medizin sowie die pharmazeut ... mehr

  • Autoren

    Dr. Christian Derntl

    Christian Derntl, Jahrgang 1983, studierte Mikrobiologie und Immunologie an der Universität Wien mit Abschluss Diplom. Sein Doktoratsstudium im Fach Technische Chemie absolvierte er 2014 mit Auszeichnung an der Technischen Universität Wien. Dabei beschäftigte er sich mit der Regulation von ... mehr

    Sarah Spitz

    Sarah Spitz, Jahrgang 1993, studierte Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) mit Abschluss Diplomingenieur. Während ihres Studiums war sie für zwei Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department für Biotechnologie (DBT) der BOKU angestellt. Nach einer inte ... mehr

    Prof. Dr. Peter Ertl

    Peter Ertl, Jahrgang 1970, studierte Lebensmittel- und Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur, Wien. Im Anschluss promovierte er in Chemie an der University of Waterloo, Ontario, Kanada und verbrachte mehrere Jahre als Postdoc an der University of California, Berkeley, USA. 2003 ... mehr

q&more – die Networking-Plattform für exzellente Qualität in Labor und Prozess

q&more verfolgt den Anspruch, aktuelle Forschung und innovative Lösungen sichtbar zu machen und den Wissensaustausch zu unterstützen. Im Fokus des breiten Themenspektrums stehen höchste Qualitätsansprüche in einem hochinnovativen Branchenumfeld. Als moderne Wissensplattform bietet q&more den Akteuren im Markt einzigartige Networking-Möglichkeiten. International renommierte Autoren repräsentieren den aktuellen Wissenstand. Die Originalbeiträge werden attraktiv in einem anspruchsvollen Umfeld präsentiert und deutsch und englisch publiziert. Die Inhalte zeigen neue Konzepte und unkonventionelle Lösungsansätze auf.

> mehr zu q&more

q&more wird unterstützt von: